Albert-Schweitzers weitsichtige Kulturkritik war Thema eines Vortrags von Claus Günzler im Haus des Gastes. Foto: Hübner Foto: Schwarzwälder-Bote

Claus Günzler beschäftigt sich mit dem schnellen Leben

Von Stephan Hübner

Königsfeld. Über "Das schnelle Leben und die langsame Moral – Zu Albert-Schweitzers weitsichtiger Kulturkritik" referierte Claus Günzler im Haus des Gastes.

Obwohl Schweitzer den ersten Teil seiner Kulturkritik bereits vor gut 90 Jahren veröffentlichte, griffen seine Diagnosen in hohem Maße auch heute noch, so Günzler. Schweitzers Meinung nach steckte die Europäische Kultur im 20. Jahrhundert in einer Krise. Es sei "keine Zeit des Denkens, sondern eine Zeit des Wissens, das das Denken übertäubt", so das Urteil damals. Die Gesellschaft entwickle sich so, "dass der Mut zum eigenen Denken rückläufig ist".

Mit der Ehrfurcht vor dem Leben Kulturkrise überwinden

Laut Schweitzer mündet es in abnormer Beeinflussbarkeit, wenn man die Menschen daran hindert, Fragen zu stellen wie "Was will ich langfristig aus meinem Leben machen?". Schweitzer sah einen Zusammenhang zwischen eigenständigem Denken, Verantwortungsfähigkeit und Humanität. Er stellte die Frage, welche Haltungen eine Gesellschaft prämiere. Mit der Ehrfurcht vor dem Leben hoffte Schweitzer, die Kulturkrise zu überwinden.

Heutige Probleme sind laut Günzler "das schnelle Leben als Inbegriff einer defekten Zeiterfahrung" und der "Siegeszug der strengen Erfolgsorientierung". Die Gesellschaft prämiere offenbar die falschen Einstellungen und habe ihre Ideale verloren. Individuelle Entschleunigung ist laut Günzler keine Lösung. Denn der ständige "Tätigkeitstaumel" hindere die Menschen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. "Solange Probleme nicht von Grund auf neu geordnet werden, solange kann es keine Veränderung geben". Nicht zu unterschätzen sei dabei der Druck der öffentlichen Meinung. Je mehr Menschen sich dann die Frage stellen, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen, desto schneller ändere sich die Politik.

Die heutigen Probleme seien Folgen bestimmter Strukturen, "weil Menschen glauben, nicht anders handeln zu können, als das System es von ihnen verlangt". Aber keiner nehme sich die Zeit zu fragen: "Wenn das System so ist, müssen wir dann nicht das System auf eine neue Grundlage stellen?" Zum Überwinden der Krise ist laut Günzler vor allem das Bildungswesen wichtig. Dabei kritisierte er deutlich heutige Elitehochschulen und die "sinnlose Addition von Kompetenzen". Notwendig sei Bildung, die jungen Menschen human gerecht werde. Man müsse den Kindern "Mut machen, ihr eigenes Denken zu entwickeln", so Günzler.

Über elementares Denken Kompass entwickeln

Gefördert werden müsse die Eigenbestimmtheit des Einzelnen. Gebraucht werde etwas, das den ganzen Menschen anspreche. Nur über das von Schweitzer propagierte "elementare Denken" könnten Menschen einen Kompass entwickeln, der auf verschiedenen Wegen zu Ehrfurcht vor dem Leben führe.