Wer keinen städtischen Kita-Platz bekommt, muss sein Kind oft in einer privaten Einrichtung unterbringen - mit höheren Kosten. Foto: dpa

Weil sie für ihren Sohn keinen Platz in einer städtischen Kita bekommen haben, mussten sie das Kind in einer privaten Einrichtung unterbringen. Deshalb  haben  Eltern die Stadt Stuttgart verklagt - und jetzt Recht bekommen.

Stuttgart - Im Streit um einen Rechtsanspruch auf einen Krippen-Platz für ihren Sohn haben Stuttgarter Eltern auf ganzer Linie gesiegt. Nach dem landesweit ersten Urteil in einem Hauptverfahren zu dem Komplex muss die Landeshauptstadt die Mehrkosten für die Unterbringung des Jungen in einer privaten Einrichtung erstatten. Als Höhe legte die 7. Kammer die von der klagenden Familie geforderte Summe von 5620 Euro plus Zinsen fest.

Überdies muss die Stadt auch die zusätzlichen Kosten bis zum dritten Geburtstag des Kindes bezahlen, den die Familie im März 2015 feiert. Für unter Dreijährige besteht seit August 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kita oder in der Kindertagespflege.

Das Gericht ließ das Argument der Stadt nicht gelten, wonach sie sich trotz aller auch finanzieller Bemühungen nicht in der Lage sah, genügend Kita-Plätze bereitzustellen. Ebenso wenig konnte der ins Feld geführte Personalmangel das Gericht überzeugen. Laut Stadt fehlen 2800 Plätze für unter Dreijährige sowie 100 Fachkräfte.

Die Vorsitzende Richterin Sylvia Thoren-Proske betonte: „Der Rechtsanspruch besteht dem Grunde nach“. Eltern dürften nicht deshalb schlechter gestellt werden, weil sie sich selbst einen Platz in einer privaten Kita beschafften. Sie verwies mehrfach auf ein grundsätzliches Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom September 2013, aufgrund dessen Eltern Zusatzkosten für private Betreuung erstattet bekommen hatten.

Die in diesem Urteil aufgestellten Kriterien würden auch für den Stuttgart Fall gelten: Die Eltern hätten die Behörden rechtzeitig - zwei Monate nach Geburt ihres Kindes - von ihrem Bedarf unterrichtet. Zudem bestehe ein Anspruch des Jungen auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege und seine Unterbringung habe keinen zeitlichen Aufschub geduldet. Wegen der Übereinstimmung mit dem Urteil der Leipziger Richter lasse das Gericht auch keine Berufung zu. Die Stadt kann dagegen allerdings noch beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg angehen. Die Stadt will nach Worten von Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) die schriftliche Begründung des Verwaltungsgerichts abwarten, um über weitere Schritte zu entscheiden.

Der Vater sagte nach dem Urteil: „Ich freue mich.“ Der Grafiker fügte hinzu: „Das Geld kommt auf das Konto des Kleinen. Das wird in seine Zukunft investiert.“

Der Vizechef des Stuttgarter Jugendamtes Heinrich Korn verwies darauf, dass der Gesetzgeber eigentlich einen Bedarf von 35 Prozent vorhergesehen habe. Diese Marke hat Stuttgart bereits geschafft. Allerdings liegt der Bedarf in der Landeshauptstadt mit 60 Prozent aller berechtigten Kinder deutlich höher. Robert Höschle vom Rechtsamt der Stadt betonte, die Betreuung müsse auch angemessen sein: „Ich kann nicht so viele Kinder reinstopfen wie ich will.“

Die Eltern des kleinen Jungen erfüllten auch nicht die Kriterien, die ihnen nach den Vorgaben der Stadt Vorrang gewährt hätten, erläuterte Korn. Sie sind zwar beide voll berufstätig, aber zum Beispiel kommen berufstätige Alleinerziehende eher zum Zug.

Sein Kollege Höschle betonte: „Alles ist zu schnell gekommen. Die Politik hat uns das eingebrockt.“ Das bestreiten die Eltern des Jungen. Spätestens 2007 seien die Regierungspläne bekanntgewesen. Auch die Vorsitzende Richterin erkannte die politische Dimension des Falles an, meinte aber: „Wir machen hier keine Politik. So hat es uns und Ihnen der Gesetzgeber aufs Auge gedrückt.“ Zum Argument der Stadt, sie stelle nur 30 Prozent der Krippenplätze, 10 bis 15 Prozent die Kirchen und der Rest freie Träger, sagte Thoren-Proske: „Sie haben die Gesamtverantwortung, die ganze Chose zu regeln - so ist die Rechtslage.“

Seit 2013 sind beim Verwaltungsgericht Stuttgart 32 Klagen eingegangen. Beklagte ist in 30 Fällen die Stadt Stuttgart. Daneben werden die Landkreise Esslingen und Rems-Murr beklagt. Bei den anderen drei Verwaltungsgerichten im Land - Sigmaringen, Freiburg und Karlsruhe - gab es noch keine Hauptverhandlungen.

Auch der Anwalt der Eltern, Dieter Schenk, erwartet nach dem Urteil nicht mit einer Klageflut anderer Stuttgarter Mütter und Väter. Bei einem solchen Verfahren gebe es viele Fallstricke. Wenn die Eltern im Schriftwechsel mit dem Amt etwa nur eine Frist nicht einhielten, sänken ihre Chancen auf Erfolg bereits.