Weiterhin sehr geschätzt: Das persönliche Beratungs- und Informationsgespräch mit dem Fachpersonal, wie hier in der Kloster-Apotheke in Haslach zwischen der Inhaberin Ellen Kuklik-Huber und einem Kunden. Foto: Kluckert

Wegfall der Preisbindung bei Medikamenten: Unfairer Wettbewerb mit Online-Versandhandel.

Kinzigtal - Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von Ende Oktober 2016 zum Wegfall der Preisbindung bei rezeptpflichtigen Medikamenten sorgt auch bei den Apotheken im Kinzigtal für einige Unruhe. Viele befürchten ein sich beschleunigendes Apothekensterben.

Sehr unterschiedliche Reaktionen löste das Emde Oktober vom Europäischen Gerichtshof gefällte Urteil aus, das besagt, dass die in Deutschland praktizierte Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente gegen EU-Recht verstößt. Die Begründung der Luxemburger Richter: Die Preisbindung behindere ausländische Apotheker beim Zugang zum deutschen Markt. Ein Urteil, das – sollte es umgesetzt werden – dem Online-Handel den vormals erschwerten Zugang zum deutschen Markt vollständig öffnet und auch die Krankenkassen erfreuen würde, da diese durch den dann zu erwartenden Preiskampf bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln signifikante Einsparungen im Budget erwarten könnten.

Kein Sonderweg

Erwartungsgemäß negativ fiel die Reaktion auf das Urteil seitens der Apotheker und deren Standesvertretungen aus. Aber auch Politiker unterschiedlicher Parteien zeigten sich darüber wenig erfreut. Geht es nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, wird der Online-Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten noch in dieser Legislaturperiode per Gesetz komplett verboten. Nur so lasse sich eine flächendeckende wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sicherstellen, so das Hauptargument Gröhes, der betonte, dass Deutschland mit einem Verbot keinen Sonderweg beschreite, da auch in Frankreich, Österreich, Belgien und Italien das Verbot bereits gesetzlich verankert sei. Bei den Apotheken macht der Anteil der rezeptpflichtigen Medikamente zwischen 75 und 85 Prozent des Umsatzes aus.

Betriebe in Gefahr

Volle Zustimmung erhält der Gesundheitsminister von den Apothekern, auch im Kinzigtal. "Wir beobachten auf dem Land sowieso schon ein Apothekensterben. Sollte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt werden, sind definitiv weitere Apotheken in Gefahr, da sich der Betrieb einfach für viele dann einfach nicht mehr rentiert", befürchtet der Juniorchef der Schloßapotheke in Wolfach, Fabian Schmider, eine weitere Ausdünnung des Apothekennetzes. "Durch die Preisbindung ist ein fairer Wettbewerb unter den Apotheken garantiert." Falle diese weg, picke sich der Online-Versandhandel die Rosinen aus dem Kuchen heraus und beliefere den Kunden ohne entsprechende Beratung.

Lukrative Fälschung

"Wir bieten durch pharmazeutisch ausgebildetes Personal neben der Rezeptbearbeitung beispielsweise noch Beratung, bereiten Spezialrezepturen zu, bieten Nacht- und Notdienste und noch einiges mehr an. Alles Faktoren, die der Online-Handel nicht leisten will und auch nicht kann, die aber Zeit und damit Geld kosten", so Schmider, der einige dieser Serviceleistungen als Drauflegegeschäfte bezeichnet. "Daher arbeitet unser Betrieb mit einer Mischkalkulation, die sich bei einer Umsetzung des Urteils gravierend negativ verändert". Eine Gefahr beim Online-Handel sieht der Apotheker auch hinsichtlich möglicher Medikamentenfälschungen. "Das ist finanziell bisweilen sehr viel attraktiver als so mancher Handel mit Drogen", schätzt Schmider. "Der Käufer hat dann im besten Fall keinen Wirkstoff im Medikament, im schlechtesten Fall steht seine Gesundheit auf dem Spiel."

Nachteile für Kunden

Ein gesetzliches Verbot für den Online-Handel mit rezeptpflichtigen Medikamenten hält auch Doris Loewecke von der Klosterapotheke in Haslach für eine notwendige Maßnahme zur Erhaltung der Apotheken. Bei nichtrezeptpflichtigen Produkten stehe man ja bereits schon länger in direkter Konkurrenz zu anderen Anbietern und zumindest im Bereich der Medikamente für chronisch Kranke sei der Wettbewerb mit dem ausländischen Online-Handel auch schon Fakt. Auch Loewecke geht von einer Reduzierung des Apothekennetzes bei Umsetzung des Urteils aus. "Das bedeutet für die Kunden längere Anfahrtszeiten, speziell, wenn der Notdienst konsultiert werden muss. Es kommt jetzt schon vor, dass Leute von Schramberg zu uns kommen", so die Fachangestellte.

Kontakt zu Ärzten

Explizit weist auch sie auf die zahlreichen Dienstleistungen in der Apotheke hin. "Wir machen Rezepturen für Hautärzte, spezielle Dosierungen für Kinder, beraten und informieren und sind in regelmäßigem Kontakt mit den Ärzten, beispielsweise, wenn uns beim Durchlesen der Rezepte Interaktionen auffallen und wir schwere Wechselwirkungen von Medikamenten vermuten. Denn das Wohl der Patienten genießt immer höchste Priorität." Loewecke weist auch auf die kurze Zeitspanne von knapp zwei Stunden hin, in der in dringenden Fällen ein in der Apotheke nicht vorrätiges Medikament besorgt werden kann. "Viele unserer Kunden schätzen die Beratung, das Kümmern und den Service", freut sich Loewecke über die Kunden-Treue. Kein Geheimnis macht die Angestellte gegenüber dem Schwarzwälder Boten aus der Zusammensetzung des Verkaufspreises der rezeptpflichtigen Medikamente. "Auf den Einkaufspreis gibt es einen dreiprozentigen Aufschlag sowie einen Festbetrag von derzeit 8,35 Euro, von dem noch ein Krankenkassenrabatt in Höhe von etwa zwei Euro abgezogen wird", erklärt sie.

Hart ins Gericht geht der Inhaber der Iff-Apotheke in Hausach, Harald Urschel, mit den politisch Verantwortlichen. "Sie wissen nicht was sie tun, oder wollen es nicht wissen", so seine Einschätzung. "Die derzeitige Situation ist politisch gewollt. Und da interessiert sich auch keine Gewerkschaft für uns", konstatiert er und prognostiziziert ein Wegsterben der Apotheken im ländlichen Bereich."

Nachfolger fehlen

Das habe auch im Kinzigtal bereits begonnen, so Urschel. "Es gibt hier eine Gruppe von älteren Apothekern, die aus Altersgründen bald aufhören und am Ort keine Nachfolger finden, da der pekuniäre Anreiz fehlt und keine klare Zukunftsperspektive gegeben ist. Die Apotheken schließen dann und das Netz wird weiter ausgedünnt." Einen fairen Wettbewerb mit dem Versandhandel gebe es nicht, insbesondere, wenn das Urteil des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt werde.

Große Unterschiede

"Dem Online-Versandhandel geht es darum, in erster Linie Produkte mit einer hohen Wertschöpfung zu vertreiben. Und das im Gegensatz zu den Apotheken mit so gut wie keinen Auflagen. Fällt die Preisbindung weg, dann fallen auch die Grundumsätze für die Apotheken weg." Dazu käme noch der steuerliche Aspekt. "Die meisten großen Online-Anbieter sitzen in den Niederlanden. Dort beträgt der Mehrwertsteuersatz sechs anstatt wie bei uns 19 Prozent. Da können die bei Bestellungen leicht Rabatte geben."

Als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet der Hausacher Apotheker die Ankündigung Gröhes, den Onlineversandhandel für rezeptpflichtige Medikamente zu verbieten. Allerdings hegt er Bedenken, dass eine solche gesetzliche Regelung sich gegen die EU-Bürokratie durchsetzen lasse. Generell bemängelt der Fachapotheker, dass im Gesundheitssystem die Arbeit am Menschen immer weniger wert sei.