Nägelkauen beginnt häufig bereits im vierten oder fünften Lebensjahr, kann aber auch erst später auftreten. Bei den Sieben- bis Zehnjährigen sind etwa 15 bis 20 Prozent Nägelkauer. Foto: dpa

Wenn Kinder am Daumen lutschen oder an den Fingernägeln knabbern, sind viele Eltern alarmiert. Solche Marotten gehören zwar zur Entwicklung dazu – sollten aber nicht von Dauer sein, warnen auch Experten. Es drohen sonst ernste gesundheitliche Probleme.

Düsseldorf - Sabbrige Daumen und abgenagte Nägel sehen zwar nicht schön aus – aber immerhin bergen sie wohl doch einen kleinen Vorteil: Neuseeländische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Kinder, die entweder Daumenlutschen oder Nägelkauen, offenbar später seltener Allergien etwa gegen Hausstaubmilben, Tierhaare oder Gräserpollen entwickeln. Frönen sie beiden Marotten, ist die Sensibilisierung gegen Allergene noch geringer. Das Ergebnis stimmt mit der Hygiene-Hypothese überein, wonach früher Kontakt mit Schmutz und Keimen das Risiko, Allergien zu entwickeln, verringert. Das Immunsystem von Kindern, die Daumenlutschen oder Nägelkauen, muss mit größeren Mengen an Keimen umgehen.

Doch auch wenn dies beruhigend klingt, überwiegen doch die gesundheitlichen Nachteile dieser Marotten. Bei exzessiven Daumenlutschern können gravierende Folgeprobleme auftreten: Sprachstörungen, Zahnfehlstellungen, ein behindertes Kieferwachstum, eine gestörte Zungenmotorik und sogar ein verformter Daumen. Bei Nägelkauern kommt es zu ernsthaften Infektionen. Daher raten Experten Eltern, genau zu beobachten, in welchen Situationen das Kind die Marotte entwickelt und rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Daumenlutschen

„Babys und Kleinkinder stecken alles Mögliche in den Mund, weil es sie beruhigt und sie Gegenstände auf diese Weise erkunden“, sagt Antje Hunger, Professorin für psychosoziale Beratung an der Hochschule Düsseldorf. Wenn die Mutter das Kind nicht stillen oder zur Beruhigung auf den Arm nehmen könne, dann bedeute dieses unerfüllte Bedürfnis für einen Säugling oder ein Kleinkind Stress. Prompt wandere bei vielen Kindern der Daumen in den Mund. Normalerweise entwickelt es mit zunehmendem Alter aber andere Strategien zum Stressabbau. Nach Erkenntnissen von Helmut Remschmidt, früherer Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters der Uni Marburg, ist Daumenlutschen erst bei Kindern ab drei Jahren krankhaft und wenn es noch an Intensität zunimmt. Dann kann es eine Ersatzbefriedigung in Mangelsituationen, eine anhaltende Gewohnheit oder Ausdruck einer Regression auf eine frühere Entwicklungsstufe sein.

Hält sich das Daumenlutschen auch noch bei Einschulung des Kindes, könnte es in der Klasse deswegen gehänselt werden. „Das erzeugt zusätzlich Stress und kann das Daumenlutschen noch verstärken, ein Teufelskreis“, so Hunger. Eltern sollten daher versuchen, das kindliche Bedürfnis zum Daumenlutschen anders zu befriedigen. Hat das Kind beispielsweise ein Bedürfnis nach mehr Nähe, kann ein Teddy oder ein anderes Kuscheltier weiterhelfen. Soll Spannung abgebaut werden, hilft Kaugummikauen. Von Nagellacken mit Bitterstoffen, die das Lutschen unattraktiv machen sollen, raten Experten eher ab. Laut Remschmidt haben sich einschränkende Maßnahmen und Strafen nicht bewährt.

Nägelkauen

Nägelkauen beginnt häufig bereits im vierten oder fünften Lebensjahr, kann aber auch erst später auftreten. Bei den Sieben- bis Zehnjährigen sind etwa 15 bis 20 Prozent Nägelkauer. Auch hier gilt: „Das Nägelkauen hilft Anspannung abzubauen“, so die Psychologin Antje Hunger. Deshalb sei es nicht einfach, eine solche Angewohnheit aufzugeben, wenn dem Kind noch keine anderen Möglichkeiten zum Abbau von Anspannung zur Verfügung stehen – wie eben auch beim Daumenlutschen.

Schimpfen bringt im Übrigen nichts: „Ein elterliches „Lass es doch einfach sein“ erzeugt nur kurzfristige Erfolge. Zwar sollten Vater und Mutter ruhig sagen, dass sie das Verhalten ihrer Tochter oder ihres Sohnes nicht gut finden“, sagt die Expertin Hunger. Grundsätzlich aber brauchen Eltern Geduld und sollten gemeinsam mit dem Kind positive Alternativen zum Nägelkauen zu finden. Wichtig ist es auch bei dieser Marotte, dass Finger anders beschäftigt werden – beispielsweise mit einem Gummiigel oder Ball, der dann geknetet wird. Oder man versucht es mit Handarbeiten wie Häkeln. Ist das Kind dann so abgelenkt, dass es immer seltener die Hände zum Mund führt, sollten Eltern mit Lob nicht geizen.

Um das Nägelkauen aufzugeben, braucht das Kind aber möglicherweise weitere Hilfe. „Eltern sollten mit ihrem Kind darüber sprechen, welche Hilfen und Unterstützung es sich von ihnen wünscht“, rät Hunger. Wenn ein Kind oder Jugendlicher plötzlich wieder mit dem Daumenlutschen oder Nägelkauen beginnt, dann könnte dahinter auch ein größeres Problem stecken, das nicht allein gelöst werden kann. „Wenn sich Marotten hartnäckig halten, ist es ratsam zusätzlich professionellen Rat und Hilfe bei einem Kinder- und Jugendtherapeuten zu suchen“, empfiehlt Hunger.

Was tun bei Nasepopeln, Zähneknirschen, Zwirbel-Tick und Schmusetuch?

Kindliche Marotten zum Abgewöhnen

Nasepopeln: Man sollte dem Kind vermitteln, dass andere Menschen es eklig fänden, wenn es vor ihren Augen in der Nase bohrt und der Finger dann anschließend womöglich sogar noch zum Mund wandert. Popeln ist eine sehr private Angelegenheit, die man nicht vor anderen macht sondern zum Beispiel im Bad, wo man sich hinterher die Hände waschen kann.

Zähneknirschen: Starkes Knirschen mit den Zähnen kann auf Verspannungen oder Stress hindeuten. Man sollte mit dem Kind darüber sprechen, was es belastet. Gibt es schulische Probleme oder fühlt es sich in der Familie zu wenig wertgeschätzt?

Schmusetuch: Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr hängen stark an ihrer Bezugsperson und brauchen viel Nähe. Ständig müssen sie sich vergewissern, ob diese noch da ist. Das Wohlgefühl stellt sich durch den vertrauten Geruch und Geschmack ein. Übrigens hängen oft noch Schulkinder an einem bestimmten Ding – dieses Bedürfnis verschwindet selten ganz.

Zwirbel-Tick: Sind Kinder aufgeregt oder gestresst, spielen sie oft mit ihren Haaren und drehen sich kleine Knötchen hinein. Diese sich wiederholende Bewegung beruhigt und schafft das Gefühl von Sicherheit. Wenn man versucht, die Situation zu kontrollieren, indem man die Hände auf den Schoß oder auf den Tisch legt, bekommt man diese Marotte gut in den Griff.