Die braunfleckige Beißschrecke ist am Sundheimer Fort in Kehl angesiedelt worden. Foto: Stadt Kehl

Umsiedlung: "Braunfleckige Beißschrecke" hat am Sundheimer Fort neue Heimat gefunden

20 Jahre lang galt die "Braunfleckige Beißschrecke" als ausgestorben oder verschollen – inzwischen leben am Sundheimer Fort wieder etwas mehr als 40 Exemplare der kleinen Heuschreckenart. Sie wurde aus dem Hafen dorthin umgesiedelt.

Kehl (red/vk). Dass die Umsiedlung gelungen ist, ist für Sabine Wörner, Leiterin des Bereichs Umwelt bei der Stadt Kehl, "eine kleine Sensation". Die 14 bis 16 Millimeter großen Tierchen lieben die Wärme – Kehl ist das nördlichste Gebiet, in dem sie vorkommen, teilt die Stadtverwaltung mit. Das unscheinbare Insekt sei eine sogenannte Leitart, deren Vegetationsstrukturen auch anderen Arten zugute kämen: Wildbienen, Laufkäfern und mehreren bedrohten Schmetterlingsarten.

Nachdem die "Braunfleckige Beißschrecke" 20 Jahre lang von keinem Insekten-Experten aufgespürt worden sei, habe man sie 1992 unter anderem auf dem Truppenübungsplatz Mühlheim gefunden. Bei einer Begehung im Rahmen eines Artenschutzprogramms im Jahr 2000 sei dann im Kehler Hafen ein Habitat der kleinen grau-braunen Heuschrecke entdeckt worden: auf dem Platz, auf dem das durch Orkan Lothar zu Bruch gegangene Holz gelagert wurde. Wahrscheinlich, vermutet Wörner, sei der größere Teil des Brutgebiets, in dem sich die Beißschrecke unbemerkt angesiedelt hatte, durch das Holzlager zerstört worden.

Weil sich die Firma Herrenknecht schließlich für die Fläche im Hafen interessierte, musste die unter Artenschutz stehende Heuschrecke umgesiedelt werden. Gemeinsam mit der unteren Naturschutzbehörde beim Landratsamt und einem Fachbüro habe die Stadt die Fläche beim Sundheimer Fort als neuen Lebensraum ausgewählt: Die kleinste Art unter den Heuschrecken brauche eine offene Fläche, trockenes Ödland und hohes Gras mit stabilen Stängeln, beschreibt Wörner die Bedürfnisse des seltenen Insekts. Am Sundheimer Fort schienen die Bedingungen ideal.

Da die Umsiedlung der Tierchen aus dem Hafen vor der Eiablage erfolgen musste, habe nur ein knappes Zeitfenster zur Verfügung gestanden. Hinzu komme, dass das kleine, erdfarbene Insekt vor allem am Stridulieren (Singen) der Männchen aufzuspüren sei. "Der Gesang ist jedoch so leise, dass er nur in einem Meter Entfernung mit bloßem Ohr wahrnehmbar ist", erläutert Wörner. Mithilfe eines sogenannten Batdetektors könne man ihn immerhin 20 Meter weit hören. Auf diese Weise sei es den Experten 2008 gelungen, mehrere Hundert Exemplare der Beißschrecke im Kehler Hafen zu fangen. Die meisten seien ins Naturschutzgebiet Rheinwald Neuenburg gebracht worden – die übrigen ans Sundheimer Fort. Bezahlt habe die 60 000 Euro teure Aktion der Kehler Hafen.

Zwischenzeitlich ging die Population stark zurück

Am Sundheimer Fort seien 2009 fünf Männchen gezählt worden, die nach der Umsiedlung aus den Eiern geschlüpft waren. "Dadurch galt die Umsiedlung zunächst als erfolgreich", erinnert sich Wörner. Um den langfristigen Erfolg zu überprüfen, sei ein Monitoring eingerichtet worden, in dessen Rahmen die männlichen Tiere alljährlich gezählt wurden. Da das natürliche Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Tieren bei der "Braunfleckigen Beißschrecke" ausgeglichen sei, konnte so die zahlenmäßige Stärke der Population errechnet werden. Bei den Zählungen seien am Sundheimer Fort 2010 neun Männchen gefunden worden, bei drei Kontrollen 2011 nur noch zwei.

An der Witterung könne es nicht gelegen haben, dass die Population so stark zurückgegangen war – im Rheinwald Neuenburg seien viel mehr Tierchen gefunden worden. Weil aber am Sundheimer Fort Schafe geweidet hatten, keimte bei Wörner der Verdacht, dass sie das Gras mitverspeist haben könnten, in denen die Beißschrecke ihre Eier abgelegt hatte. Daraufhin seien die langgrasigen Bereiche eingezäunt, weitere Flächen entsiegelt und vom Naturschutzbund entbuscht worden. Mit mäßigem Erfolg: 2012 waren laut Wörner drei Kontrollen nötig, um drei Männchen zu finden, 2013 wurden nur noch zwei entdeckt, 2014 fünf. Die Population "war nahe am Erlöschen", so Wörner. Als die Kontrolleure 2015 gar keine Männchen mehr aufspürten, glaubte die Leiterin des Bereichs Umwelt an das Aus der Heuschreckenart in Kehl.

Daher gleiche es für sie einer "kleinen Sensation", dass 2016 gleich 21 Männchen und ein Weibchen entdeckt wurden. Erklären kann sie sich diesen Erfolg nur dadurch, dass sich das Habitat am Sundheimer Fort zu einem "schönen Mosaik aus langgrasigen Flächen und offenem Boden" entwickelt habe – und damit vermutlich genau den "speziellen Ansprüchen" der "Braunfleckigen Beißschrecke" entspreche.