Die Leistungen für Asylbewerber verstoßen gegen das Grundrecht auf ein würdiges Existenzminimum.

Karlsruhe - Asylbewerber müssen mehr Geld bekommen. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch verkündeten Urteil. Die derzeitigen Leistungen verstoßen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

Die Richter ordneten eine Übergangsregelung an, die sich an der Berechnung der Leistungen für Empfänger von Hartz IV oder Sozialhilfe orientiert. Betroffen sind rund 130.000 Menschen (Az. 1 BvL 10/10 und 2/11).

Beiträge seit 1993 nicht mehr angehoben

Die derzeitige Höhe der Geldleistungen sei "evident unzureichend", sagte der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof. Die Beträge waren seit 1993 nicht erhöht worden und lagen zuletzt rund 35 Prozent unter den Leistungen für Hartz-IV-Empfänger. Schon die Hartz-IV-Sätze gelten als Existenzminimum. Nach der ab sofort geltenden Übergangsregelung kann ein allein lebender, erwachsener Asylbewerber künftig mit 336 Euro pro Monat rechnen; bisher waren es 224 Euro. Für Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren sind es künftig 260 Euro anstelle von 200 Euro.

Das Grundgesetz garantiere die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, entschieden die Richter des Ersten Senats. Das Existenzminimum stehe deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen zu. Es sichere nicht nur das körperliche Überleben, sondern auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und "ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben".

Maßgeblich für die Berechnung sind die Verhältnisse in Deutschland. Das zu einem menschenwürdigen Leben Notwendige dürfe nicht "unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes" niedriger bemessen werden, so die Richter. "Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen."

130.300 Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht

Auch eine kurze Aufenthaltsdauer rechtfertige an sich keine Beschränkung des Existenzminimums. Der Gesetzgeber müsse die Leistungen "in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen und jeweils aktuellen Bedarf" bestimmen.

Ursprünglich galt das Asylbewerberleistungsgesetz nur für Flüchtlinge während des Asylverfahrens. Die Regelung wurde aber auf andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht ausgeweitet - nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren es zum Jahresende 2010 insgesamt 130.300 Menschen.

Viele der Betroffenen leben schon seit längerer Zeit in Deutschland - nach Angaben des Gerichts zum überwiegenden Teil bereits länger als sechs Jahre. So auch die beiden Kläger in den Ausgangsverfahren: Einer von ihnen, ein Kurde, war 2003 aus dem Irak geflohen. Er wird seither in Deutschland geduldet. Die Klägerin des zweiten Verfahrens, ein elfjähriges Mädchen, wurde sogar in Deutschland geboren. Ihr Mutter war aus Nigeria geflohen. Inzwischen hat das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit.