Der Münchner Erzbischof ist zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt worden. Eine Aufgabe mehr.

Münster - An Ämtern mangelt es dem Erzbischof von München und Freising wahrlich nicht. Erst am Wochenende machte Papst Franziskus den 60-jährigen Kardinal Reinhard Marx zum Koordinator des neuen Wirtschaftsrats im Vatikan. Das Gremium wird von dem australischen Kurienkardinal George Pell geleitet, der wie Marx ein enger Vertrauter des Pontifex ist. Dessen Strukturreform der vatikanischen Dikasterien (was Ministerien entspricht) nimmt langsam Gestalt an. Und Marx steht als eine der Schlüsselfiguren nun im Zentrum der Weltkirche.

Selten in den vergangenen Jahrzehnten war ein einzelner Bischof so einflussreich wie der am 21. September 1953 im westfälischen Geseke geborene Geistliche. Selbst Joseph Ratzinger und Walter Kasper hatten als Kurienkardinäle, der eine als Präfekt der römischen Glaubenskongregation, der andere als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, nicht so viel Macht inne wie Marx.

Der Münchner Kardinal sieht seine künftige Aufgabe als Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz als große Herausforderung. Das sagte er am Mittwoch bei seiner Vorstellung am Rande der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe in Münster. „Ich muss mich in den kommenden Tagen noch mal zurückziehen und meine Gedanken sortieren.“

Enger Berater von Papst Franziskus

Marx verwies darauf, dass er bereits eine Reihe anderer zusätzlicher Aufgaben übernommen habe. So berät der Erzbischof von München und Freising Papst Franziskus bei der Reform der Kurie, leitet den vom Papst neu geschaffenen Wirtschaftsrat im Vatikan und auch die Europäische Kommission der Bischofskonferenzen.

Vorläufiger Höhepunkt seiner steilen Karriere: Franziskus berief Marx Ende 2013 in den achtköpfigen Kardinalsrat, der ihn bei der Reform der Kurie in Rom berät. In der Funktion saß er erst im Februar wieder tagelang mit dem Papst zusammen. Die Gründung einer Art Finanzministerium im Vatikan, das alle Geldgeschäfte kontrollieren soll, ist das spektakulärste Ergebnis dieser Zusammenkunft.

Marx gilt in der Weltkirche unter den knapp 4800 Bischöfen weltweit als strukturierter Organisator, als enorm einflussreich – ohne zu den Cliquen und Klüngeln der römischen der Kurie zu gehören. Ein unabhängiger Geist, der gleichermaßen ehrgeizig und machtbewusst, intelligent und besonnen ist. Er tritt die Nachfolge des aus Altersgründen nicht mehr angetretenen Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch (75) an. Die Wahl zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz (DBK) steigert noch einmal den Einfluss des öffentlichkeitswirksamen Westfalen. Marx ist jetzt auf allen kirchlichen Ebenen als eine zentrale Gestalt präsent. Nach seiner Wahl sagte, er wolle kein „Sammler und Jäger“ von Posten sein. Der Vorsitz der in Bischofskonferenz sei für ihn eine „neue große Herausforderung“. Er werde in den nächsten Tagen überlegen, wie sich der Arbeit organisieren lasse.

Die Organisation der vielen Arbeit ist eine echte Herausforderung

Die Organisation der vielen Arbeit ist eine echte Herausforderung

Marx, der bereits nach dem Rücktritt von Kardinal Karl Lehmann 2008 als Vorsitzender der Bischofskonferenz im Gespräch war, aber Zollitsch dann knapp unterlag, machte sich weit über die katholische Kirche hinaus einen Namen als profilierter Sozialethiker. Sein Buch „Das Kapital“, das 2008 während der Finanzkrise erschien, stieß auf große Resonanz. Marx zeigte sich darin überzeugt von der Marktwirtschaft, der Arbeitsmarkt sei aber kein moralfreier Raum. Maßgeblich war er an der Ausarbeitung der Sozialinitiative „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ von katholischer und evangelischer Kirche beteiligt, die Ende Februar vorgestellt wurde.

Eine zentrale Größe im Denken Marx’ ist der Begriff „Freiheit“, der sich auch in seinem erzbischöflichen Wappen wiederfindet. Marx fordert das Projekt einer aufgeklärten Aufklärung: Im Zentrum diesen Projektes müsse der Mensch und seine Würde stehen, die auch in der Welt der Wirtschaft immer wieder in Gefahr sei.

Dabei verweist er schon in seiner theologischen Doktorarbeit von 1989 auf die Sozialenzyklika von Papst Paul VI. „Pacem in terris“ von 1963, „mit der sich die kirchliche Würdigung der Menschenrechte Bahn brach“, so Marx.

Seine Dissertation „Ist Kirche anders?“ schrieb er bei dem renommierten Fundamentaltheologen Hermann Josef Pottmeyer, der viele Jahre Mitglied der Päpstlichen Theologenkommission war. Darin setzt er sich mit soziologischen Betrachtungsweisen der Kirche und der Problematik der Übernahme von soziologischen Deutungsmuster für die Theologie auseinander. Marx sieht in seiner Dissertation die anthropologisch fundierte Katholische Soziallehre als ein Vermittlungsinstrumentarium zwischen einer sozialwissenschaftlichen Analyse und der theologischen Selbstdeutung der Kirche an.

Einer der profiliertesten katholischen Sozialethiker

In nahezu allen Äußerungen zu wirtschaftspolitischen oder sozialethischen Themen kommt bei Marx zum Vorschein, dass die Freiheit eines Menschen von Gott her rühre und daher unverhandelbar sei. Auch in der Wirtschaftspolitik müsse gelten: Die Ökonomie ist für den Menschen da, nicht umgekehrt.

Die Rolle der Kirche dürfe nicht die des Moralproduzenten sein, fordert Marx. Sie müsse vielmehr das Evangelium verkünden, das den Menschen einen Zugang zu Gott eröffnen wolle und eine Wirklichkeit verkünde, die größer als der Mensch sei und sich trotzdem um diesen kümmere. Dies genau ist auch der Ansatz von Papst Franziskus.

Fortschrittlich im Ton, konservativ in der Gesinnung

Fortschrittlich im Ton, konservativ in der Gesinnung

Mit seiner Option für die Armen will der Papst die Zugänge der Kirche zu den Menschen, vor allem den Unterdrückten und Ausgegrenzten neu vermessen. Dieses Projekt beinhaltet keine Änderung der kirchlichen Lehre, sondern eine neue Spracher der Verkündigung und der Vermittlung der Glaubensinhalte. Von zentraler Bedeutung ist dabei vor allem die persönliche Glaubwürdigkeit und Authentizität des Vermittlers – also des Priesters und der Laien im Verkündigungsdienst.

Wie Franziskus ist auch Marx ein Strukturkonservativer, der in seinem theologischen Kern traditionell denkt, aber in der Vermittlung des Glaubens modern und reformerisch handelt.

Der Sohn eines Schlossermeisters wurde 1996 zum Weihbischof von Paderborn ernannt. Im gleichen Jahr begann er als Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der theologischen Fakultät in Paderborn, ein Posten, den er bis 2002 bekleidete. 2008 wurde er in sein Amt als Erzbischof von München und Freising eingeführt. Zuvor stand er an der Spitze des ältesten deutschen Bistums Trier. Im Oktober 2010 ernannte ihn der ehemalige Papst Benedikt der XVI. zum Kardinal.

Mit Marx tritt ein Mann an die Spitze der deutschen Kirche, der als einer der bedeutendsten Sozialethiker der katholischen Kirche gilt. Ganz in der Tradition des Nestors der katholischen Soziallehre Oswald von Nell-Breuning (1890-1991) und des Moralphilosophen Karol Woytila (des späteren Papst Johannes Paul II.) steht der Mensch im Mittelpunkt des Marxschen Denkens.

Plädoyer für eine offene, transparente Kirche

Im Zuge der Missbrauchsaffäre profilierte er sich als einer der Wortführer der Aufklärer. Innerhalb der katholischen Kirche forderte Max „größtmögliche Transparenz“. Zunächst war er der einzige Diözesanbischof, der die Vorfälle von unabhängiger Stelle prüfen ließ. Aktuell äußerte sich Marx kritisch zur Kirchensteuer: Sie sei „kein Dogma“, aber ein geeignetes System, die Kirchenmitglieder an der Finanzierung der kirchlichen Aufgaben zu beteiligen.

Die Zahl seiner Vorsitze und Mitgliedschaften ist kaum überschaubar: So leitet er seit 2004 die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. Seit 2012 ist er Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft. Er ist Mitglied im Päpstlichen Rat für die Laien (seit 2014), in der Kongregation für das Katholische Bildungswesen (seit 2010) und Mitglied im Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden (seit 2010). Zudem ist der bekennende Fußball-Fan Mitglied des Bundesligisten Borussia Dortmund.

Wenig Zeit für sein Münchner Erzbistum

Leicht fremdelnd nahmen die Gläubigen in Oberbayern ihren aus Westfalen stammenden neuen Oberhirten vor sechs Jahren auf. Doch beide Seiten gewöhnten sich rasch aneinander, der leutselige Kirchenmann gewinnt die Herzen vieler Katholiken im Sturm. Bei öffentlichen Diskussionen blüht der Rhetoriker Marx auf und spricht druckreife Sätze.

Auf den 60-Jährigen mit dem eisgrauen Vollbart wartet jetzt noch mehr Arbeit als schon bisher. Vor allem auch in seinem Heimatbistum München-Freisingen. Wie die meisten anderen deutschen Bistümer plagt sich auch das bayerische Erzbistum mit einer Strukturreform herum. Die bischöfliche Verwaltung ist im Umbruch, einzelne Pfarreien werden aufgrund des Priestermangels zu Verbänden und Großpfarreien zusammengefasst, die Stimmung unter den Haupt- und Ehrenamtlichen Mitarbeitern ist angespannt. Wie fast überall in den 27 Diözesen Deutschlands.

Temperamentvoll und manchmal polternd

Temperamentvoll und manchmal polternd

Erst kürzlich sagte Marx über Franziskus, der Papst handele frei von Angst. Ängstlichkeit ist auch nicht die Sache des Münchner Erzbischofs. Der 60-Jährige ist äußerst temperamentvoll Er haut durchaus auf den Tisch, wenn es sein muss und wenn ihm die Dinge nicht schnell genug gehen. Mit seiner zupackenden Art hat er sowohl die Strukturreform im Erzbistum hin zu großen Pfarrverbänden als auch die Neuaufstellung des Erzbischöflichen Ordinariates erledigt. Kritiker sagen, Marx kehre sein Haus mit eisernem Besen.

Unter seinen deutschen Amtsbrüdern und in der Kurie hat Marx nicht nur Freunde. Manchen Ortsbischof stört das barocke Erscheinungsbild des 60-Jährigen, das so gar nicht zu der Kirche der Armen passen will, die der Papst predigt. Marx residiert in einem stattlichen Palais, das ihm freilich vom Freistaat Bayern zugewiesen worden ist.

Immer Ärger mit Kardinal Müller

Mit dem Präfekten der römischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ist Marx nicht nur einmal zusammengerauscht. Obwohl in Fragen der Kirchenlehre wie Müller konservativ eingestellt, treibt den Münchner Kardinal um, dass wiederverheiratete geschiedene Katholiken nach wie vor von der Kommunion ausgeschlossen sind. Marx sucht nach Wegen, dies zu ändern. „Wir können diese Menschen nicht wie Christen zweiter Klasse behandeln“, sagte Marx dieser Tage.

Für den früheren Dogmatik-Professor Müller kommt eine Abkehr vom Verbot der Sakramente aber weiterhin nicht infrage. Als der oberste Glaubenshüter diese Position im vergangenen Herbst bekräftigte, zweifelte Marx unverhohlen die Autorität Müllers an: „Der Präfekt der Glaubenskongregation kann die Diskussion nicht beenden.“

Zuerst muss er Italienisch lernen

Zuallererst wartet auf den 60-Jährigen aber eine ganz profane Aufgabe: Marx kommt angesichts seiner Süd-Orientierung nicht umhin, Italienisch zu lernen, damit er in Rom besser parlieren und diskutieren kann. Denn in den verschwiegenen Kardinalsräten gibt es keine Dolmetscher.