Stößt nicht überall mit seinen Ideen auf offene Ohren: Diskuswerfer Robert Harting. Foto: AP

Eigentlich sind sich die deutschen Sportler einig: Doping geht gar nicht. Das war es dann aber auch schon weitgehend mit Gemeinsamkeiten, denn nicht jedes Mittel im Kampf gegen den Betrug ist positiv.

Stuttgart - Vor einem Dreivierteljahr standen sie plötzlich wieder vor der Tür: die Dopingjäger. „Ich bin total erschrocken“, erzählt Tobias Unger. Der ehemalige 100-Meter-Sprinter des VfB Stuttgart hatte seine Karriere zu diesem Zeitpunkt schon beendet, „aber ich hatte mich noch nicht abgemeldet“. Der unerwartete Besuch hatte jedoch kein Nachspiel. Unger war sauber.

Der 36-Jährige, der aktuell die Nachwuchsfußballer des VfB als Athletiktrainer fit macht, erzählt die Geschichte ganz nebenbei. Andere Leichtathleten suchen die Öffentlichkeit zurzeit dagegen bewusst. So wie Robert Harting.

Der Diskuswerfer ist bei den Weltmeisterschaften in Peking zwar nicht dabei, es dreht sich dennoch alles um ihn. Vor der WM stellte er ein Video ins Internet, in dem er und andere Leichtathleten überführte Athleten als „Monster“ bezeichnen und den Weltverband IAAF angreifen, weil dieser zu wenig gegen Doping mache. Danach veröffentlichte der Berliner seine Blutwerte, andere Sportler zogen nach. „Auch wenn die Worte drastisch sind, ist es wichtig, auf das Problem aufmerksam zu machen“, sagt 400-Meter-Hürden-Läufer Felix Franz, schließlich sei das Thema zuletzt totgeschwiegen worden. „Es ist toll, wenn Athleten zeigen: Wir haben nichts zu verbergen“, meint Unger. Auch Zehnkämpfer René Stauß (LAV Stadtwerke Tübingen) findet die Aktionen im Grunde gut: „Es ist wichtig zu zeigen, dass nicht alle betrügen.“ Aber er und Unger sagen auch: „Es ist ein zweischneidiges Schwert.“

Die Nada kritisierte Harting scharf.

Die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) kritisierte Hartings Vorgehen sogar scharf, denn die Blutwerte könnten nicht nur falsch interpretiert werden, es könnte zudem der Anschein entstehen, dass Athleten, die ihre Daten nicht veröffentlichen wollen, etwas zu verstecken haben. So ähnlich sieht es auch der Stuttgarter Arne Gabius, der für LT Haspa Marathon Hamburg startet. Nach seinem letzten WM-Rennen über 10 000 Meter war er richtig sauer: „Ich finde es eine Frechheit, was mit den Athleten angestellt wird. Wir werden unter Generalverdacht gestellt.“ Er habe sich genötigt gefühlt, seine Werte auf seiner Internetseite zu veröffentlichen, weil er Hartings Video nicht geteilt habe. „Ich habe mich aber sehr schwergetan damit“, sagt Gabius, denn damit würde er wieder andere unter Druck setzen. „Es ist ein Teufelskreis.“

Von Tobias Unger gibt es Rückendeckung für den Langstreckenläufer: „Es ist schwierig, wenn so etwas zum Muss wird. Ein normaler Bürger gibt ja auch nicht alles der Öffentlichkeit preis, selbst wenn er nichts zu verbergen hat.“ Professor Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule in Köln sieht das ähnlich: „Das sind Werte, die meiner Ansicht nach schon aus Datenschutzgründen niemanden etwas angehen.“

Geteilte Meinungen hat auch Hartings Vorschlag hervorgerufen, Dopingsünder bei Wettkämpfen künftig zu kennzeichnen, zum Beispiel durch rote Trikotnummern. Felix Franz findet die Idee gar nicht so schlecht. „Viele Zuschauer wissen doch kaum etwas über die vielen Dopingfälle“, sagt der Bietigheimer, der seine Saison verletzungsbedingt früh beenden musste, „und für Veranstalter könnte es sogar peinlich werden, wenn zu viele ehemalige Doper starten. Vielleicht würden dann endlich nicht mehr so viele Betrüger sauberen Athleten Startplätze und Antrittsgelder wegnehmen.“

Digel: „Resozialisierung ist ein hohes Gut.“

Helmut Digel sieht das völlig anders. „Das ist kein intelligenter Vorschlag, man kann Menschen so nicht diskriminieren“, meint der Tübinger Sportsoziologe, der in diesem Monat aus dem Council des Weltverbands IAAF ausscheidet. „Man muss auch annehmen, dass jemand aus Fehlern gelernt hat. Resozialisierung ist ein hohes Gut.“

Die deutsche Leichtathletik steht vor der Zerreißprobe. Dabei wollen eigentlich alle dasselbe: einen sauberen Sport. „Wenn hinter jeder guten Leistung der Dopingverdacht steht, ist das keine Werbung“, sagt René Stauß. Doch Vermutungen, Anschuldigungen und ein ungutes Gefühl gibt es bei dieser WM mehr als Disziplinen. Nicht nur ein Fernsehbericht über eine Liste des Weltverbandes mit 12 000 Bluttests von rund 5000 Sportlern, von denen Hunderte dopingverdächtige Werte aufweisen sollen, sorgte für Alarm. Die IAAF gab bekannt, gegen 28 Athleten zu ermitteln, deren Proben von den Weltmeisterschaften 2005 und 2007 auf Betrug hinweisen. Untersuchungen wegen systematischen Dopings in Russland und in Kenia erschütterten ebenso das Vertrauen.

Zusammen würden die Athleten wohl mehr erreichen. Jens Kleinert rät den Sportlern, sich zusammenzusetzen: „Vielleicht finden sie eine gemeinsame Lösung oder sie stellen fest, dass die Gruppe aus unterschiedlichen Meinungen besteht.“ Auch der deutsche Verband müsse laut werden, fordert Unger: „Und die Athleten sollten sich international zusammenschließen.“

Harting hat schon wieder eine neue Idee.

Harting hat indes im Alleingang eine weitere Idee entwickelt: einen Fernsehboykott bei Wettkämpfen mit einem zu hohen Anteil an bestraften Doping-Sündern. „Einfach nicht zeigen. Das bedroht dann deren wirtschaftliche Existenz“, sagt er. Die Kritiker dieser Idee bringen sich schon in Stellung.