Vom Sofa auf die Stuttgarter Bühne von Jazz Open Foto: promo

Vor zwölf Jahren betrat Cody Chesnutt als Singer/Songwriter ohne Berührungsängste die Musikbühne. Nun ist er nach langer Pause zurück – als Bewahrer der großen Soul-Tradition.

Vor zwölf Jahren betrat Cody Chesnutt als Singer/Songwriter ohne Berührungsängste die Musikbühne. Nun ist er nach langer Pause zurück – als Bewahrer der großen Soul-Tradition.

Stuttgart - Wenn Cody Chesnutt seine kehlige Stimme erhebt und zwischen Bariton und Falsett Botschaften intoniert, dann zollt er immer auch Marvin Gaye, Curtis Mayfield und Stevie Wonder Respekt – etwas von ihrem Geist leuchtet aus „Landing On A Hundred“, Chesnutts Comeback-Album von 2012. Welcher der drei der Größte ist? „Das ist unmöglich zu beantworten!“, ruft er entrüstet, dann amüsiert er sich darüber, dass er die Frage überhaupt ernst genommen hat. „Ich wollte die Tradition und den Geist des Soul in die Gegenwart holen mit Themen, die ich für wichtig halte.“

In „I’ve Been Life“ erinnert er an Afrika als die Wiege der Menschheit: „Since my birth I’ve been the greatest attraction on the earth“, singt er („Seit meiner Geburt bin ich die größte Attraktion auf der Erde“), freilich unter Hinweis darauf, dass vieles nicht stimmt. „Es soll ein positiver Song sein für ein Afrika, das versucht, sich neu aufzubauen“, sagt Chesnutt.

Musikalisch erweitert er behutsam den Horizont: In „Till I Met Thee“ steckt der Sonnenschein des Reggae, „Don’t Follow Me“ beherrschen dunkle Ahnungen. In „Where Is All The Money Going“ treibt er eine Frage vor sich her, die sich seit der Finanzkrise 2008 viele stellen – abgesehen von einigen wenigen Profiteuren. „Es werden nach wie vor hohe Gewinne erzielt, aber sie sind sehr unfair verteilt“, sagt Chesnutt. „Ich versuche, mich in die ganz normalen Leute hineinzuversetzen, aufzugreifen, was sie wirklich umtreibt.“ Seine Familienpause habe ihm dabei geholfen, glaubt er: „Ich musste lernen, Vater zu sein, das ist eine völlig neue Perspektive. Kinder sind so ehrlich und pur, das hat mich verändert. Ich musste als Zuhörer wachsen, und das spiegelt sich in meinen Songs. “

Die sind ausgestaltet mit fetten Grooves, Bläsersätzen, mächtigen Damenchören – allem eben, was zum Soul gehört. Im Zentrum aller Stücke steht unaufdringlich, aber omnipräsent und prägend Chesnutts Gitarre, aufgeladen mit der rebellischen Energie des Rock. Und man kann sich vorstellen, dass die Melodien und Wechsel auch dann tragen würden, wenn er sie alleine vortragen wollte, als Singer/Songwriter alter Schule.

In seinen Texten steht vieles zwischen den Zeilen, erschließt sich nur in Assoziationen. Wie auf Chesnutts Debüt „The Headphone Masterpiece“ beim Titel „The Seed“. Vordergründig geht es da um einen Mann im Zwiespalt: Weil er ein Kind möchte, seine Freundin aber nicht, träumt er davon, eine andere zu schwängern – den Betrug offensiv abwägend. Damals ließ er in Andeutungen durchblicken, in Wahrheit handle es sich um eine Parabel über afroamerikanische Musik, Glaubwürdigkeit, Business: „Rock’n’Roll“ solle das Seitensprung-Baby heißen, sang er – und Rock’n’Roll war auch das Etikett, das die von Weißen dominierte Musikindustrie dem schwarzen Rhythm & Blues gab, ehe sie mit weißen Künstlern Millionengewinne einfuhr. Heute sagt er nur diplomatisch: „Jeder hat die Freiheit, den Geist des Soul und des Blues von seinem eigenen Standpunkt aus zu definieren.“

Er selbst hat das konsequent getan und für „Landing On A Hundred“ die legendären Royal Studios in Memphis ausgewählt, wo vor ihm Soul- und Blues-Größen wie Al Green, Buddy Guy, Ike & Tina Turner Platten aufnahmen. „Meine Hände haben gezittert, ich habe in dasselbe Mikrofon gesungen, das Al Green benutzt hat“, sagt er. „Nichts hat sich dort verändert, und genau das habe ich gesucht: Ich wollte ein analoges Studio, denn Tonbandaufnahmen haben eine Wärme und bestimmte Klangfarben, die man digital einfach nicht bekommt.“

Einen Teil der Produktion hat Chesnutt über Crowdfunding im Internet finanziert. „Zuerst wollte ich das alleine stemmen“, sagt er, „habe aber gemerkt, dass ich ständig über Geld nachdachte. Also habe ich einen Weg gesucht, mir finanzielle Freiheit zu verschaffen, um mich voll auf die Musik konzentrieren zu können.“

Was neben dem Vollbart des Musikers sofort ins Auge sticht ist seine Kopfbedeckung – was für Pharell Williams sein Wildhüter-Hut, ist für Cody Chesnutt sein Soldatenhelm. „Es gefällt mir, mit der Symbolik zu spielen, das entspricht dem Geist meiner Musik“, sagt er. „Man verbindet damit Krieg, das Nehmen von Leben, und ich sehe mich als jemanden, der dem Leben zugewandt ist und Licht in die Welt bringen möchte.“