Im Gazastreifen ist sauberes Wasser Mangelware Foto: dpa

EU-Parlamentspräsident Schulz sticht mit seinen Äußerungen zur Wasserverteilung in ein Wespennest. Die Aufteilung des kostbaren Guts ist in der wasserarmen Nahost-Region höchst umstritten.

Tel Aviv - Haben Palästinenser im Westjordanland weniger Wasser als Israelis? Als er diese Frage in seiner Rede vor der Knesset stellte, löste Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, in Israel einen  Eklat aus. Siedler waren empört, Premierminister Benjamin Netanjahu beschuldigte Schulz, Israel grundlos und auf Basis falscher Fakten anzuklagen. Doch wie steht es tatsächlich um das Wasser im Westjordanland – und wer trägt die Schuld an Versorgungsmängeln?

Wer durch das von Israel besetzte Westjordanland reist, kann israelische Siedlungen und arabische Dörfer von weitem unterscheiden. Die Siedlungen sind der Inbegriff des kleinbürgerlichen Traums vom Häuschen im Grünen: ordentlich angelegte Reihenhäuser mit roten Ziegeldächern. Palästinensische Dörfer hingegen wirken mehr wie chaotische Konglomerate: Die Gebäude sind alle in einem Zustand nicht enden wollender Renovierungsarbeiten. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal: Siedlungen sind voller Bäume und Blumen, während durch die löchrigen Gassen arabischer Ortschaften der Staub weht.

Auf israelischen Häusern stehen runde, weiße Tonnen – Durchlauferhitzer, die das Wasser mit Solarkraft erhitzen. Auf palästinensischen Dächern sucht man danach vergeblich. Hier sieht man schwarze Plastiktonnen – Wasserspeicher für die Zeit, in denen die Versorgung wieder einmal brachliegt.

„Jeden Sommer ist es schlimmer als im Vorjahr“, berichtete Juliert Banura, eine 35 Jahre alte Mutter von Zwillingen aus Beit Jala, einem Vorort der palästinensischen Stadt Bethlehem, der israelischen Tageszeitung „Haaretz“: „Manchmal haben wir zehn, 15 oder 20 Tage kein Wasser, manchmal sogar zwei Monate lang nicht.“

Außer Zweifel steht: Aus palästinensischen Wasserhähnen kommt weniger Wasser als aus israelischen. Was der Grund dafür ist und welches Ausmaß das Problem hat, darüber streiten sich Israelis und Palästinenser. Eindeutige Statistiken gibt es nicht.

Wer den Pro-Kopf-Verbrauch in den besetzten Gebieten errechnen will, muss zunächst wissen, wie viele Palästinenser dort leben. Genau weiß das aber niemand, Schätzungen sind oft politisch motiviert. So wollen die Palästinenser rund eine Million mehr Bewohner im Westjordanland wissen als Anhänger der Siedler.

Und wie viel Wasser nutzt die unbekannte Zahl der Bewohner? Laut einer Studie der Weltbank aus dem Jahr 2009 standen Palästinensern im Jahr 2007 rund 123 Liter Wasser pro Tag zur Verfügung – Schulz hatte in seiner Rede von 17 Litern gesprochen. Auch die Organisation für humanitäre Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UNOCHA) gab den palästinensischen Wasserverbrauch 2012 mit 70 Litern pro Kopf und Tag an. Laut beiden Berichten hatten die Israelis Zugang zu viermal mehr Wasser. Israels Wasserbehörde hantiert mit anderen Daten: Demnach verfügten Palästinenser 2009 über durchschnittlich 95 000 Liter Wasser im Jahr, Israelis über nur 1,44-mal so viel.

Das Hauptproblem liegt außerhalb der großen Städte: 113 000 Palästinenser sind noch immer nicht ans Wassernetz angeschlossen, davon 50 000 in den C-Gebieten, den Teilen des Westjordanlands, die ausschließlich von Israel kontrolliert werden. Hier nutzen manche Menschen nur etwa 20 Liter Wasser am Tag. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt ein Minimum von 100 Litern. Um überhaupt Wasser zu haben, müssen die Menschen es hier in Zisternen horten oder im Sommer in Lastwagen antransportieren. Die ärmsten Palästinenser zahlen daher am meisten für Wasser. In manchen Haushalten betragen die Kosten für Wasser 40 Prozent der monatlichen Ausgaben.

Nicht nur die tatsächlichen Zahlen, auch die Ursachen dieses Unterschieds sind umstritten. Die Israelis weisen auf das marode palästinensische Wassernetz hin: Rund ein Drittel des Wassers versickert ungenutzt. Israel hingegen nutzt rund 80 Prozent jedes Liters Trinkwasser ein weiteres Mal. In der Landwirtschaft wird die Tröpfchentechnologie angewandt, während Palästinenser ihre Felder oft noch mit Trinkwasser schwemmen. Außerdem entsalzen die Israelis Hunderte Millionen Kubikmeter Meerwasser. Den Palästinensern steht diese Option nicht offen.

Die Verteilung von Wasser regelt bislang das Abkommen von Oslo aus dem Jahr 1995. Demnach kann Israel sich brüsten, den Palästinensern mit 70 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr weitaus mehr zu geben als die 23,6 Millionen, zu denen es verpflichtet ist. Der Vertrag sollte nur fünf Jahre gelten, ein Folgeabkommen wurde nie ausgehandelt.  Die Palästinenser bemängeln, dass die Oslo-Verträge längst überholt sind, die Bevölkerung über die damaligen Schätzungen gewachsen sei. Zudem verhindere Israel die Instandhaltung und den Ausbau des bestehenden Wassernetzes in den besetzten Gebieten – mit dem Resultat, dass ihnen jedes Jahr eine Million Kubikmeter Wasser weniger zur Verfügung stünden. Während jedes der Bauvorhaben für Siedlungen genehmigt werde, erhielten Palästinenser nur in 50 bis 80 Prozent die Erlaubnis, Wasserrohre zu verlegen, und das nach viel längerer Zeit als die Siedler.

Nur in einem Punkt herrscht bezüglich des Wassers Klarheit: Im Gazastreifen, der überhaupt kein Wasser aus Israel erhält und alles aus einem erschöpften und verschmutzten Brunnen pumpt, ist die Lage verheerend. Rund 90 Prozent des Wassers sind hier zum Trinken ungeeignet. Krankheiten, die durch verschmutztes Wasser verursacht werden, sind vor allem bei Kindern sehr häufig. Die Weltgesundheitsorganisation befürchtet, dass das gesamte Grundwasser im Gazastreifen bereits 2016 ungenießbar werden könnte. Menschen in dem dicht besiedelten Landstrich, der zu arm ist, um Wasser zu entsalzen, hätten dann überhaupt nichts mehr zu trinken.