Isabelle Hupperts neuer Film „Happy End“ kommt an diesem Donnerstag in die deutschen Kinos. Die Französin erzählt, warum man als Schauspielerin sehr naiv sein muss – und trotzdem immer misstrauisch. Foto: dpa

Isabelle Hupperts neuer Film „Happy End“ kommt an diesem Donnerstag in die deutschen Kinos. Die Französin erzählt, warum man als Schauspielerin sehr naiv sein muss – und trotzdem immer misstrauisch.

Paris - Ein Interview mit Isabelle Huppert ist eine Herausforderung. Denn auf den ersten Blick scheint die Französin kühle Distanz zu wahren. Doch diese Haltung wechselt schnell in eine andere Stimmung, wenn man sich nicht zu sehr von „La Huppert“ beeindrucken lässt. Die 64-jährige mag feine Ironie und freut sich über Komplimente. In ihrem neuen Film „Happy End“, der vierten Zusammenarbeit mit Regisseur Michael Haneke, geht es um den moralischen Verfall einer großbürgerlichen Familie.

Madame Huppert, die Zusammenarbeit von Schauspieler und Regisseur ist nicht immer von Harmonie geprägt, es kann durchaus auch zu Momenten der Reibung kommen. Wie bewerten Sie Ihre Arbeit mit Michael Haneke?
Es ist sehr leicht für mich, Filme mit Michael Haneke zu machen. Alles ist sehr einfach. Er hat ein großartiges Gefühl für den richtigen Rhythmus eines Films. Er lässt den Schauspielern Raum. Und er ist besessen von den technischen Aspekten einer Szene. Das gefällt mir. Denn er hat den Anspruch, eine Szene auf der Leinwand so real wie möglich aussehen zu lassen. Er will die Wahrheit zeigen, keine Lügen. Ich mag seine Kompromisslosigkeit.
Es heißt, dass Michael Haneke eher schmale Drehbücher schreibt. Wie arbeiten Sie als Schauspielerin damit?
Es stimmt, seine Drehbücher sind eher minimalistisch. Trotzdem ist genug Material darin, um meine Fantasie als Schauspielerin anzuregen und meine Rolle erschaffen zu können.
Wie gehen Sie vor, um eine Figur überzeugend zu spielen?
Es geht darum, wirklich im Moment zu sein. Es gibt weder etwas davor, noch danach, nur diesen Augenblick. Die Gefühle, die ich ausdrücke, entstehen in einer speziellen Situation. Übrigens stelle ich mir selbst auch nicht zu viele Fragen, wenn ich spiele. Ich vertraue lieber auf meinen Instinkt.
Haben Sie als Schauspielerin so etwas wie einen Handwerkzeugkasten, aus dem Sie sich bedienen?
Ich habe einen Handwerkzeugkasten an Figuren und Identitäten, auf die ich zurückgreife.
Wie viele Figuren finden Sie darin?
Die Zahl ist unendlich. Denn die Figuren verändern sich jeden Tag. Der Inhalt dieses Kastens ist ständig in Bewegung. Aber ich verstaue in diesem Kasten nicht meine alten Rollen. Die sind mit dem letzten Drehtag abgespielt und vergessen.
Vor der Kamera liefern Sie sich Ihrem Regisseur ganz aus. Woher nehmen Sie dieses Vertrauen?
Ich vertraue vor allem mir selbst. Ja, ich brauche dieses Vertrauen. Denn letztendlich muss ich mich vor der Kamera wohl fühlen, um selbstbewusst genug zu sein. Ich verrate Ihnen jetzt einmal etwas: als Schauspielerin muss man ein sehr naiver Mensch sein und gleichzeitig sehr misstrauisch. Sonst bist du tot.
Viele Ihrer Kolleginnen verändern ihr Äußeres, um in neuen Rollen zu überzeugen. Sie sehen eigentlich immer aus wie Isabelle Huppert.
In der Regel muss ich mein mein Äußeres nicht stark verändern, um eine Figur überzeugend auf die Leinwand zu bringen. Auch ich nehme Modifikationen vor. Doch die finden sehr stark in meinem Inneren statt. Wenn ich dann spiele, strahlt das nach außen.
Wie widerstehen Sie der Versuchung, sich als Diva aufzuführen, was Sie ja durchaus könnten?
Ich habe ein sehr gutes Gespür für Lächerlichkeit. Mich wie eine Diva aufzuführen, wäre einfach lächerlich. Lächerlich möchte ich nicht sein. Ich bin zu stolz, um als Karikatur zu enden. Das Problem ist nur, dass Zielstrebigkeit manchmal mit Kapriziösität verwechselt wird. Ich weiß sehr genau, was ich will. Und da kann ich auch sehr resolut werden. Dann gibt es Spannungen am Drehort und es heißt sofort: dieser Schauspieler ist anstrengend und kapriziös. Gerade bei Frauen. Bei Männern heißt es, sie sind stark. Frauen sind schnell Zicken. Aber ich bin nicht kapriziös, ich will nur, dass der Film gut wird.
Sie spielen mit derselben Intensität wie zu Anfang Ihrer Karriere, drehen einen Film nach dem anderen. Was treibt Sie nach dieser langen Karriere immer noch an?
Immer noch dasselbe Motiv, das mich als junge Schauspielerin angetrieben hat. Ich möchte mit bestimmten Künstlern zusammenzuarbeiten, die ich interessant finde. Das ist für mich immer der Schlüssel. Wenn ich mit jemanden arbeiten muss, den ich nicht mag, dann wird alles sehr schwierig und man hat kein gemeinsames Ziel. Aber eigentlich weiß ich gar nicht, wovon ich rede, denn das ist mir glücklicherweise noch nie passiert.
Gehen Sie eigentlich noch ganz regulär ins Kino?
Na klar. Da sollte man Filme doch sehen, oder?
Welchen Film haben Sie zuletzt im Kino gesehen?
Ich bin Besitzerin eine kleine Kinos in Paris. Es heißt „Christine 21“ und mein Sohn leitet es jetzt. Er ist Geschäftsführer und gleichzeitig für das Programm verantwortlich. Zuletzt habe ich dort einen alten Film von John Ford gesehen.

Erfolgreich auf Leinwand und Bühne

Isabelle Huppert (64) ist seit mehr als vier Jahrzehnten eine feste Größe im internationalen Filmgeschäft. Zu den frühen Erfolgen ihrer Karriere zählen „Die Ausgebufften“, „Der Richter und der Mörder“ und „Die Spitzenklöpplerin“. Die Französin drehte häufig mit Regisseur Claude Chabrol. Mehrfach arbeitete sie auch mit dem österreichischen Regisseur Michael Haneke. In dessen Film „Die Klavierspielerin“ spielte sie die Rolle der Erika Kohut, für die sie in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. 2009 war Huppert Jury-Präsidentin der Filmfestspiele.

Huppert tritt auch immer wieder als erfolgreiche Theaterschauspielerin auf. Sie kann auch singen, wie sie 2001 mit dem Liederzyklus „Madame Deshoulières“ und nicht zuletzt im Film „8 Frauen“ (2002) bewies. Seit 1982 ist Huppert mit Ronald Chammah verheiratet, das Paar hat drei Kinder.