Ein Mitarbeiter des Kinderhilfswerks Unicef trägt ein syrisches Kind. Foto: DPA

Oft riskieren sie ihr Leben, um anderen zu helfen: 329 humanitäre Helfer wurden im vergangenen Jahr angegriffen. Humanitäre Prinzipien werden in vielen Konfliktgebieten missachtet.

Berlin/Stuttgart - Mehr als 100 Millionen Menschen sind in diesem Jahr auf humanitäre Hilfe angewiesen – diese Zahl nennt Ban Ki-moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen, anlässlich des Internationalen Tages der humanitären Hilfe.

„Der Bedarf an humanitärer Hilfe war noch nie so hoch wie jetzt“, sagt Martin Keßler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe. Den heutigen Gedenktag hält er deshalb für „absolut notwendig“. Denn Hilfskräfte riskieren oftmals ihr Leben, wenn sie das Leid der Menschen in Kriegs- und Krisengebieten lindern wollen: Für das Jahr 2014 weist der Aid Worker Security Report 329 Helfer aus, die angegriffen wurden. Davon wurden 120 getötet, 88 verwundet und 121 entführt. Die meisten Angriffe ereigneten sich in Afghanistan, Syrien, dem Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik und Pakistan. Vor diesem Hintergrund dient der Internationale Tag der humanitären Hilfe dazu, das Engagement der Helfer zu würdigen und den im Einsatz Getöteten zu gedenken. Gleichzeitig nutzen viele Hilfsorganisationen das Datum, um auf die humanitäre Situation in der Welt aufmerksam zu machen.

Humanitäre Prinzipien werden verletzt

„Es gibt einen Anstieg von Konflikten, und dabei gibt es viele Gebiete, in denen die humanitären Prinzipien verletzt werden“, hat Martin Keßler beobachtet. Das bedeute, dass beispielsweise Krankenhäuser gezielt angegriffen werden. „Wo ein Krieg gegen den Westen geführt wird, wird jeder Repräsentant einer westlichen Organisation attackiert – auch wenn er humanitäre Hilfe leisten will“, beschreibt er die Situation. Unter anderem tragen auch diese Faktoren dazu bei, dass die Anzahl der angegriffenen Helfer im Zehnjahresvergleich gestiegen ist. Wenn es für die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen zu gefährlich wird, weil beispielsweise das Risiko einer Entführung zu hoch ist, muss die humanitäre Hilfe in den betroffenen Gebieten eingestellt werden. „Das hat für die Bedürftigen fatale Folgen“, betont Keßler. „Derzeit gibt es etwa in Syrien weite Teile, zu denen wir keinen Zugang haben.“ Dabei spiele sich dort die derzeit größte humanitäre Krise ab.

Angesichts dessen fordert der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe die Politik dazu auf, stärker darauf zu drängen, dass zumindest staatliche Konfliktparteien die humanitären Prinzipien beachten. „Und es wäre hilfreich, wenn sich die internationale Gemeinschaft mehr für die Lösung von Konflikten einsetzen würde“, sagt er und warnt davor, dabei bestimmte Akteure auszugrenzen. „Auch wenn die Aussicht auf Erfolg gering ist, dass es gelingt, mit den Taliban oder Boko Haram zu verhandeln, sollte man es zumindest versuchen. Man sollte sich auch fragen, wer die Konfliktparteien finanziert und welchen Beitrag wir selbst dazu leisten.“

Vergessene Katastrophen

Neben all den medial präsenten Krisenherden gibt es Keßler zufolge auch die so genannten „vergessenen Katastrophen“ – etwa den Krieg in Somalia. „Unser Einsatz in diesen Gebieten wird fast ausschließlich von institutionellen Geldgebern finanziert, zum Beispiel der EU oder dem Auswärtigen Amt“, erklärt er. Es sei schwierig, die Öffentlichkeit zu Spenden für Kriegsgebiete zu animieren. „Es gibt viele Gebiete, in denen wir gerne mehr tun würden“, resümiert Keßler. Eine, die etwas tut, ist Caroline Hüglin, Programmverantwortliche für den Irak bei der Diakonie Katastrophenhilfe. Sie arbeitet im Regionalbüro Istanbul und fährt etwa alle fünf Wochen für rund zehn Tage in den Nordirak.

„Ich bin quasi das Bindeglied zwischen der Diakonie Katastrophenhilfe und unseren lokalen Partnerorganisationen“, beschreibt sie ihre Aufgabe. Hügelin stellt sicher, dass Projekte erfolgreich umgesetzt werden und Spendengelder dort ankommen, wo sie gebraucht werden. „Es ist aber auch sehr wichtig, sich ein genaues Bild von der Situation der Betroffenen zu machen, um adäquat darauf reagieren zu können“, betont die 30-Jährige.

Regelmäßige Sicherheitstrainings

Bevor sie eine Reise antritt, wird die jeweilige Sicherheitslage ausführlich analysiert und ein genauer Reiseplan erstellt. „Wenn ich vor Ort bin, melde ich mich morgens und abends bei meinem Kollegen“, sagt Hüglin. Es gibt regelmäßige Sicherheitstrainings, damit die Mitarbeiter wissen, wie sie sich in vermintem Gebiet oder bei einer Entführung verhalten sollen. Wird die Lage zu gefährlich, etwa durch einen Vormarsch des IS, wird die Reise sofort abgebrochen. Das ist Hüglin bisher nicht passiert, auch eine brenzlige Situation hat sie noch nicht erlebt. „Es ist ein relativer Luxus, dass wir im Notfall ausreisen können. Unsere rund 200 lokalen Helfer, ohne die unsere Arbeit überhaupt nicht funktionieren würde, setzen sich permanent dem Risiko aus“, betont sie.

Die Entscheidung, in Krisengebieten zu helfen, hat sie „aus Überzeugung“ getroffen: „Ich bin mir bewusst, dass mein Lebensstandard nicht selbstverständlich ist und es der Mehrheit der Menschen nicht so gut geht.“ Umso trauriger ist Hüglin darüber, dass der Fortbestand vieler Projekte sehr unsicher ist – es mangelt an ausreichender Finanzierung.

Online-Kampagne der UN

Das UN-Büro für humanitäre Hilfe (OCHA) hat anlässlich des Internationalen Tags der Humanitären Hilfe die Aktion #sharehumanity gestartet. Dabei können twitter-Nutzer ihre Profile Menschen aus Krisengebieten für deren Berichte zur Verfügung stellen. Auch viele Prominente beteiligten sich bereits an der Aktion.