Auf der Suche nach einer Schule Foto: dpa

Kultusminister Andreas Stoch hat entschieden: Der Junge mit Down-Syndrom darf nicht auf seine Wunschschule in Walldorf. Er will die Schule nicht gegen ihren Willen dazu zwingen.

Stuttgart - Seit Monaten steht Walldorf im Blickfeld der Öffentlichkeit. Im Februar lehnte die Lehrerkonferenz des örtlichen Gymnasiums den Antrag von Henris Eltern ab, nach den Sommerferien ihren Sohn mit Down-Syndrom in die fünfte Klasse aufzunehmen. Der Junge sei am Gymnasium überfordert und werde nie das Abitur erreichen, argumentierte die Schule.

Auch sei sie auf die Aufgabe nicht vorbereitet und sich der verlässlichen Unterstützung durch die Schulverwaltung nicht sicher. Die örtliche Realschule – vom Staatlichen Schulamt Mannheim als Alternative angeboten – sprach sich in dieser Woche ebenfalls dagegen aus, Henri zuzulassen. Die Eltern, die wollen, dass ihr Sohn weiter mit seinen Freunden lernen kann, appellierten darauf an Kultusminister Andreas Stoch, das Gymnasium zu einem Schulversuch zu verpflichten.

Doch der SPD-Politiker hat jetzt eine andere Entscheidung getroffen. Er will den Beschluss der beiden Schulen nicht aufheben. Stattdessen schlug das Staatliche Schulamt Mannheim am Freitag den Eltern vor, den Jungen an die örtliche Werkrealschule oder eine der beiden Gemeinschaftsschule in St. Leon oder Schwetzingen zu schicken. Darüber soll in nächster Zeit mit Eltern, Lehrern, Schulträgern und anderen Beteiligten ein Gespräch geführt werden, eine so genannte Bildungswegekonferenz.

„Diese Schulen verfügen über Erfahrungen mit dem inklusiven Unterricht von jungen Menschen mit und ohne Behinderung und bieten gute Rahmenbedingungen“, sagte Stoch. Gute pädagogische und sonderpädagogische Förderung setze voraus, „dass Henri an der Schule willkommen ist“.

Die Entscheidung in Walldorf sei ein Einzelfall und könne nicht auf andere Situationen übertragen werden, betonte Stoch. „Inklusion ist Aufgabe aller Schulen und Schularten.“ Das Gymnasium und die Realschule Walldorf sähen sich zwar noch nicht in der Lage, ein behindertes Kind zieldifferent unterrichten und fördern zu können. „Ich erwarte aber von ihnen, dass sie sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen, um für diese Aufgabe, die ab 2015 Schulen aller Schularten betrifft, gut vorbereitet zu sein.“

Eigentlich sollte in Baden-Württemberg bereits zum Schuljahr 2014/15 ein Inklusionsgesetz in Kraft treten. Weil aber noch viele Fragen, darunter auch die Finanzierung, ungeklärt sind, wird es erst im nächsten Jahr verabschiedet. Dann wird die Sonderschulpflicht abgeschafft, und Eltern können darüber entscheiden, ob ihr Kind eine Sonderschule oder eine allgemeine Schule besuchen wird.

Ein absolutes Elternwahlrecht für eine bestimmte Schule werde es aber auch nach der Änderung des Schulgesetzes nicht geben, sagte Stoch. „Ausschlaggebend für die Entscheidung muss immer die Frage sein, wie das Kind am besten gefördert werden kann und ob die Rahmenbedingungen an einer Schule dem Wohl des Kindes tatsächlich entsprechen.“

Rückendeckung erhielt Stoch vom Behindertenbeauftragten der Landesregierung, Gerd Weimer. „Wenn der Junge weder am Gymnasium noch an der Realschule willkommen ist, ist es für das Kind nicht gut, eine Entscheidung gegen das Lehrerkollegium zu treffen.“

Die Eltern Henris äußerten sich am Freitag nicht zu der Entscheidung. Kritik kam hingegen von der Lebenshilfe, die sich für Menschen mit geistiger Behinderung einsetzt. „Niemand darf sich einfach wegducken. Alle müssen mit anpacken, damit Inklusion in unserem Land Wirklichkeit werden kann“, sagte die Bundesvorsitzende und frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD).

„Alle drei Varianten bedeuten den Verlust seiner derzeitigen Schulkameraden oder sogar den Transport in ein völlig neues Umfeld“, kritisierte Rotraut Engler-Soyer von der Elterninitiative Rhein-Neckar. „Beides widerspricht den Wünschen der Eltern und ihrem Erziehungsplan, den zu achten die Schulverwaltung laut Schulversuchsordnung zu respektieren aufgerufen ist.“

Deutschland hat 2009 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet und sich verpflichtet, Behinderten die Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft zu ermöglichen. An immer mehr allgemeinen Schulen ist die Inklusion von Kindern mit Körper- oder Sinnesbehinderungen Wirklichkeit – auch an dem Gymnasium in Walldorf. Mit Geistigbehinderten tun sich viele Schulen noch schwer – trotz Unterstützung durch Sonderpädagogen.