Die vierte industrielle Revolution ist voll im Gange. Foto: Fotohansel/Fotolia

Große Veränderungen brauchen Zeit. Das ist auch so mit der vierten industriellen Revolution: der digitalen Produktion. So etwas muss reifen.

Für Liebhaber von Kuscheltieren ist Giengen an der Brenz die Hauptstadt der Teddybären. Für BSH Hausgeräte ist die Kleinstadt im Osten Baden-Württembergs das Technologie- und Produktionszentrum für Kühlschränke und Gefriergeräte. In Giengen werden sie entwickelt und hergestellt, rund 1,6 Millionen Stück pro Jahr. Etwa 2500 Beschäftigte hat Bosch in Giengen, und es werden nicht weniger werden, selbst wenn alle Produktionslinien vernetzt sind, Maschinen sich selbst rüsten. Davon ist Roland Weber, Leiter der Fertigungsplanung, überzeugt. BSH Hausgeräte stellt die Produktion auf Industrie 4.0 um. Schritt für Schritt. Im Januar 2015 wurde eine vernetzte Produktionslinie in Betrieb genommen. 'Es ist die modernste im gesamten Konzern', sagt Weber stolz.

Sein Mitarbeiter Christian Borgmann (30) ist der Projektleiter. Er ist der neue Typ Ingenieur in der digitalen Fertigung, der interdisziplinär denkt und handelt. Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik, das sind die Disziplinen, die in den Fabriken der Zukunft Hand in Hand harmonieren müssen. Borgmann hat nach seinem Wirtschaftsingenieurstudium als Fertigungsplaner bei BSH Hausgeräte angefangen. Vor drei, vier Jahren hörte er davon, dass sein Arbeitgeber die Produktion auf Industrie 4.0 umstellen will. Industrie 4.0 ist Synonym für die digitale, vernetzte, sich selbst organisierende Fabrik: Datenbrillen, die Monteuren visuelle Konstruktionsinformationen liefern; Produkte, Transportmittel und Werkzeuge, die Informationen austauschen; oder durchgängige Datenverbindung zwischen Entwicklung und Produktion bis hin zum Service. 'Mit unserer Linie 82 haben wir schon einen großen Schritt in Richtung Industrie 4.0 getan', sagt Borgmann. Am 19. Januar 2015 lief sie an. Im November 2014 wurde die alte Fertigungslinie ab-, dann die Linie 82 aufgebaut. Sie ist 350 Meter lang, auf ihr werden große Einbaugeräte gefertigt: reine Kühlschränke oder Kühlschränke mit Gefriergeräten in Kombination. 25 unterschiedliche Modelle werden gefertigt für fünf Marken.

Varianz so spät wie möglich

Neff und Constructa gehören dazu. Sie unterscheiden sich im Design und damit auch in der Produktion. Die etwa 25 Maschinen an der Linie sind über einen Glasfaserring miteinander vernetzt, tauschen darüber Informationen aus. Produziert wird nach der Philosophie: Varianz so spät wie möglich. 'Deshalb ist der Automatisierungsgrad in der Vormontage deutlich höher als in der Endmontage', sagt Borgmann. Vorn am Band arbeiten wenige, weiter hinten mehr Mitarbeiter, wenn die Teile montiert werden, die den Marken- und Typunterschied ausmachen.

Eine energieeffiziente Steuerung zum Beispiel. Im Frühjahr 2014 wurde Borgmann Projektleiter. Seine Aufgaben waren die Planung des Netzwerkes, Daten-Visualisierung, -Reporting und -Anbindung sowie, Schnittstellen zum Datensammler zu schaffen. Das ist eine Datenbank, über die im Produktionsleitsystem Informationen der Linien grafisch aufbereitet und visualisiert werden. Etwa 30 Ingenieure und Informatiker waren an dem Projekt beteiligt. 'Wir haben ein Jahr geplant, moderne Maschinen gekauft und die Linien aufgebaut', sagt Borgmann. Der Preis dafür: ein zweistelliger Millionenbetrag. 'Das Investment lohnt sich', weiß Weber, 'wir produzieren jetzt kostengünstiger.' Weil alle Daten der Linien von allen Maschinen vorliegen, werden schneller Schwachstellen gefunden.

'Wir müssen nicht mehr suchen, an welcher Stelle der Fehler liegt.' Zudem sind die Linien flexibler in der Produktion und ressourceneffizienter. Beispiel Strom: in der Ziehanlage werden aus Kunststoffplatten die Innenbehälter von Kühlschränken warm geformt. In der alten Linie wurde die Anlage zu 70 Prozent weitergeheizt, auch wenn sie fünf Stunden stand. Heute fährt sie bei Stillstand automatisch auf 20 Prozent herunter. Und es spielt keine Rolle, an welcher Stelle der Produktionslinie der Fehler liegt. Die Informationen darüber liefern die Daten. Präzise und schnell.

Auch die Vorarbeiter erhalten SMS

Innerhalb von 30 Sekunden wird der zuständige Prozessingenieur per SMS informiert. Und auch die Mitarbeiter an der Linie haben technische Mittel wie Notknöpfe, um Vorabeiter über drohende oder tatsächliche Stillstände zu informieren. Auch die Vorarbeiter erhalten SMS, und auch sie wissen aufgrund der Informationen sofort, wo der Schuh drückt. Ob Linienmitarbeiter, Maschinenführer, Fertigungsingenieur: 'Alle an Industrie 4.0 Beteiligten müssen sich weiterentwickeln', sagt Weber. Er hat 90 Mitarbeiter in der Fertigungsplanung, davon sind die meisten Ingenieure. 'In der vernetzten Fabrik haben wir viel mehr an Informationen, die wir verarbeiten müssen und können.' Schritt für Schritt geht es nun weiter bei BSH Hausgeräte in Giengen.

Im Sinne von Industrie 4.0 sind die Maschinen vernetzt. Was fehlt, sind die Informationen an den Bauteilen darüber. Diese Information tauschen Bauteil und Maschine aus, die Maschine rüstet sich dann zur Bearbeitung des jeweils folgenden Produktionsschritts automatisch. 'Mit der Universität Darmstadt suchen wir in einem Pilotprojekt nach einem geeigneten System', sagt Borgmann. Das könne ein Laser, Transponder oder Barcode-Aufkleber sein. Bis zum Ende dieses Jahres sollen die Bauteile die Informationen tragen. 'Dann haben wir ein echtes cyberphysisches System', so Borgmann. Cyber-physische Systeme sind das Herzstück von Industrie 4.0. Erst sie machen eine ganzheitliche Integration von Automation, Prozess- und Unternehmenssteuerung bis hin zur Wartung der Anlagen möglich.