Nayla, der wohl am häufigsten gestreichelte Hund auf der Baar, zusammen mit Klassenlehrer und Herrchen Jens Ender sowie Canel, Sascha und Leon vom Betreuungsteam (von links) Foto: Niederberger Foto: Schwarzwälder-Bote

Lernhelfer: Lucian-Reich-Schule hat vierbeiniger Kollegin / Hündin sorgt für Ruhe im Klassenzimmer

I Tiere in der Schule gab’s schon immer. Früher tauchten sie meist im Biologieunterricht auf und dann in ausgestopfter Variante.

Hüfingen (hon). Heutzutage setzen aber immer mehr Schulen auf Tiere aus Fleisch und Blut, genauer auf Hunde. Sie bieten Trost und können zuhören – was man nicht von allen Menschen behaupten kann. Und sie haben eine Reihe von positiven Effekten auf den Unterricht. Die Präsenz eines Hundes hilft schon. Er mag alle gleich, egal wie gescheit ein Kind ist oder woher dessen Großeltern stammen. Und er macht keine Noten.

An der Hüfinger Lucian-Reich-Schule ist Labrador-Hündin Nayla, gerade einmal knapp zweieinhalb Jahre alt, der vierbeinige Lernhelfer. Sie gehört Lehrer Jens Ender. Er ist Klassenlehrer der 9b und auch Vertrauenslehrer. Da er mit dem Reporter als Treffpunkt das Lehrerzimmer ausgemacht hatte, parkte er Nayla zuvor im Klassenzimmer. Als der 31-Jährige dort wieder mit seinem Begleiter ankommt, spielt Nayla gerade mit einem Schüler. Sie hält ihr Spielzeug im Maul, an dessen anderem Ende ein Junge zieht. Wer von den beiden hat gerade mehr Spaß? Doch dann ist Schluss mit lustig. Nayla wird von Jens Ender auf ihr Hundebett geschickt. Sie legt sich hin, rechts von der Schnauze das Spielzeug, links ein Kauknochen. Neben der Hundedecke steht ein Wassernapf. Leon, Sascha, Pascal und Tim sind das Betreuungsteam von Nayla und haben dafür Sorge zu tragen, dass die Hündin immer einen gefüllten Wassernapf vorfindet. Sie nehmen ihre Aufgabe sehr ernst.

Im Englischunterricht wird an diesem Tag ein Rap-Song zum Thema Rassismus behandelt. Zunächst im klassischen Frontalunterricht, dann geht’s in kleinen Arbeitsgruppen weiter. Als sich die Schüler neue Plätze suchen, wird auch Nayla wieder munter. Sie streift durchs Klassenzimmer, schnüffelt an den Ranzen und holt sich einige Streicheleinheiten ab. Dabei macht sie keinen Mucks. Selbst bei der Gruppenarbeit bleiben die Jungen und Mädchen leise – denn die Teenager wissen, dass Hunde auf Krach sehr sensibel reagieren. "Seit Nayla bei uns ist, sind wir viel ruhiger geworden und können uns auch besser konzentrieren", sagt Leon.

Auch Klassenkamerad Canel hat die Hundedame ins Herz geschlossen und ergänzt: "Meine Mutter sagt, dass ich jetzt nicht mehr so verrückt bin wie früher." Nebensitzerin Esra hatte zunächst ein bisschen Angst vor Nayla, weil sie eine schlechte Erfahrung mit einem Hund gemacht hatte. "Mir ist mal ein Rottweiler hinterhergerannt", erzählt sie. Lehrer Jens Ender leinte seine Hündin deshalb zunächst an seinem Schreibtisch an, bis das Eis gebrochen war. Mittlerweile kann auch Esra ihre Hand nicht an sich halten, wenn Nayla zu ihr läuft.

Nach dem Englischunterricht hat Jens Ender eine Freistunde – und als Vertrauenslehrer auch dann etwas zu tun. Ein Treffen mit den Klassensprechern steht an. Themen sind das Mensa-Essen und eine Nikolaus-Verschenkaktion. Als der Pädagoge die Besprechung kurz verlässt, bleibt Nayla im Zimmer zurück. Das ist für sie kein Problem. Und für die Klassensprecher auch nicht. Sie haben gelernt: Auch ohne Herrchen in der Nähe ist Nayla eine ganz Liebe. Das weiß auch Rektor Franz Dury, der dem Schulhund-Projekt von Beginn an ganz offen gegenüber stand. "Dafür bin ich ihm sehr dankbar", sagt Jens Ender, der – man kann's sich denken – mit Hunden aufgewachsen ist. Er hatte von Anfang an vor, den Labrador als Schulhund einzusetzen und wählte deshalb einen Züchter aus, von dem er ganz genau wusste, dass dieser seine Welpen sehr gut sozialisiert. Zum Beispiel, indem er sie mit Kindern in Kontakt bringt. Natürlich sind nicht alle Lehrer so große Hundefreund wie Jens Ender. Falls Nayla sich einem Kollegen nähert, der es nicht so mit Tieren hat, ruft er seine Hündin sofort zu sich – was reibungslos klappt.

Dann steht die große Pause an. Auf dem Flur herrscht dichtes Gedränge. Nayla kann das nichts anhaben, sie trabt ganz entspannt durch das Gewühl. Was würde passieren, wenn ein Schüler Nayla aus Versehen anrempelt oder ihr auf den Schwanz tritt? "Nichts", sagt der Pädagoge, Nayla würde sich nur abwenden. Denn sie wissen, dass Menschen unantastbar seien.

In der großen Pause ist Spielzeit. Auf der Wiese hinter dem Pausenhof jagt Nayla mit Gebell einem Tennisball hinterher. Die Hündin, die sich bislang so diszipliniert und ruhig verhalten hat, zeigt jetzt ihr Temperament. Das gefällt den Jungs vom Betreuungsteam, die mit ihr um die Wette rennen. Die haben übrigens kein Problem damit, die Hinterlassenschaften von Nayla mit einem Kotbeutel aufzusammeln. Das gehöre eben dazu, sagen sie. Die Jungs dürfen beim Gassi gehen sogar das Schulgelände verlassen, natürlich mit Einverständnis ihrer Eltern.

Nach der Rumtollen geht's zurück ins Klassenzimmer. Nayla legt sich wieder auf ihre Decke, rechts von der Schnauze das Spielzeug, links ein Kauknochen. Der Wassernapf ist gefüllt. Die Jungs vom Betreuungsteam haben vom Rumrennen rote Backen bekommen. Die Bewegung in der Pause hat ihnen mindestens so gut getan wie der Labrador-Dame.

In der Fachliteratur werden folgende Voraussetzungen für den Einsatz eines Schulhundes genannt:

In der Schule: Zustimmung und Information von Schulleitung, Lehrer, Schulaufsicht, Eltern und Hausmeister.

Bei der Lehrkraft: Sicherheit im Beruf, Hundesachkenntnis, Fachkenntnis der hundegestützten Pädagogik, Teamausbildung Lehrer – Hund, Unterstützung durch das schulische Umfeld.

Beim Hund: gesicherte Grunderziehung, fachliche Ausbildung, Familienanschluss, aktuelle Impfungen, Entwurmung, Gesundheitsattest.

Bei den Schülern: Information und Vorbereitung, keine Hundehaar-Allergie, begrenzter Schülerkontakt, Übernahme von Mitverantwortung.

Der verstorbene Altbundespräsident Johannes Rau nannte den Einsatz von Schulhunden "einen wertvollen Beitrag zum Angstabbau und zum Erlernen, wie Kinder mit Haustieren umgehen sollten."

Mehr Infos zu tiergestützter Pädagogik:

www.tierisch-gute-schule.de