Der Nervenzusammenbruch eines Angeklagten in einer Verhandlungspause überschattete gestern einen Drogenprozess am Amtsgericht Horb. Foto: Hopp

"Dämonen im Kopf": Angeklagter erzählt Geschichte. Es geht um Drogen und eine zweifelhafte Krankheitsgeschichte.

Horb - Am Dienstag der Gerichtsprozess in Horb. Bei dem Angeklagten waren im Rahmen einer Hausdurchsuchung im Zimmer des Stuttgarter Studentenwohnheims sowie im elterlichen Haus in Horb Betäubungsmittel unterschiedlicher Art gefunden worden.

Die Staatsanwaltschaft warf ihm aufgrund ihrer Ermittlungen vor, die Betäubungsmittel zuerst übers Internet angekauft und später dort auch wieder verkauft zu haben. Auf 3900 Euro wurde der Gewinn aus diesem verbotenen Handel hochgerechnet. Dies soll der Angeklagte neben der zu erwartenden Haftstrafe als Gewinnausgleich bezahlen und sein Computer soll beschlagnahmt werden, so die Forderung der Anklagevertreterin.

In der Verhandlung bestreitet der Angeklagte die Anschuldigung vehement. Er schildert stotternd und abgehackt seine Probleme. Insbesondere die, die er mit Beziehungen zu anderen Menschen habe. Schon sein erstes Studium habe er aus diesem Grund abbrechen müssen. Stress und Herausforderungen wären zu viel für ihn gewesen. Er habe damals Hilfe in Apotheken gesucht, dort jedoch lediglich Johanniskrautpastillen und Salbe bekommen, was jedoch überhaupt nichts half.
Antidepressiva haben nicht geholfen

Also schmiss er sein Studium der Informatik, zog wieder zurück zu den Eltern nach Horb und versuchte irgendwann einen zweiten Anlauf mit dem Studium der Materialwirtschaft in Stuttgart. Seine Probleme wurden jedoch nicht kleiner – im Gegenteil, sie nahmen zu. Er suchte das Psychologische Zentrum in Stuttgart auf, wurde dort mit Antidepressiva behandelt, die jedoch eine verheerende Wirkung auf hin hatten. Seine depressiven Schübe nahmen zu und gingen bis zum Selbstmordgedanken.
»Selbsttherapie« mit Drogen begonnen

Psychologen hätten bei ihm eine Schizophrenie festgestellt, berichtet er stockend, immer den Tränen nahe. »Die Ärzte konnten mir nicht mehr helfen, also habe ich versucht, mich selbst zu therapieren.« Er habe angefangen, sich in Internet-Foren schlau zu machen. »Dort sind mir auch unterschiedliche Betäubungsmittel empfohlen worden, mit denen ich meine Dämonen im Kopf los werden könne«, schildert er dem Gericht. Auch seine Anmerkung, dass jeder, der sich ein wenig mit ihm einließ, der mit ihm sprach und sich seiner annahm, gleich zu seinem »besten Freund« hochstilisiert wurde, scheint nachvollziehbar. Mit dem Rest seiner Geschichte verärgert er dann jedoch nicht nur die Schöffen und den Richter, sondern vor allem auch die Staatsanwältin, die später feststellt, dass ihr so etwas in ihrer langen Laufbahn noch nicht vorgekommen sei.

Der Angeklagte behauptet nämlich, dass er lediglich für seinen »besten Freund« – nennen wir ihn an dieser Stelle Fritz – Pakete entgegengenommen habe, von deren Inhalt er keine Ahnung gehabt hätte. Wo der Freund wohnt, wie er richtig heißt, das weiß der junge Mann, der wie ein Häufchen Elend auf der Anklagebank sitzt, jedoch nicht zu sagen.

Der mysteriöse Drogenabnehmer

»Ich kann ihn halt beschreiben«, so sein Angebot an den Richter. »Der hat bis zu zweimal am Tag angerufen und nach seinen Paketen gefragt«, erklärt er hingegen. Anscheinend waren die Lieferungen dringend, umso verwunderlicher war es dann, dass die Pakete erst ins Elternhaus nach Horb geliefert wurden, von wo aus sie lediglich einmal pro Woche von den Eltern nach Stuttgart gefahren wurden. »Die brachten mir dann auch frische Wäsche mit.«

Allein diese Geschichte regt Richter Ketterer auf, der nicht nachvollziehen kann, dass der »Fritz« solange auf die heiße Ware warten wollte. »Dem habe ich ja auch nur gesagt, dass die Ware noch nicht da war – von meinen Eltern sollte der nichts erfahren«, verteidigt sich der Angeklagte. Noch abenteuerlicher klingt seine Begründung, warum man bei der Durchsuchung seines Zimmers auch Beutel mit Druckverschluss und eine Feinwaage fand. Damit sei er zu seinen BTM-Händlern gegangen, hätte abgewogen und die Ware verpackt, damit er sie nicht offen in der Hosentasche herumtragen müsse. Zudem machte sein Insiderwissen über Psychopharmaka und deren Preise seine Ausführungen nicht glaubhafter.

»Sie sind der Erste der mit seinem eigenen Verpackungsmaterial loszieht, um BTM zu kaufen«, entrüstet sich Amtsgerichtsdirektor Christian Ketterer ob dieser Schutzbehauptung. Auch die Erklärungen des Angeklagten zu den Einträgen im Notizbuch, das man bei ihm fand, waren alles andere als glaubwürdig. Zu den Polizisten, die damals sein Zimmer durchsuchten sagte er, dass er keine Ahnung habe, was das bedeutet. Dem ermittelnden Kommissar, der als Fachmann für Internetkriminalität im Rauschgiftbereich extra aus Leipzig dazu gezogen wurde und auch gestern aussagen sollte, erklärte er, dass es Aufzeichnungen zum Internet-Strategiespiel »World of Warcraft« wären. Vor Gericht behauptet er, dass es Aufzeichnungen für Planspiele sind.

Dem Richter reicht es. Er fragte: »Würden Sie selbst glauben, was Sie hier erzählen«? »Nein«, gibt der Angeklagte kleinlaut zu. Auch die Staatsanwältin wird etwas energischer. »Ich habe keine Lust, dieses Spiel weiter mitzuspielen« wettert sie. »Vielleicht sind Sie wirklich schizophren – auf der einen Seite der Herr R. und auf der anderen Seite der ›Fritz‹.« Sie und auch das Gericht legten dem Verteidiger, dem Horber Rechtsanwalt Michael Löffel nahe, mit seinem Mandanten zu sprechen und ihm vor Augen zu halten, dass er sich gerade auf dem Weg in Richtung Haftstrafe, die bei diesem Verhalten nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, bewegt.
Dramatisches Ende der Verhandlung

Was mit leisen Worten im Gerichtsflur begann, entwickelte sich zum Drama. Nach wenigen Minuten, das Gericht hatte gerade wieder den Saal betreten, stürmte Löffel mit wehender Robe in den Gerichtssaal und teilte mit, sein Mandant bräuchte einen Arzt. Der Angeklagte war im Flur zusammengebrochen, schrie und heulte erbärmlich und konnte weder von seinen Eltern noch von sonst Jemandem beruhigt werden.

Als sich selbst nach über zehn Minuten keine Besserung abzeichnete, die Staatsanwältin meinte, dass dies ein Fall für den Psychiater sei, da der Beschuldigte vermutlich einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, brach Richter Ketterer die Verhandlung ab.

Ob sie jemals unter normalen Bedingungen fortgesetzt werden kann, das liegt nun im Ermessen der Ärzte.