Berater der Erlacher Höhe sieht Ursachen in prekärer Arbeit. Hilfen seien zu bürokratisch organisiert.

Horb - In Baden-Württemberg leben rund 23.000 Obdachlose – das hat das Sozialministerium kürzlich erstmals erfasst. Auch in Horb und Umgebung gibt es Menschen, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Andreas Hauser, Berater bei der Erlacher Höhe für Betroffene, spricht im Interview über Gründe für finanzielle Notlagen und über die bittere Tatsache, dass sich mancher trotz Arbeit keine Wohnung mit allen Nebenkosten leisten kann.

Herr Hauser, wie groß ist das Problem der Obdachlosigkeit in der Region Horb?
Es hat sich deutlich verschärft. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Fälle bei uns verdoppelt bis verdreifacht (Anm. der Redaktion: 2005 wurden 18 Menschen ambulant betreut, 2014 waren es 46, das entspricht einer Steigerung um 155 Prozent). Wenn man die Leute dazunimmt, die sich bei Freunden und Angehörigen durchschlagen, ist die Zahl höher. Noch weiter steigt sie, wenn man Menschen dazunimmt, denen Wohnungslosigkeit droht, weil sie verschuldet und  mit den Mieten im Rückstand sind. Andere haben zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen keine Chance auf Arbeit.

Was sagt diese Steigerung über unsere Gesellschaft aus?
Sozial schwache Bevölkerungsschichten werden immer weiter abgehängt. Die Medien sind voll mit Lobeshymnen auf die Konjunktur. Aber unsere Klientel ist von der Konjunktur abgekoppelt. Sie können mit ihrem verfügbaren Einkommen die Kosten für Lebenshaltung, Strom, Mobilität, Miete nicht mehr bezahlen, auch wenn sie Arbeit haben.

Aber wir haben doch seit diesem Jahr einen Mindestlohn, hat der nichts gebracht?
Der Mindestlohn war ein Tropfen auf den heißen Stein. Damit kommt ein Alleinstehender knapp über Hartz IV. Wenn er eine Familie zu versorgen hat, wird es schon schwierig. Der Mindestlohn hat sich für den Arbeitsmarkt als unschädlich erwiesen und sollte nun weiter erhöht werden.

Das klingt bitter – man arbeitet, kann aber nicht davon leben. In welcher Stimmung kommen Betroffene bei Ihnen an?
Viele sind hochgradig frustriert, enttäuscht, bis hin zur Panik. Manche verfallen zur Kompensation in Suchtverhalten. Andere werden psychisch krank, können dem Belastungsdruck nicht standhalten und ziehen sich in eine fatale Isolation zurück. Das trifft besonders Alleinerziehende, die auch noch für Kinder verantwortlich sind. In der Dettinger Obdachlosenunterkunft wohnt derzeit auch eine Familie. Aber auch Alleinstehende sind  gefährdet, da ihnen in Krisen der Halt durch Angehörige fehlt.

Was sind Gründe für die steigende Obdachlosigkeit?
Der Wohnungsmarkt in Horb ist sehr angespannt, es gibt kaum günstige Wohnungen. Vermieter wollen Geld sehen – wenn einer seine Miete nicht bezahlen kann, ist die Wohnung irgendwann weg. Wenn wir um Hilfe gebeten werden, gehen wir auch auf die Vermieter zu und versuchen, an ihre Menschlichkeit zu appellieren. Manchmal gibt es auch  andere Reibungspunkte als das Geld. Diese lassen sich oft lösen. Bei Verschuldung erarbeiten wir Schritte zum Abbau der Schulden. Wir können zum Beispiel gegebenenfalls anregen, dass das Amt die Miete direkt bezahlt.

Warum haben Betroffene das nicht längst selbst geregelt, wenn sie kurz vor dem Rausschmiss stehen?
Die bürokratische Struktur ist kompliziert. Das können Betroffene, die keine Verwaltungsfachleute sind, gar nicht blicken. Das bringt schon uns in der Beratungsstelle manchmal an die Grenzen. Für eine Alleinerziehende gibt es zum Beispiel eine ganze Handvoll verschiedener Einkommensarten: Unterhalt vom Partner für sich und die Kinder, Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt, Arbeitslosengeld I, Elterngeld, Kindergeld, Hartz IV, Wohngeld. Darum muss man sich aber gekümmert haben, sonst fließt kein Geld. Die Wohngeldstelle der Stadt Horb funktioniert recht gut. Von so manch anderer Stelle würden wir uns etwas mehr Verständnis und Beratung für die Betroffenen wünschen.

Wie kann es in solchen Fällen wieder aufwärts gehen?
Aus der Obdachlosigkeit heraus Arbeit zu finden, ist extrem schwierig.  Und ohne Arbeit eine Wohnung zu finden, ist ebenfalls kaum machbar. Da die Leute so schwierig wieder Fuß fassen, sind sie lange in Obdachlosenunterkünften. Das führt dazu, dass unser Hilfesystem  verstopft ist.

Was fordern Sie?
Man müsste die Beratungsstellen ausbauen, die frühzeitig helfen können – aber das ist eine Finanzierungsfrage. Das Land und Kommunen mit Beteiligung in Wohnbaugenossenschaften  müssen den Bau von Sozialwohnungen forcieren oder selber bauen. Außerdem müssen die Menschen leichter wieder in Arbeit kommen. Wer eine große Klappe hat und sagt, wer Arbeit suche, der finde auch welche, dem muss ich sagen: Diese Leute klammern sich an jeden Strohhalm. Sie können dem Belastungsdruck des Arbeitsmarktes aber nicht sofort standhalten oder landen nur in kurzfristigen Beschäftigungsformen ohne Perspektive. Ich appelliere an Unternehmen, mehr Verständnis zu zeigen.  Und politisch wäre es notwendig, dass man die Eingliederungsphase stärker durch Zuschüsse abpuffert.

Wie wird sich die Obdachlosigkeit 2016 Ihrer Einschätzung nach entwickeln?
Es ist zu befürchten, dass die Zahlen steigen.