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Parteitag wählt Jörg Meuthen mit rund 95 Prozent zum Spitzenkandidaten. "Wir können auch Opposition".

Horb - »Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen« steht in Weiß auf Plakaten mit blauem Hintergrund. Fähnchen in Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Gelb liegen auf Tischen. 322 Parteimitglieder der Alternative für Deutschland Baden-Württemberg (AfD) stimmen sich am Wochenende beim Landesparteitag in Horb (Kreis Freudenstadt) auf den Wahlkampf für die Landtagswahl im März 2016 ein.

Eurokrise, Flüchtlingsproblematik, steigende Einbruchszahlen: Die AfD ist im Aufwind. Sechs Mal nacheinander schafft die Partei bei Landtagswahlen den Sprung ins Parlament. In bundesweiten Umfragen liegt sie derzeit bei etwa sieben bis acht Prozent.

Auch die Südwest-AfD  spürt Zulauf. »Wir haben 300 neue Mitglieder in den vergangenen fünf Wochen gewonnen«, sagt Pressesprecher Lars Patrick Berg. Ein Drittel davon seien frühere CDU- oder SPD-Mitglieder, erklärt er. Berg ist selbst Kandidat für die Landtagswahl im Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen. »In 67 von 70 Wahlkreisen haben wir schon Kandidaten für die Wahl nominiert«, sagt er stolz.

Aber in einem Landesparlament eines westdeutschen Flächenstaats sitzt  die AfD bisher nicht. Das ändert sich  am 13. März 2016 in Baden-Württemberg – ist sich die AfD sicher.  Doch wie will sie das schaffen?

Mit oder ohne Spitzenkandidat? Mit welchen Inhalten? Mit welcher Koalitionsaussage? Eigentlich sollte beim Parteitag nicht über einen Spitzenkandidaten entschieden werden. Das löst bei den Mitgliedern eine heftige Diskussion aus. Man wolle keinen Personenkult wie um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), heißt es. Für jeden Regierungs- oder Wahlkreis einen Spitzenkandidaten zu nominieren, wird auch vorgeschlagen. Doch letztlich steht  die Abstimmung über einen Spitzenkandidaten auf der Tagesordnung.

Während sich oben in der Hohenberghalle in Horb die AfD-Mitglieder auf den Wahlkampf einschwören, demonstrieren unten am Flößersteg laut Polizei 150 Menschen für »Frieden, Willkommen und Respekt für alle«. »Ihr seid das helle Deutschland. Ihr zeigt, dass wir bereit sind, sich um die Menschen zu kümmern«, ruft Mitinitiatorin Viviana Weschenmoser (SPD) den Demonstranten zu.

Doch davon bekommen die AfD-Mitglieder nichts mit. Kurzerhand setzt  das  geschickt agierende Tagungspräsidium zwei Redner auf die Tagesordnung: die beiden stellvertretenden Bundessprecher Alexander Gauland (Brandenburg) und Jörg Meuthen (Karlsruhe).

»Ich habe den Wunsch, dass die AfD in Baden-Württemberg in den Landtag einzieht. Das ist das Entscheidende, was jetzt in Deutschland geschehen muss«, sagt Gauland. Das wäre der Anfang vom Ende der Regierung von Kanzlerin  Merkel, poltert der 74-Jährige lautstark. »Wir wollen nicht, dass sich unsere Heimat verändert und dass sich Deutschland in einen Strom fremder Menschen auflöst«, schreit er regelrecht. Gauland stellt in der Flüchtlingspolitik drei Forderungen: »Grenzen zu und Abschieben von denjenigen, die nicht hierher gehören.« Zudem solle das Asylrecht reformiert werden. »Es soll keinen deutschen Sonderweg, kein individuelles, subjektives Asylrecht mehr geben.« Die Parteimitglieder springen auf. Bravo-Rufe hallen durch den Saal. »Ihr macht den Anfang und holt ein noch besseres Ergebnis als wir in Brandenburg. Jörg Meuthen schafft das«, ruft Gauland abschließend.

Dann spricht Meuthen selbst. Doch die geschliffene und zugespitzte Rhetorik eines Alexander Gauland hat der baden-württembergische Landessprecher noch nicht verinnerlicht. Langatmig und unpräzise spricht er über seine Motivation, Spitzenkandidat werden zu wollen, und das Landtagswahlprogramm seiner Partei. »Unser schönes Land Baden-Württemberg braucht dringend eine wirkliche politische Alternative.«

Den führenden Politikern in Deutschland und Europa wirft Meuthen »ein sich über Jahre hinziehendes, totales Politikversagen« in der Flüchtlingspolitik vor. Kanzlerin Merkel habe ein »Rettungssyndrom«. »Sie verschlimmert, was sie zu retten vorgibt«, beklagt er. Meuthen wirft ihr eine »krasse Verletzung ihres Amtseids« vor. »Die Maßnahmen der Bundesregierung sind so, als ob man mit Plastikeimern einen Tsunami stoppen wolle.«

Und für den Professor an der Hochschule Kehl (Ortenaukreis) ist klar: »Das Thema Flüchtlingspolitik gehört in den Wahlkampf, weil es so wichtig ist.« Dies soll das zentrale Wahlkampf-Thema seiner Partei werden. Aktuell gebe es zwei Notwendigkeiten: »die Zuwanderung sofort zu stoppen und Zäune an den Grenzen aufzustellen.« Der Bundesregierung wirft Meuthen »einen permanenten Rechtsbruch« beim Grundrecht auf Asyl vor.

Zudem wolle seine Partei mit den Themen innere Sicherheit sowie Bildungs- und Familienpolitik bei den Wählern punkten, erklärt der 54-Jährige. »Wir dulden keine rechtsfreien Räume. Wir fordern eine entschlossene Umlenkung von Mitteln für die innere Sicherheit – sowohl finanziell als auch materiell.«

Grüne, SPD, FDP und die CDU kritisiert der Vorsitzende heftig

Die Bildungspolitik ist laut Meuthen zu einem »Experimentierfeld« verkommen. Es werde in den Schulen im Südwesten eine »virtuose Kompetenzvortäuschungskompetenz« gelehrt. »Wir brauchen ein mehrgliedriges Schulsystem mit klaren Lernzielen und eine ideologiefreie Bildung im Klassenunterricht«, fordert er. Zudem sei die Familie die Keimzelle einer funktionierenden Gesellschaft. Seine Partei trete für die Einführung eines Familiensplittings ein, erklärt Meuthen. Generell wünscht er sich eine »Schweizerisierung der Politik, um die Volksherrschaft wieder herzustellen«.

Erst jetzt spricht der AfD-Landessprecher über andere Parteien. »Wir haben ein zentrales Ziel für die Landtagswahl. Wir wollen eine echte politische Alternative für Baden-Württemberg sein.« Deshalb werde seine Partei nach der Wahl »keine Koalition um Posten willen« eingehen. »Wir können auch Opposition«, ruft Meuthen.

Grüne, SPD, FDP und CDU: Alle derzeit im Landtag vertretenen Parteien kritisiert Meuthen mit heftigen und drastischen Worten: »Die Grünen haben Herrn Kretschmann und sonst  nichts. Die vermeintliche Volkspartei SPD betreibt eine permanente Selbsttäuschung. Die FDP ist nicht liberal, sondern eine reine Klientelpartei. Die CDU ist die Inkarnation einer sozialdemokratischen Partei.«

Meuthen ist sich sicher: »Wenn wir in den Landtag einziehen, heißt es Adieu Grün-Rot.« Die Parteimitglieder lädt er schon mal zu einer großen Sause am 13. März 2016 nach Stuttgart ein.

Trotz des wenig mitreißenden Auftritts ist Meuthens Wahl zum Spitzenkandidaten ein Selbstläufer. Er wird in offener Abstimmung mit rund 95 Prozent gewählt.  
Anschließend diskutieren die Parteimitglieder  kleinteilig über  Formulierungen des Landtags-Wahlprogramms.

Ob sie mit ihm wirklich am 13. März 2016 in den Landtag einziehen, wird sich erst in einigen Monaten weisen.          

Kommentar

Als wäre es so einfach! Die von den etablierten Parteien enttäuschte gesellschaftliche Elite sagt sich: Wir nehmen das selbst in die Hand. Als Alternative für Deutschland werben sie um Wähler.

Ihr Vorbild: die Schweizer Basisdemokratie. So in etwa geht die Selbstdarstellung der AfD. Doch wenn der Südwest-Landesverband für die Landtagswahl in Baden-Württemberg Personal und Inhalte bestimmen will, ist seine   Innovationskraft schnell am Ende. Einem kurzfristig bestimmten Spitzenkandidaten jubeln die Parteimitglieder sofort zu. Und die Inhalte?

Die Kluft zwischen den einzelnen Strömungen der Partei ist einfach zu groß. Bloßer ausländerfeindlicher und europa-kritischer Populismus ist eben keine Politik.  Politik verlangt konkrete Lösungen für die  Probleme unserer Zeit. Die müsste die AfD erst mal liefern, um eine wirkliche politische Alternative zu bieten.