Vor dem Amtsgericht musste sich eine junge Frau gegen den Vorwurf verteidigen, sie hätte in einer Juninacht im letzten Jahr Fahrerflucht begangen. Foto: Archiv

Opa hatte in Schadensregulierung eingegriffen. Junge Frau kommt im Prozess mit blauem Auge davon.

Horb - Am Mittwochmorgen musste sich eine junge Frau aus einem Horber Teilort vor dem Amtsgericht gegen den Vorwurf verteidigen, sie hätte in einer Juninacht im letzten Jahr Fahrerflucht begangen.

"Ich lag im Bett und hörte plötzlich gegen 4 Uhr ein lautes Scheppern. Das hat einen richtigen Schlag getan", berichtete ein Zeuge seine Wahrnehmung in jener Sommernacht. "Ich aus dem Bett raus und ans Fenster – da konnte ich beobachten, wie die Frau XY ihren Wagen gut 50 Meter weit nach vorne fährt, aussteigt, sich den Schaden am anderen Fahrzeug anschaut, wieder einsteigt und davonfährt", so seine Zusammenfassung. "Ich habe sie genau gesehen, mir ihre Autonummer aufgeschrieben und konnte deshalb darauf verzichten, ihr nachzurennen. Am nächsten Morgen hat er seine Beobachtungen seinem Schwager, dessen Sohn das beschädigte Auto gehörte, berichtet, und gemeinsam habe man beschlossen, die Frau – die für einen Zustellservice unterwegs war – abzupassen, sie auf den Vorgang anzusprechen und gleichzeitig einen Termin zwecks Klärung des Sachschadens abzustimmen. Gesagt getan – der Mann vom Fenster übernahm diesen Job.

In der Version der Frau hörte sich das dann in etwa so an: "Da kam mitten in der Nacht ein Mann auf mich zu und hat mich beschuldigt, ich hätte tags zuvor ein Auto angefahren und wäre abgehauen. Über diesen Vorwurf war ich sehr erschrocken und auch sehr verunsichert. Ich musste dann am gleichen Tag um 18 Uhr zum Haus des Geschädigten kommen und die Männer (die als Zeugen eins und zwei vor Gericht aussagten, Anm. d. Red.) haben mir gedroht und wollten mich zwingen, die Versicherungsnummer rauszurücken."

Bevor sie jedoch die Versicherung nannte und den Schaden, wie von den beiden Zeugen gefordert, eben dieser Versicherung meldete, sei sie nochmals nach Hause gegangen und habe sich das Fahrzeug ihrer Mutter, mit dem sie unterwegs war, angeschaut und festgestellt, dass dieser Wagen schon einige Kratzer hatte, die auf Vorschäden schließen ließen. Die junge Frau betonte vor Gericht mehrfach und unter Tränen, dass sie von dem Unfall überhaupt nichts mitbekommen habe und an dem Fahrzeug ihrer Mutter keine auffälligen Kratzer oder Dellen zu sehen waren.

Trotzdem sei sie nochmals zu den beiden Männern zurück und wollte, wie diese auch, das Ganze auf dem "kleinen Dienstweg" über die Versicherung regeln. Da hatten die beiden Parteien aber die Rechnung ohne den Opa der mutmaßlichen Schadensverursacherin gemacht, der unvermittelt am Verhandlungsort auftauchte. "S Regement hot der Alte geführt", erinnerte sich Zeuge zwei noch recht gut. "Der hot so uff der Stroß romgeschria, dass die ganz Nochbarschaft zsammaglaufa isch. Un äwell hot er behauptet, dass es des Mädle net war."

Auch Zeuge eins betonte, dass mit dem renitenten Oldie, den seine Enkelin als leicht aufbrausend charakterisierte, nicht vernünftig zu sprechen war, worauf man dann beidseitig beschloss, doch die Polizei zu holen. Diese wiederum zog zur Schadensfeststellung einen Gutachter hinzu, der korrespondierende Schäden an beiden Fahrzeugen feststellten. Auch hob er hervor, dass die Behauptung der Beschuldigten, sie habe von dem Aufprall nichts gehört, nicht stimmen kann, da dieses Geräusch so charakteristisch und untypisch ist, dass es alle anderen Geräusche einer Autofahrt wie Radio, Gespräche und dergleichen übertönt.

Aufgrund dieser Beweislage flatterte der Beschuldigten quasi als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk am 22. Dezember 2016 ein Strafbefehl mit einem achtmonatigen Fahrverbot ins Haus, gegen den ihr Verteidiger, der Horber Rechtsanwalt Alfred Seifriz, fristgerecht Einspruch erhob.

Die junge Frau hat sich über diesen Strafbefehl so aufgeregt, dass sie aufgrund dieser für sie extrem belastenden Stresssituation einen Schlaganfall erlitt, von dem sie sich bis heute nicht wieder ganz erholte. Wenn sie heute Stress hat – und das hatte sie im Gerichtssaal jede Menge – dann hinkt sie völlig unbewusst, wie sie dem Gericht mitteilte und wovon sich alle Verfahrensbeteiligten in den kurzen Verhandlungspausen überzeugen konnten.

Erschwerend kam hinzu, dass die Frau auf ihren Führerschein angewiesen ist und ein Entzug der Fahrerlaubnis gleichbedeutend mit einer Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses ist. Amtsgerichtsdirektor Albrecht Trick fragte noch nach, ob sie ihren Job nicht auch mit dem Bus oder ähnlichen Fortbewegungsmitteln erledigen könne, doch 20 Patientenbesuche pro Tag sind nur mit dem Auto möglich. Sie habe zwar schon bei ihrem Arbeitgeber nachgefragt, ob es eine andere Verwendungsmöglichkeit für sie gäbe, dies sei jedoch negativ beschieden worden.

Rechtsanwalt Seifriz hatte bereits in seinem Widerspruch eine Verfahrenseinstellung angeregt, und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft konnte sich dies gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 1200 Euro an die Staatskasse ebenfalls vorstellen.

Der Verteidiger betonte zusammenfassend, dass bei der Geschichte so einiges aus dem Ruder gelaufen sei, und Richter Trick gab ihm hier Recht. "Nur deshalb reden wir über eine Einstellung – normalerweise ist bei so einer Geschichte der Lappen weg." In seiner Begründung machte Trick nochmals auf Ausnahmegründe aufmerksam, die eine solche Einstellung gegen Kostenausgleich – allein der Gutachter hat 1100 Euro gekostet – möglich machen.

Die junge Frau kam also noch einmal mit einem blauen Auge davon, und auch der geschädigte Fahrzeughalter zeigte sich zufrieden, zumal sein Schaden schon lange von der gegnerischen Versicherung beglichen wurde.