Zurück aus Istanbul: die Künstlerhaus-Bewohner Stephanie Müller und Klaus E. Dietl. Foto: Hopp

 Stephanie Müller und Klaus E. Dietl waren in Türkei-Metropole - und wurden nicht eingeschüchtert.

Horb - "Wir beide überlegen immer – wo geht keiner hin? Wo werden Ängste geschürt?" Die Künstlerhaus-Bewohner Stephanie Müller und Klaus E. Dietl haben sich getraut. Nach Istanbul.

Immer wieder sorgt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschland für Schlagzeilen. Wirst du als Besucher in der Türkei gleich verhaftet? Überwacht?

Klaus E. Dietl: "Da werden auch in Deutschland viele Ängste geschürt. Das Münchener Kulturreferat, das mir eine Förderung für das Projekt zugesagt hatte, zog sie zunächst zurück. Bis die Münchener dann gemerkt haben, dass es keine Reisewarnung des auswärtigen Amts für die Türkei gibt."

Stephanie Müller: "Ich wurde von der EU-Stiftung Step Beyond in Amsterdam unterstützt. Die haben überhaupt keine Probleme gemacht – weil der Türkei-Konflikt hauptsächlich in der deutschen Medienlandschaft immer wieder Thema ist."

Hin und her schon vor der Abreise. Tuce Erel hatte die beiden nach Istanbul eingeladen. Zum Kunstprojekt "Fabriclate". Im Schneidertempel – der ehemaligen jüdischen Synagoge. Ziel des Projekts: Die Künstler aus dem Ausland – neben den Horbern auch Gili Avissar aus Tel Aviv und Lisa Simpson aus Berlin – sollen in Istanbul mit ihren Installationen einen neuen Impuls setzen.

Stephanie Müller: "Das hat wunderbar funktioniert. Klaus hat vor Ort gleich den Filmemacher Kaya Hacaloglu im Kiosk zufällig kennengelernt, mit dem er gleich ein Projekt gemacht hat. Mit der Ausstellungseröffnung am 11. September sind die Menschen aus der Nachbarschaft, die sich vorher nicht rausgetraut haben, in den Schneidertempel gekommen und haben mitgemacht. Haben sich dort getroffen, diskutiert und angefangen, sich mit der Kunst zu beschäftigen. Ich denke, in einem Umfeld, wo alle eingeschüchtert sind und sich die Menschen wieder aus ihren Häusern trauen, ist das ein großer Erfolg."

Istanbul – bis vor wenigen Jahren war die türkische Metropole das "Berlin" der Türkei. Hip, international, hedonistisch, kulturell. Aber auch revolutionär, wie der Aufstand rund um den Gezi-Park gezeigt hat.

Die Lage jetzt: eingeschüchtert. Müller: "Die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, vermissen die internationalen Besucher. Die Impulse. Die Menschen vor Ort haben uns geschildert, dass sie Istanbul jetzt wie eine Geisterstadt empfinden."

Optisch sind die neuen Zeiten kaum zu erkennen, so die Horber Künstler. Müller: "Bilder von Erdogan oder massive Propaganda war nicht sichtbar. Dafür ist Wikipedia in der Türkei gesperrt. Kritische Menschen suchen deshalb andere Wege – mutige Texte werden in gedruckter Form in sogenannten "Zines" verteilt – kleinen Zeitschriften. In vielen Vierteln gibt es eine Art Blockwart. Die kontrollieren, wie sich die Nachbarschaft benimmt und sie arbeiten eng mit der Polizei zusammen."

Weitere Form der Einschüchterung: frauenfeindliche Grafitis, auf die Wände gemalte Sprüche gegen Freiheit. Frauen, die zu locker gekleidet sind, denen wird schon mal die brennende Zigarette hinterhergeworfen, erzählt Müller: "Doch die Menschen wehren sich dagegen. Übermalen die Sprüche an der Wand einfach und geben ihnen einen neuen Sinn. Insgesamt merkt man schon, dass die Menschen, die wir getroffen haben, genau überlegen, wem sie was erzählen."

Bestes Beispiel für dieses Klima: Müller wollte zur Eröffnung der Kunst-Aktion ein Video von "Okay Decay" zeigen – einem ihrer Bandprojekte. Dort kritisiert die Sängerin Gülcan unter anderem die türkische Heiratskultur als Unterdrücken. Und im Video wird ein Megafon gezeigt. Das ist jetzt in der Türkei verboten.

Müller: "Die Organisatoren hatten zunächst Angst, es zu zeigen. Wir haben es einfach gemacht – und es ist nichts passiert."

Auch auf Künstler wird Druck gemacht. Müller: "Im Viertel Topane hat es beispielsweise Attacken gegen kleine, freie Galerien gegeben. Teilweise bekommen diese Galerien auch keine Räumlichkeiten mehr."

Die Horber Künstler – selbst fühlten sie sich in Istanbul nicht bedroht oder eingeschüchtert. Müller: "Bei der Ein- und Ausreise war es genauso wie auf dem Flughafen in München oder Stuttgart. Wir haben uns nie unwohl in Istanbul gefühlt."

Und was nehmen die beiden mit von ihrer Istanbul-Erfahrung? Müller: "Sobald Ängste herumschwirren, fangen die Menschen das geistige Kleingärtnern an. Fangen an, selbst ihre Parzelle abzutrennen, ziehen sich zurück. Das ist dort so, und auch bei uns in Deutschland gibt es diese Tendenz." Insofern sind die beiden stolz, dass die Ausstellung "Fabriclate" im Schneidertempel in Istanbul diese Tendenz bei den Menschen in der Nachbarschaft offenbar wieder aufgebrochen hat.