Felix Grützmacher ist ein Musterbeispiel für eine gelungene Inklusion behinderter Menschen am Arbeitsplatz. Foto: Hopp

Blinder Programmierer Felix Grützmacher entwickelt technische Möglichkeiten, Sehbehinderten den Arbeitsalltag zu erleichtern.  

Horb - Wer den Informatiker Felix Grützmacher das erste Mal in seinem Büro in Nordstetten, einem Teilort von Horb (Kreis Freudenstadt), besucht, kann leicht das Gefühl bekommen, sich in der Tür geirrt zu haben. Denn dort, wo üblicherweise akribisch getippte Zeilen stehen – auf dem Bildschirm des Computers – ist bei Grützmacher nur Schwärze zu sehen. Die Monitore an seinem Arbeitsplatz sind ausgeschaltet. Doch das hat durchaus seine Richtigkeit. Denn der 35-Jährige ist von Geburt an blind.

Dass er seinen Beruf dennoch ausüben kann, verdankt er einigen technischen Errungenschaften, die er paradoxerweise zum Teil sogar selbst entwickelt oder verbessert hat. Denn Felix Grützmacher arbeitet für die Nordstetter Firma "Handy Tech Elektronik GmbH", ein Unternehmen, das seit Jahrzehnten Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte produziert, erfindet, weiterentwickelt. Der Programmierer stellt somit ein Musterbeispiel für eine gelungene Inklusion behinderter Menschen am Arbeitsplatz dar – sogar in doppelter Hinsicht.

Zu verdanken ist das nicht zuletzt einem der Hauptprodukte, das Handy Tech herstellt: Der "Braillezeile", einem elektronischen Gerät, das unter anderem jene Zeichen, die üblicherweise auf dem Bildschirm zu sehen sind, in Form von Brailleschrift – besser bekannt als Blindenschrift – darstellt. "Die Technik dahinter sind sogenannte Piezo-Kristalle", erklärt Grützmacher. Diese Mineralien reagieren auf elektrische Spannung, tauchen durch diese auf oder ab und formen so das jeweils getippte Zeichen in fühlbaren Punkt-Mustern – also der Blindenschrift. "Und es gibt, wie mich selbst, zahlreiche Kunden, die unsere Produkte beruflich nutzen", sagt Grützmacher.

Beispiele dafür sind etliche seiner Kollegen: Von den mehr als 40 Mitarbeitern des Unternehmens sind rund ein Drittel ähnlich eingeschränkt wie Grützmacher selbst. Wer nun aber denkt, Handy Tech sei eine Art Behindertenwerkstatt, liegt weit daneben. Viele der Angestellten sind überdurchschnittlich qualifiziert. So auch Grützmacher selbst.

Der 35-jährige Programmierer schloss 1999 sein Abitur an der Deutschen Blindenstudienanstalt in Marburg ab. Direkt danach folgte ein Diplom-Studium der Informatik in Gießen, das er zwischen 2004 und 2008 um einen Master-Abschluss erweiterte. Ab 2004 arbeitete der gebürtige Berliner auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seiner Fachhochschule. Dass es ihn letztlich in den Hilfsmittelsektor und somit zu Handy Tech verschlug, war nicht etwa Zufall oder Notwendigkeit angesichts mangelnder Perspektiven.

"Viele Menschen bewerten das Risiko sehr hoch, einen behinderten Menschen einzustellen"

Grützmacher hatte sich ganz bewusst entschieden, in diesem Bereich zu arbeiten. Er wollte seine eigenen Erfahrungen nutzen und in Produkte einfließen lassen; Lösungen anbieten für Probleme, denen er im Studium begegnet war und die ihn am meisten frustriert hatten. "Auch damals gab es schon eine beträchtliche Anzahl an Hilfsmitteln", erzählt der 35-Jährige. "Aber es gab und gibt viele Bereiche, in denen die Hilfsmittel an ihre Grenzen gelangen."

Eine dieser Grenzen erweiterte er als Projektleiter bei der Entwicklung von "iRead" – einem Programm, das fotografierte oder gescannte Texte bequem in akustische Sprache oder Blindenschrift "übersetzt" und dadurch nicht digitale Printmedien zugänglich macht. Auch dies ist ein wichtiger Schritt, um die Inklusion behinderter Menschen am Arbeitsplatz zu ermöglichen – allerdings nur einer von mehreren, meint Grützmacher.

"Die nötigen Hilfsmittel sind der Dreh- und Angelpunkt", sagt der 35-Jährige. Diese stellten aber nur den Grundstock dar. Auch der Mut, nach Unterstützung oder neuen Hilfsmitteln zu fragen, wenn man an Grenzen stoße – also eine Portion an Eigenverantwortung – gehöre dazu.

Die Voraussetzung für Inklusion seien jedoch letztlich Unternehmen, in denen das richtige Klima herrsche. Die offen seien für Menschen, die anders sind. "Wenn ich an eine Grenze komme, muss ich auch in einem Klima arbeiten, in dem ich das äußern kann", betont Grützmacher. Doch genau daran hapere es häufig.

"Viele Menschen bewerten das Risiko sehr hoch, einen behinderten Menschen einzustellen", sagt der 35-Jährige. "Es ist aber nicht so hoch, wie man intuitiv meinen könnte." So würden einerseits gerade die Hilfsmittel, an denen Grützmacher selbst arbeitet – und die darüber hinaus nicht vom Arbeitgeber, sondern von Arbeitsagentur und Rentenversicherung finanziert werden – ein "hohes Maß an technischer Kompensation" bieten.

Andererseits seien behinderte Menschen meist besonders dankbar für ihren Arbeitsplatz – und für das damit einhergehende Gefühl von Sinnhaftigkeit. "Wer in einer solchen Position ankommt, ist hoch motiviert", sagt der Programmierer.

Dass trotz dieser Möglichkeiten nur ein Bruchteil aller Betriebe und Firmen bereit ist, auch behinderten Menschen eine Chance auf einen Arbeitsplatz zu geben, dafür glaubt Siegfried Kipke, der Geschäftsführer von Handy Tech, eine Erklärung gefunden zu haben. Viele Unternehmer würden beim Begriff Inklusion im Berufsleben zuerst an geistig behinderte Menschen denken, die in Behinderteneinrichtungen arbeiten. Jene Arbeitnehmer, die ausschließlich körperlich beeinträchtig und zudem hoch qualifiziert seien, würden oft ausgeblendet – oder mit komplexen Schwierigkeiten in Verbindung gebracht, die es so gar nicht gebe. Als Beispiele nennt Kipke die erhöhte Hürde für eine Kündigung, die nur erfolgen darf, wenn das Integrationsamt zustimmt. Eine Hürde, die aber eher auf dem Papier als in der Realität bestehe. "Ich habe noch keinen Fall erlebt, in dem das Integrationsamt nicht zugestimmt hat", unterstreicht der Geschäftsführer.

Insgesamt sieht Kipke eine "große Chance für die Gesellschaft", wenn Arbeitgeber flächendeckend das Potenzial behinderter Menschen erkennen und nicht zuletzt auch anerkennen würden.

Eine These, die er mit etlichen eigenen Erfahrungen belegen kann. Die darauf aufbaut, die Fähigkeiten eines Menschen nicht nur an dem zu messen, was offensichtlich zu sein scheint. Oder mit anderen Worten – und anhand eines berühmten Beispiels: Wäre der geniale, gelähmte und weltberühmte Physiker Stephen Hawking nach Ausbruch seiner Erkrankung nur noch anhand seiner Behinderung beurteilt worden, wäre der Wissenschaft vielleicht vieles verloren gegangen.

Und was Hawking im großen Stil bewies, das beweisen auch Menschen wie Felix Grützmacher jeden Tag: Dass auch ein Mensch mit Behinderung die Welt in einer gewisser Hinsicht entscheidend verändern kann.