Welche Kleidung ist in der Schule angemessen? Diese Frage spaltete vor rund einem Jahr halb Deutschland – übrig geblieben sind wertvolle Erfahrungen. (Symbolfoto) Foto: Spata

Aufregung ist abgeklungen: Kleiderordnung kein Thema mehr. Schüler erstellen selbst "rote Liste".

Horb-Altheim - Was war das für ein Wirbel, den ein Bericht unserer Zeitung fast genau vor einem Jahr auslöste – das Hotpants-Verbot an der Altheimer Schule war Gesprächsthema in ganz Deutschland. Doch wie sieht es ein Jahr später an der Schule aus?

Wie wird Schulleiterin Bianca Brissaud reagieren, wenn man sie ein Jahr nach der Medienlawine, die der Schwarzwälder Bote losgetreten hatte, auf das Thema anspricht? Die Antwort lautet: überraschend entspannt. "Ich habe durch die Ausnahme-Situation vor einem Jahr viel gelernt", sagt sie heute mit dem nötigen Abstand zu den Ereignissen, die wie ein plötzliches starkes Gewitter auf die Schule einprasselten.

Angefangen hatte alles mit einem Elternbrief, den Brissaud verfasst hatte und verteilen ließ: "Sehr geehrte Eltern, in letzter Zeit müssen wir gehäuft feststellen, dass Mädchen der Werkrealschule sehr aufreizend gekleidet sind. Diese Entwicklung stimmt uns nachdenklich und wir haben entschlossen, dass wir an unserer Schule keine aufreizende Kleidung dulden wollen." Als Konsequenz legte das Lehrerkollegium fest: "Wer zu aufreizend gekleidet ist (zum Beispiel bauchfreies Shirt, Hotpants...), der bekommt von der Schule ein großes T-Shirt gestellt, das er/sie sich bis zum Schultagsende anziehen muss."

Die Berichterstattung griff die deutschlandweit bekannte Netzaktivistin und Feministin Anne Wizorek auf, die sich vor allem aufregte, dass nur die Schülerinnen in den Fokus der Kleiderordnung zu rücken schienen. Auf Twitter schoss der Wizorek-Hashtag #Hotpantsverbot auf den Spitzenplatz. Das Medienecho ließ nicht lange auf sich warten. Im Sekretariat der Schule klingelte das Telefon unaufhörlich. n-tv, N 24, SWR, Pro 7, viele weitere Ferrnsehsender und zig Radiosender dazu. Manche Reporter standen einfach vor der Tür. "Ich habe viel Zuspruch von anderen Lehrern und Rektoren bekommen, die mich bedauert haben", sagt Brissaud heute mit einem Augenzwinkern.

Brissaud meisterte den Ritt auf der Medienwelle geschickt, gab das Zugeständnis, dass sich die Debatte sehr wohl nicht nur um die Mädchen, sondern auch um die Jungs drehen müsse. Und sie kündigte an, dass man sich Anfang des nächsten Schuljahrs, also im vergangenen Herbst, mit Eltern und Schülern zusammensetzen wolle, um das Thema zu besprechen.

Und was ist nun tatsächlich passiert? "Wir haben das Thema in Angriff genommen. Die Schülermitvertretung hat sich damit intensiv beschäftigt", berichtet Brissaud. In einer Themenwoche ("Fashion-Week") wählten die Schüler jeden Tag ein Motto, für das sie sich entsprechend anzogen: Montag Couch Potato, Dienstag Vorstellungsgespräch, Mittwoch Bad Taste, Donnerstag Abendgarderobe, Freitag Black and White.

Am Ende erstellten die Schüler eine "rote Liste", in der sie festhielten, was sie selbst in der Schule nicht sehen wollen: Hausschuhe oder sogar nur Socken, Bademantel und Bademode, bauchfrei oder zu tiefer Ausschnitt, Hotpants und Baggypants, durchsichtige Kleidung. Und auch zu schicke Kleidung, zum Beispiel Stöckelschuhe, lehnen die Schüler ab – allerdings nur, weil es ihnen zu unbequem ist.

In Artikeln für unser Projekt "Zeitung in der Schule", an der die Werkrealschule in Altheim in diesem Jahr teilnimmt, berichteten Schüler selbst über ihre Erfahrungen. "In der Freizeit ist Kleidung Privatsache, wenn man aber zur Arbeit oder zur Schule geht, sollte man sich passend kleiden", lautete ein Fazit aus der Themenwoche. Ein anderes: "Sehr viele Schüler sagten, dass man sich jetzt viel mehr Gedanken über passende Kleidung gemacht hat. Die meisten Jungs, die eine Jogginghose an hatten, haben jetzt in der Schule eine Jeanshose an. Das ist doch schon ein toller Erfolg!" Die Debatte habe Spuren hinterlassen, findet Schulleiterin Brissaud: "Die Schüler sind bei diesem Thema sensibler geworden. Manchmal höre ich auf dem Flur Gespräche, in denen sich Schüler untereinander fragen: ›Meinst du, das kann ich so anziehen?‹"

Nur einen Nebeneffekt hat aus der deutschlandweiten Debatte hat es nicht gegeben: Die Werkrealschule wurde in Altheim dadurch nicht gerettet. Diese Hoffnung hatte Brissaud nicht ganz ernst gemeint vor einem Jahr zum Ausdruck gebracht. Im kommenden Schuljahr gibt es nur noch die neunte Klasse, dann gibt es dort nur noch die Grundschule. Brissaud bedauert das: "Diese Schulform wird eigentlich benötigt. Und es gibt in jedem Jahr drei oder vier Anfragen von Eltern, die gerne die Schulform für ihr Kind in Altheim gehabt hätten. Aber das ist einfach zu wenig."

3. Juli 2015: Die Eltern der Altheimer Werkrealschule bekommen an jenem Freitag einen Brief: Dort spricht die Schulleiterin Bianca Brissaud im Namen des gesamten Kollegiums das "Hotpantsverbot" aus.

4. Juli 2015: Der Schwarzwälder Bote berichtet über das Hotpants-Verbot und veröffentlicht in diesem Rahmen auch den genauen Wortlaut des Elternbriefs auf seiner Homepage.

6. Juli 2015: Die Netzaktivistin Anne Wizorek twittert am Montag unter dem Hashtag #hotpantsverbot in Anlehnung auf die Überschrift in unserer Zeitung und verweist auf den Artikel des Schwarzwälder Boten. #hotpantsverbot wird in Deutschland der meistdiskutierte Beitrag auf Twitter an diesem Tag.

7. Juli 2015: Die Medienlawine ist losgetreten. Reporter aus ganz Deutschland rufen in der Schule und in der Redaktion an oder reisen direkt an. Zunächst will Brissaud keine Interviews geben, ändert aber aufgrund des gewaltigen Mediendrucks ihre Meinung. Noch am gleichen Abend wird die Schule gleich auf mehreren Sendern im Fernsehen zu sehen sein. In den folgenden Tagen ebbt die Medienwelle wieder ab.

August 2015: Das Haus der Geschichte in Bonn meldet sich bei unserer Zeitung und in der Altheimer Schule. Shirt, Elternbrief und Zeitungsartikel werden Teil einer virtuellen Ausstellung in einem Archiv online zu sehen. Auf dieses Archiv können auch Museen aller Art zurückgreifen, beispielsweise, um Artefakte für eine Leihgabe anzufordern.