Auf lange Wartezeiten dürfen sich Pendler nach Stuttgart gefasst machen. Foto: Hopp

Bahn verhängt wochenlange Sperrungen. Fahrzeiten werden bis zu 30 Minuten pro Richtung länger.

Horb/Stuttgart - Da kann man wirklich gleich mit dem Auto fahren! Die Gäubahn wird für insgesamt neuneinhalb Wochen zwischen Böblingen beziehungsweise Gärtringen und Herrenberg voll gesperrt. Das heißt für Pendler: Die Fahrzeit dürfte sich um gut eine halbe Stunde erhöhen.

Die Pendler sind sauer: Eine Frau schreibt: "Die im Rahmen der Baumaßnahmen für 2017 vorgesehenen Alternativen aufgrund der Vollsperrung der Strecke grenzen an einen Schildbürgerstreich. Man muss die Grundrechenarten nicht zwingend vollständig beherrschen, um Pendlerzeiten von vier bis fünf Stunden pro Tag zu errechnen und zu ermessen, dass dies nicht machbar ist."

Was die Pendlerin aufregt: Während der Autor dieser Zeilen täglich von Stuttgart nach Horb mit dem Auto pendelt – und je nach Staulage –zwischen 35 und 60 Minuten einfach benötigt, sind die Bahnpendler schlechter dran. Denn: zwischen dem 8. und 15. April, dem 3. und 19. Juni sowie dem 27. Juli bis 11. September wird die Gäubahn voll gesperrt.

Doch was heißt das für die Horber Pendler und die aus der Umgebung? Das fragt sich auch die Pendlerin: "Was folglich sind die uns verbleibenden Alternativen? Mit dem Auto zu fahren (Sprit/ Parkplatz in Stuttgart) oder in Stuttgart zu übernachten? Wer übernimmt hierfür die Kosten? Schließlich zahlen wir unsere Ticketpreise an die Bahn auch während der Bauzeit! Rückforderungen? Fehlanzeige!"

Betroffene wehren sich

Klar, dass man da als Pendler verzweifelt ist. Also wird gekämpft. Einmal bei Hans-Joachim Fuchtel, Bundestagsabgeordneter des Landkreises, Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium und Kämpfer für die Hochbrücke in Horb und den Gäubahnausbau. Geschrieben am 15. Januar. Die Antwort kommt zwei Tage später: "Wir werden dem nachgehen und uns bei Ihnen sobald als möglich melden."

Das Landesverkehrsministerium braucht deutlich länger. Neun Tage nach dem verzweifelten Schreiben der Pendlerin schlägt endlich die Antwort auf: "Die Baumaßnahmen werden 2017 in den Osterferien, den Pfingstferien und den Sommerferien durchgeführt. Sie umfassen den Abschnitt Böblingen – Herrenberg. Es werden laut Informationen der DB Netz AG auf längeren Abschnitten Gleisbauarbeiten und begleitende Maßnahmen durchgeführt. Daneben erfolgen Arbeiten an Weichen und Brückenbauwerken, weshalb der von uns ursprünglich präferierte Ansatz ›eingleisiges Bauen – eingleisiges Fahren‹ leider nicht umzusetzen war. Es konnte allerdings erreicht werden, dass die Strecke in der ersten Sperrperiode in den Osterferien nur zwischen Gärtringen und Herrenberg gesperrt wird, der Abschnitt Böblingen – Gärtringen also weiterhin zur Verfügung steht."

In der Zeit wird ein Schienenersatzverkehr (SEV) eingerichtet. Das heißt konkret: Busse. Und dieser Plan sieht wie folgt aus, so das Schreiben aus dem Landesverkehrsministerium: "Der Ersatz für die Intercity-Züge wird mit einem Direktbus von Böblingen über den ›Spätzle-Highway‹ direkt und ohne weitere Zwischenhalte nach Horb gefahren. Ab Horb verkehrt dann der IC mit fünf Zugpaaren weiter nach Zürich. In diesem Bus sollen auch Nahverkehrsfahrkarten anerkannt werden. Zwischen Stuttgart und Böblingen verkehrt in Abstimmung auf den in Böblingen ankommenden/abfahrenden SEV ein Pendelzug über die Gäubahn-Panoramastrecke direkt in die Hallengleise des Hauptbahnhofes."

Das heißt: Der Intercity von Stuttgart bis Böblingen fährt laut der Bahnauskunft 19 Minuten. Laut Google Maps dauert diese Busfahrt 30 Minuten. Gesamtfahrzeit: 49 Minuten. Dazu noch mindestens fünf Minuten fürs Umsteigen: 54 Minuten.

Regionalexpress: Der Ersatzbus für den Regionalexpress wird ohne Halt von Böblingen nach Herrenberg gefahren. Ob er dabei die Autobahn, die alte B14 oder ganz andere Routen nutzt, wird vom Busunternehmen festgelegt. Allerdings wird es fahrzeugbedingt zu Ausfällen einzelner RE-Leistungen auch südlich von Herrenberg kommen.

Wie lange dauert das?

Der Regionalexpress von Stuttgart nach Böblingen braucht 20 Minuten. Der Bus über die Autobahn benötigt 20 Minuten. Über die B 14 dauert es 29 Minuten. Vom Bahnhof Herrenberg bis zum Bahnhof Horb mit dem Regionalexpress dauert es 30 Minuten. Macht mit 5 Minuten Umsteigezeit über die Autobahn dann 75 Minuten. Das sind 20 Minuten länger als ohne Vollsperrung. Fährt der Busunternehmer auch noch über die Bundesstraße, wären es dann 84 Minuten!

Für die Bahn-Pendlerin wird es sogar noch härter: Sie fährt morgens gegen 5 Uhr Richtung Stuttgart. Hier gibt es die Verbindung ab 4.32 Uhr von Horb nach Herrenberg mit der Regionalbahn und dann über die S-Bahn Linie 1 von Herrenberg nach Stuttgart. Dauert bisher 68 Minuten. Mit vier Minuten Umsteigezeit.

Während der neuneinhalb Wochen Vollsperrung dürfte das deutlich länger werden. Denn: Der sogenannte Schienenersatzverkehr für die S-Bahn zwischen Böblingen und Herrenberg hält der Bus an jeder "Milchkanne", so das Landesverkehrsministerium: "Der Schienenersatzverkehr für die S-Bahn-Linie 1 wird zwischen Gärtingen oder Böblingen (je nach Sperrabschnitt der Gäubahn) nach Herrenberg gefahren. Er bedient dabei alle Unterwegsstationen, hält teilweise jedoch nicht unmittelbar am Bahnhof (Beispiel: Die SEV-Haltestelle für den S-Bahn-Halt Hulb befindet sich ein Stück entfernt an der alten B 14). Die S1 selbst fährt zwischen Stuttgart und Gärtringen beziehungsweise Böblingen das volle Programm, also auch die Verdichter zum 15-min-Takt."

Böses Spiel der Bahn?

Das werden sich wohl viele Bahnpendler auf der Gäubahn zwischen Horb und Stuttgart währden der Sperrung für den Firmenparkplatz und Auto entscheiden – und das in Zeiten von Feinstaubbelastung in Stuttgart.

Und die Bahnpendlerin vermutet dahinter ein böses Spiel der Bahn. Sie schreibt: "Es drängt sich daher die Frage auf: Warum muss es dieses Mal eine Vollsperrung sein? Die Antwort liegt auf der Hand und begründet sich nicht in der Art der Maßnahme (Gleiserneuerungen gingen 2016 auch mit Teilsperrung mit eingleisigem Betrieb). Mit ihrer Verspätungsstatistik bereits massiv in die Kritik geraten, sind Vollsperrungen das neue Wundermittel zur Statistikbeschönigung. Denn: wo nichts fährt, gibt es keine Verspätungen und damit keine Aufnahme in die Verspätungsstatistik.

Was für ein Schachzug! Bedauerlich nur, dass diejenigen auf deren Rücken sich der betriebswirtschaftliche Erfolg der Bahn begründet, beziehungsweise begründen sollte (zahlende Kunden), damit auch noch als grenzdebil dargestellt werden, in der Hoffnung, dieses Spiel nicht zu durchschauen.