Seit dem Vergewaltigungsprozess ist im Alltag der Familie des Opfers nichts mehr, wie es zuvor war. (Symbolfoto) Foto: Larisa Lofitskaya/ Shutterstock

Mildes Urteil löst bei Familie Unruhe und Verzweiflung aus. Drohende Nachrichten vom Täter.

Horb - Die Familie sitzt gemeinsam an dem niedrigen Wohnzimmertisch, Kaffeetassen stehen herum. Auf dem Sofa liegt ein riesiger Teddybär. In diesen Tagen spielt sich der gesamte Alltag der fünfköpfigen Familie von Heike B. (Name von der Redaktion geändert) hier ab.

An Arbeit oder Schule ist nicht zu denken, seit der Vergewaltiger der Tochter vor einigen Tagen mit einer Bewährungsstrafe davonkam.

"Der ganze Prozess hat für uns schon negativ angefangen", erzählt Heike B. kopfschüttelnd. Nach einem fast fünfstündigen Gutachten mit Ärzten und Psychologen hieß es, dass ihre Tochter Larissa (Name von der Redaktion geändert) nicht vor Gericht aussagen müsse. Schließlich sei es schon schlimm genug gewesen, beim Gutachten immer und immer wieder über die intimsten Details der Vergewaltigung zu sprechen.

Kurz vor dem Prozess habe es dann aber plötzlich geheißen, sie müsse doch aussagen. Die Bitte, während der Aussage ihre Halbschwester nahe bei sich zu haben, wurde ihr verwehrt. Der Täter dagegen konnte auf tatkräftige Unterstützung von gleich vier Personen bauen, die sich vor Gericht für ihn einsetzten. Bewährungshelfer, Erziehungsbeistand, Pflichtverteidiger und Wahlverteidiger. Und natürlich zahlreiche Familienmitglieder und Freunde. "Als unser Anwalt gesagt hat, dass der Täter im schlimmsten Fall mit einer Bewährungsstrafe davonkommt, war uns schon beinahe klar, dass es darauf hinausläuft", erzählt die frustrierte Mutter.

Sie schenkt den Ausführunge n des 20-jährigen Täters über die innige Beziehung zu seiner Mutter keinen Glauben. "Ich habe da schon ganz andere Sachen gehört." Und auch eine schwere Kindheit sei wohl keine Begründung für so eine Tat. Dennoch: Ab dem Zeitpunkt, als der junge Mann ein Geständnis ablegte, habe sich niemand mehr um das Opfer gekümmert. "Es ging nur noch um ihn." Und das, obwohl sich das Opfer und seine Angehörigen sicher sind, dass sowohl das Geständnis, als auch die spätere Entschuldigung des Täters nur ein cleverer juristischer Schachzug seiner Anwältin waren. Zumal er ein ellenlanges Vorstrafenregister hatte und zur Tatzeit noch nicht einmal seine damalige Bewährungsstrafe abgelaufen war. "Es war einfach herzlos", sagt Larissa kleinlaut.

Opfer geht bei Prozess leer aus

Zusammengesunken sitzt sie auf dem Sofa und sagt die meiste Zeit kein Wort. "Er hat keine echte Reue gezeigt. Später hat er sogar zu seiner Familie geschaut und hinter vorgehaltener Hand gegrinst", springt ihr ihre Halbschwester Nadine (Name von der Redaktion geändert) bei. Immer wieder blickt sie sorgenvoll zu Larissa, als müsste sie sie jeden Moment auffangen. Während der Verhandlung sei immer wieder betont worden, wie hoch es dem Täter anzurechnen sei, dass er gestanden habe, erzählt der Stiefvater des Opfers. "Letztendlich ist es ein Wunder, dass nicht auch noch Geld gesammelt wurde für ihn."

Larissa ging beim Prozess vollkommen leer aus. Während der Täter ein Anti-Aggressionstraining und eine Trauma-Therapie bezahlt bekommt, muss die Teenagerin mit dem Erlebten alleine klarkommen. Zwar war sie schon vor der Vergewaltigung in psychologischer Behandlung – was ihr die gegnerischen Anwälte negativ auszulegen versuchten. Ein auf Vergewaltigungen spezialisierter Psychologe koste aber, erklärt sie mit schwacher Stimme. "Bei ihm wird alles geregelt, aber meine Tochter steht alleine da", ärgert sich Heike B. "Er ist der Sieger."

Mit Urteil kehrt keine Ruhe ein

Seit dem Prozess ist im Alltag der Familie nichts mehr, wie es war. Als wäre die Tat allein nicht schon schlimm genug gewesen, hat das milde Urteil noch mehr Unruhe und Verzweiflung in das Leben der fünf gebracht. Heike B. ist selbstständig und besucht eine Weiterbildung, obwohl ihr Gesundheitszustand das eigentlich nicht zulässt. Nadine macht eine Ausbildung im Geschäft der Mutter, Larissa ist Schülerin. Doch keine von ihnen fand in den vergangenen Tagen die Kraft, einem geregelten Alltag nachzugehen. "Es ist erniedrigend und frisst einen auf", findet Heike B. als erstes Worte für ihre Gefühle. "Man kommt sich als Mutter sowieso schon vor wie ein Versager, weil man sie nicht beschützen konnte. Und dann noch so ein Urteil."

Nachts sei es besonders schlimm. "Immer wenn ich die Augen schließe, sehe ich das, was passiert ist, vor mir wie in einem Film", erzählt das Vergewaltigungsopfer. Auch der Rest der Familie hat an den schrecklichen Geschehnissen zu knabbern, schläft kaum. Insbesondere, da mit dem Urteil keineswegs Ruhe einkehrt.

Immer wieder hätten die junge Frau und ihre Schwester drohende Nachrichten vom Täter und dessen Freunden erhalten, erzählen sie. Von der Polizei habe es keinerlei Unterstützung gegeben. Aber die Sorge ist groß, da der Täter auf freiem Fuß ist. "Sie könnte nur einmal am falschen Ort sein und es könnte was passieren. Wie kann ich mein Kind da schützen?"

Wie es nun weitergehen soll weiß noch keiner so genau. Zu groß ist die Enttäuschung über die Justiz, die Verzweiflung. Geradezu resigniert wirken die Worte der Familie. Darf jetzt jeder Frauen vergewaltigen, nur weil er eine schwere Kindheit hatte?, fragt sich Nadine. Jeder in der Familie hat mittlerweile vollstes Verständnis für Frauen, die Vergewaltigungen nicht zur Anzeige bringen. "Es ist die Hölle. Wir wurden absolut alleine gelassen."