Christoph Daecke als Till Eulenspiegel will in Horb hoch hinaus. Foto: Hopp

Chamäleon-Ensemble begeistert auf dem Marktplatz. Seitenhiebe auf geschellschaftlich-politisches Geschehen.

Horb - Das war großes Theater! Trotz großem Wetter-Pech und Opern-Konkurrenz endet der Horber Theatersommer mit einem brillanten Till Eulenspiegel.

Doro Jakubowski von den Chamäleon Theaterwelten: "Das Publikum ist wirklich super mitgegangen. Deshalb wird es das nächste Jahr wieder einen Theatersommer auf dem Marktplatz geben!"

Das ist eine gute Nachricht. Denn: Das Marktplatz-Theater hatte diesmal unter der Witterung zu leiden. Christoph Daecke alias Till Eulenspiegel: "Bei fast jeder Aufführung hat es geregnet." Auch am Freitagabend fing es – kurz vor der Vorstellung – an, heftig zu regnen.

Gott sei Dank war wenigstens am Sonntagabend bestes Wetter – und die Zuschauer bekamen großes Theater von der kleinen Truppe geboten.

Komik, Komödie, aber auch Sozialkritik

Großes Theater mit allem, was dazu gehört. Komik, Komödie, aber auch Sozialkritik, Romantik und einen Seitenhieb auf die lokalen Gegebenheiten.

Der erste Teil des Till Eulenspiegel: grotesk, burlesk. Während der Erzähler Andreas Schnell noch in die Geschichte des Schelms aus Kneitlingen (bei Braunschweig) einführt, sitzen Mitglieder des Ensembles wie Julia und Katharina Wagner, aber auch Swen Richter im Publikum und heizen es mit an. Till wird als Skulptur mit der Sackkarre auf den Marktplatz gefahren, während der Dichter die Skulptur, die heimlich Faxen schneidet, beschreibt. Am Rande singt Elisabeth Kaiser romantisch schmachtend und schaut verliebt zu Till.

Dann akrobatische Action. Till tanzt Seil und macht den Streich mit den Schuhen. Die er einsammelt und dann einfach von oben aus dem Sack herunterschmeißt. Als Zeichen, dass er da war, sprüht Till einen Graffiti-Tag mit dem Spiegel und der Eule an die Scheibe der Rathaustür. Nach kurzer Zeit ist das Zeichen wieder weg.

Als nächstes dann die sieben Schwaben. Urkomisch, wie Doro Jakubowski auf die Kreidetafel am Spieß schaut und sagt: "Navi sagt: Wirtshaus in Sicht." Gelächter, als sich die Schwaben die Beine entknoten lassen. 

Dann wird Till nachdenklich. Denn: Von der Narretei kann er nicht immer leben. Er spricht von der Angst vor dem sozialen Absturz. Die nächste Stadt, der nächste Versuch. Till versucht, sein Geld als Ratgeber zu verdienen. Eltern wollen wissen: Ist der Typ der richtige für unsere Tochter? Der Vater alias Andreas Schnell ruft: "Hände weg von meiner Tochter. Meine Frau kannst du haben." Wieder Gelächter im Publikum. 

Nächste Station dann in Köln. Till sagt: "Dort ist Café Kipp. Das sieht sehr freundlich aus. Mein Magen ist arbeitslos geworden." Das Publikum schüttelt sich vor Lachen. Dann kommt ein Bäckermeister (Swen Richter) gelaufen. Till ist angeblich Bäckergeselle, und der Meister singt fröhlich "Viva Colonia". So lange, bis er merkt, dass Till Eulen und Giraffen statt Brot gebacken hat…

Dann ist Pause. Geschickt, wie die Truppe es dann schafft, das Publikum wieder auf die Stühle zu kriegen. Mit Akrobatik, Jonglage, Diabolo und jeder Menge Riesen-Seifenblasen. Die Szene: Das fröhliche Volk vergnügt sich, tanzt und feiert das Leben, während der Priester (Swen Richter) über das gottlose Feiern schimpft. Julia, Katharina und Till schlagen Räder auf der Bühne. Ein Augenschmaus. Da muss der Gottesmann Bruder Benedictus aber doch eingreifen… Gesagt, getan. Andreas Schnell als Bettler humpelt vor aller Augen zum Priester. Der heilt ihn für 12 Kreutzer. Klar, dass das Volk neugierig wird. 

Elisabeth Schneider hat ein großes Problem: "Unten, wo die Postkutschen halten, haben sie eine riesige Markthalle gebaut. Die nimmt mir die Sonne weg." Anspielung auf das neue Einkaufszentrum am Bahnhof. Das Publikum ist begeistert. Dann die nächste Frau: "Donald Trump ist mein Nachbar. Er hat eine riesige, hohe Mauer gebaut. Die nimmt mir die Luft zum atmen." Auch für dieses Problem hat der Priester einen heiligen Text – für viel Geld. 

Doch das reicht Benedictus noch nicht. Erst mal bekommt der Bettler seinen Lohn für die Heilung, dann soll er als Blinder agieren. Doch Till Eulenspiegel entlarvt den Schwindel – indem er den "Blinden" mit einem Messer bedroht. Der erschrickt – der Betrug fliegt auf.

Das Volk rebelliert. Doro Jakubowski bringt es in ihrer Brandrede auf den Punkt. Sie klagt die Kirche an, die vorgibt, dem Glauben zu dienen, aber Besitztümer ansammelt. Die Bürgerin fordert: "Wir wollen eine Welt, in der alle gleich behandelt werden. Vom Fürst bis zum Bauersmann!" Das Publikum applaudiert.

Dann wird’s noch mal derb: Till als Kürschnergesell stinkt furzend gegen den Fellgeruch des Kürschners an, bei dem er arbeitet. Bis dann Elisabeth Kaiser seine Hand nimmt und der Schelm endlich seine Liebe ergreift…

Bravo-Rufe des Publikums. Dieser Till war wirklich ein großartiges Schauspiel mit allen prallen Elementen. Andreas Schnell, der gemeinsam mit Doro Jakubowski das Stück geschrieben hat: "Ich habe mich von Christa Wolf inspirieren lassen, die Till Eulenspiegel in die Zeit des Bauernkrieges verlegt hat. Dadurch gibt es auch einen politischen Bezug."

Doro Jakubowski: "Der Narr in seiner Ursprungsrolle ist dazu da, den Menschen den Spiegel vorzuhalten. Deshalb haben wir auch das aktuelle politische Geschehen mit ins Stück eingebaut. Das Graffiti-Tag ist dafür das Symbol: Kurz ist der Eulenspiegel zu erkennen, dann löst er sich wieder auf."