Reflexionen sind sein Leben: Künstler Udo Braitsch vor einem Werk, das ihn selbst zeigt – als Spiegelung natürlich. Fotos: Hopp Foto: Schwarzwälder-Bote

Udo Braitsch beschäftigt sich künstlerisch mit Spiegelungen und deren Wirkung / "Meine Lebensaufgabe sind Reflexionen"

Von Jürgen Lück

Horb. Da steht er: Ein Mann wie ein Baum. Gemütlicher Bart, hellwacher Blick. Udo Braitsch hat gerade seine Bilder in den Räumen des Kunstvereins aufgehängt. Es sind Stillleben, die verstören. Die einem die Augen öffnen. Die poetisch sind.

Braitsch: "Mich beschäftigten die Spiegelungen und ihre Wirkung. Das kennt bestimmt jeder vom Autofahren in der Nacht: Die Lichter im Rückspiegel lenken die Wahrnehmung durch die Frontscheibe auf die Straße ab."

Er zeigt mir das Bild "Im Winde / Klirren die Fahnen". Unten ist es braun, darüber ist eine dunkle Platte zu sehen. Darauf: Eine Glasvase, ein goldenes Ei und ein Kristall. Darüber sind wellenartige, dunkle Strukturen, knickende Linien und vier geisterhaft anmutende Schemen von Personen zu erkennen. Das Bild – es fasziniert. Je länger man hinschaut, desto mehr wirkt es. Man nimmt die abstrakten, dreidimensional wirkenden "Schattierungen" wahr, die erdigen Farben, die Reflexionen. Sie machen aus dem Stillleben eine lebendige Komposition.

Kein Wunder, dass Benno Müller, Vorsitzender des Kunstvereins Oberer Neckar, sagt: "Diese Art von Malereien haben wir in Horb überhaupt noch nicht gesehen. Der Kunstbeirat war begeistert."

Doch wie schafft es Udo Braitsch aus Tuttlingen, diesen Zauber in – auf den ersten, ganz oberflächlichen Blick normalen – Stillleben zu transportieren?

Der Künstler: "Angefangen hat das während meines Studiums, als ich spiegelnde Eisenbahnfenster in der abstrakten Kulisse des Karlsruher Hauptbahnhofs fotografiert habe und dann gemalt habe. Dann wurde die Spiegelung zu meiner künstlerischen Lebensaufgabe. Und das Ziel: dass ich nichts Abstraktes male, sondern etwas Konkretes. Alles, was hier auf den Bildern aus meinem 35-jährigen Werk zu sehen ist, stand wirklich so in meinem Atelier. Das ist jeweils die Widerspiegelung eines Mikrokosmos, der so wirklich stattgefunden hat."

Dabei reizt ihn die Gesamtkompositon: Ein Brett mit zwei oder drei Gegenständen drauf. Ein Fonds aus Spiegelfolie, der dieses ganz konkrete, eigentlich nüchterne Stillleben durch die Reflexionen auf der unebenen Folie in etwas Poetisches, Fließendes, Organisches verändert. Braitsch: "Das ist der scheinbare Gegensatz zwischen Ordnung und Chaos. Die Spiegelung auf den Bildern wirkt zwar chaotisch, aber sie bringt einerseits musikalischen Schwung in das Bild. Und durch die Gesamtkomposition entsteht etwas Ganzes, welches Assoziationsketten beim Betrachter auslöst. Und das wirkt – so sagen Betrachter – manchmal verstörend. Aus einer ganz banalen Szene entsteht so etwas Poetisches."

Die Arbeitsweise des Künstlers – sie erinnert an das, was einen guten Studiofotografen mit Stills (unbeweglichen Motiven) einerseits ausmacht. Braitsch stellt den Tisch mit den konkreten Gegenständen in seinem Dachatelier auf. Dann hängt er die Spiegelfolie dahinter auf. Schaut ganz intensiv: Wo reflektiert sich das Licht? Wie sehen die Formen in der Spiegelfolie aus? Welche Farben spiegeln sich auf dem goldenen Ei?

Doch wo der Studiofotograf mit dem Staub kämpft, baut Braitsch auch die Streifen von Staub auf dem schwarzen Brett in die Komposition mit ein. Genau deshalb analysiert sein Auge zwar wie ein Studiofotograf, aber die Darstellung genau dieser feinsten Aspekte der Reflexionen, Verzerrungen und die Übergänge zwischen Licht und Schatten gehen für Braitsch nur mit dem Pinsel.

Der Künstler: "Ich schaue mir das ganz genau an. Falle dann wie in eine Trance. Und dann versuche ich das, was ich sehe, zu malen."

Das kann pro Werk bis zu drei Monate dauern. Braitsch: "Sobald ich meinen Kopf nur um Millimeter verändere, verändert sich das ganze Bild. Ich male so lange, bis sich ein Rhythmus bildet. Ich male sehr gewissenhaft und muss mit der Wahrheit kämpfen, die ich sehe. Wenn das Bild dann insgesamt ein labiles Gleichgewicht bildet, dann empfinde ich eine gewisse Genugtuung."

Udo Braitsch, Vernissage am Sonntag, 20. September, 11 Uhr Kloster. Der Künstler führt ein, musikalische Begleitung: Thomas Nikolaus Martin (Saxofon). Die Ausstellung endet am 1. November.