Andrea Dettling mit dem fünf Meter langen Ahnenbaum der Rexinger Dettlings. Foto: Hopp Foto: Schwarzwälder-Bote

Dettling digitalisiert Personenarchiv des Synagogenvereins / Weitere Gedenkstätten wollen Datenbestand bereichern

Von Lena Müssigmann

Horb. Die Rexinger Juden haben einst das Dorf geprägt. Doch wer heute etwas über sie wissen will, muss aufwendig nachforschen. Wer war mit wem verwandt, hat wo gewohnt, liegt wo begraben? Diese Informationen sind jetzt dank der Arbeit von Andrea Dettling auf Knopfdruck verfügbar.

Andrea Dettling (50) träumte als Kind davon, Archäologin zu werden und in Ägypten Mumien auszugraben. Heute ist sie Betriebswirtin. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich trotzdem mit Geschichte: Sie betreibt Familienforschung, in der Fachsprache Genealogie. Dettling lebt in Gärtringen, ist in Mühlen aufgewachsen und mit einem Rexinger verheiratet. In Rexingen koordiniert sie die Arbeiten am Heimatbuch. So kam 2012 der Kontakt zum Synagogenverein zustande.

Barbara Staudacher vom Verein hat alle ihre Informationen über die jüdischen Rexinger in Ordnern und Regalen verstaut. Wenn eine Familie nach Verwandschaftsverbindungen in Rexingen fragte, hat Staudacher handschriftliche Stammbäume aufgezeichnet und mühsam alle Informationen aus ihren Ordnern zusammengesucht. Als Dettling das gesehen hat, kam ihr die Idee mit der Datenbank.

Damit kannte sie sich schon aus: Sie hatte bereits die Dettling-Verwandtschaftsbeziehungen erforscht und in einer Datenbank für die Dettling-Familiengemeinschaft festgehalten.

2012 hat Dettling mit der Arbeit für den Synagogenverein begonnen und zwei Jahre lang erst einmal die Daten aus Familienregistern als Rahmendaten in die Datenbank eingepflegt. Inzwischen steht das Gerüst. Nun trifft sie sich alle zwei Wochen mit Barbara Staudacher und wälzt mit ihr die Ordner, in denen sich über Jahre angesammelte Informationen befinden. Jedes Porträt-Bild kann in der Datenbank zur entsprechenden Person hochgeladen werden, ihr Haus, ihr Grab, alles mit Verweis auf die Quelle der Information.

Barbara Staudacher ist begeistert von Dettlings Arbeit für den Verein und davon, dass die Informationen jetzt so einfach abzurufen sind. Auf Knopfdruck spuckt das System die Abstammung einer bestimmten Person aus, außerdem Informationen darüber, wo sie gewohnt hat, wann sie geboren wurde, wann und wie sie gestorben ist, wo sie begraben liegt, sogar, ob es einen Stolperstein zum Gedenken an die Person gibt. Auch die Lebensgeschichte wird hinterlegt, die oft bewegend ist, weil die Leute auswandern mussten oder deportiert wurden. "Die Datenbank ist bei der Datensuche eine enorme Erleichterung für die Ehrenamtlichen, die ohnehin schon viel Zeit investieren", sagt Dettling.

"Das über viele Jahre angesammelte Wissen geht nicht verloren"

Für Nachfahren ehemaliger jüdischer Rexinger sei es von besonderer Bedeutung, das Grab ihrer Großmütter und Großväter zu finden und zu besuchen. "Aber das ist nicht nur eine rückwärtsgerichtete Datenbank, sondern auch eine vorwärtsgerichtete", sagt Dettling. Vor einiger Zeit habe sich aus Amerika der Enkel einer Rexingerin gemeldet, der nach seinen Wurzeln forschte. Dettling konnte herausfinden, dass es noch Verwandte in Israel gibt, durfte nach Rücksprache sogar den Kontakt herstellen. "Das freut diese Leute und mich, wenn Erkenntnisse und Verbindungen aufgedeckt werden können."

Andrea Dettling ist Mutter dreier Kinder und arbeitet zu 60 Prozent im Controlling einer großen Firma. Sie investiert nach eigenen Angaben täglich an die zwei Stunden in ihr Hobby, die Familienforschung. Sie arbeitet in den Arbeitskreisen für Familienforschung in Herrenberg und Dornstetten mit. Bei ihr müsse immer "was gehen", sagt sie. Sie hat sich ein bundesweites Netzwerk im Bereich Familienforschung erarbeitet und ist zur Expertin für die Datenbank geworden, mit der sie arbeitet. Das Programm TNG kommt aus den USA und Dettling hat erst vor Kurzem ein 100-seitiges Handbuch auf Deutsch zur Benutzung des Programms geschrieben.

Dettling hat aber auch eine persönliche Motivation für die Aufarbeitung der jüdischen Familienstrukturen. 2010 hat sie sich selbst auf die Suche nach ihren Wurzeln in Ostpreußen gemacht. Ihre Oma musste den Landstrich 1945 verlassen, als Dettlings Mutter noch ein Baby war. "Ich bin noch mit den Geschichten der Oma aufgewachsen, die von einer Heimat erzählt, die es da irgendwo geben muss, wo man selbst aber nie war."

Als sie der Sehnsucht nach dieser Heimat nachgegangen ist, sei sie dankbar gewesen, dass ihr dort lebende Polen auf dem Friedhof geholfen haben, die Gräber ihrer Familie zu finden. "Dass nun auch ich jemandem ein Stück seiner Familiengeschichte geben kann, gibt mir eine innere Befriedigung."

Dettling könnte für die Arbeit an der Datenbank Helfer gebrauchen. "Für Horb, Dettensee, Nordstetten, Mühlen und Mühringen gäbe es auch noch viel einzugeben", sagt sie.

Viele weitere Gedenkstättenvereine haben inzwischen von Dettlings Projekt erfahren und wollen sich daran beteiligen. Je größer der Datenbestand, desto eher findet man Verbindungen und erfährt etwas über den Verbleib von Personen, die zum Beispiel umgezogen sind oder aus Rexingen weggeheiratet haben.

Durch einen glücklichen Zufall hat Dettling vor einiger Zeit Heinz Lörcher aus Villingen-Schwenningen kennengelernt, der ebenfalls jüdische Familienverbindungen systematisch erfasste. Sein Datenbestand umfasste etwa 8000 Personen, Dettlings Datenbestand umfasste rund 4000 Personen. Jüngst wurden beide Datenbanken in knapp vierwöchiger Arbeit von Dettling zusammengefügt, es gab 650 Überschneidungen. Inzwischen sind Daten zu 12120 Personen hinterlegt, täglich würden es mehr, sagt Dettling.

"Der Vorteil ist: Das über viele Jahre angesammelte Wissen geht nicht verloren. Die Gedenkstätten stehen oft vor der Situation, dass Einzelne ein riesiges Expertenwissen haben. Aber was passiert, wenn diese Person mal nicht mehr da ist?" Jeder, der den Umgang mit der Datenbank beherrscht und eine Zugriffserlaubnis hat, kann nun auf die Informationen zugreifen.

Datenbank Dettling arbeitet mit einer SQL-Datenbank (Structured Query Language, zu deutsch: strukturierte Abfragesprache). Die Datenbank ist webbasiert, man kann an verschiedenen Orten gleichzeitig an der Datenbank arbeiten.

Kosten Die Kosten für den Betrieb der Datenbank sind gering. Der Webspace dafür kostet nach Dettlings Angaben höchstens zehn Euro, das Programm habe sie für 33 US-Dollar (rund 29 Euro) erhalten. Der Zeitaufwand für die Dateneingabe ist jedoch groß. Für Abfragen wird bislang kein Geld verlangt, eine Spende sei aber willkommen, sagt Dettling.