Liese-Lotte Lübke mit einer rosa Kiste voller ganz persönlicher Träume ihres Publikums. Foto: Morlok Foto: Schwarzwälder-Bote

Kabarett: Liese-Lotte Lübke packt im Kloster ein paar Wunschträume aus ihrem rosa Kästchen aus

Horb. Aua, das tat weh! Nein, nein, mit dieser Feststellung ist weder die Besucherzahl beim Auftritt von Liese-Lotte Lübke gemeint, die ruhig etwas höher hätte ausfallen können, noch die Arbeit von Ewald Loschko an den Reglern der Lichtanlage, bei der man meist den Eindruck hatte, jetzt muss mit aller Gewalt Strom gespart werden, sondern die fast schon brutale Ehrlichkeit in den Texten, die die 28-Jährige mit nach Horb brachte.

Da saß sie nun im dunklen Saal mutterseelenallein im Spotlight des einzigen Scheinwerfers am alten zerschrammten Klavier des Projekts Zukunft, haute die Akkorde mit solch einer Wucht in die Tasten und sang ihre Songs mit einer solch unglaublicher Vehemenz, dass man glauben konnte, es ginge um ihr Leben. Tja, und tatsächlich ging es um ihr Leben. Es wollte ihr zwar vom netten Publikum niemand ans symbolische Leder, doch das Leben der jungen Frau schenkte ihr Gedankengänge, die sie in Noten gekleidet und mit bittersüßen, meist autobiografischen Texten versehen, vortrug. Gedanken und Erlebnisse wie aus Stephen Kings Horrorgeschichten, und doch nur dem wahren Leben abgetrotzt.

Gleich zu Beginn ihres Programms machte sie jedoch erst mal das, was Kabarettisten immer gerne mache. Sie machte aus dem Publikum Mitspieler, Verbündete, Compañeros. Sie ließ sie tanzen, schreien und träumen. "Scheiß auf den Verschleiß – Arme hoch, die es noch können, und schreit das raus, was euch einengt."

Für Liese-Lotte stand fest, dass man unter der Woche kaum zum schnaufen kommt, dass einfach so wenig geatmet wird, dass man glaubt, am Leben zu ersticken. Deshalb auch ihr Motivationsansatz, dass sich die Besucher dieser Vorstellung einfach gleich mal ihren Frust von der Seele schreien. Und wer bisher glaubte, Schwaben schreien nicht, sie schaffen und haben deshalb für solch überflüssige Gefühlsäußerungen keine Zeit, der irrt.

Ihr "Traummann" macht ihr manchmal sogar selber Angst

Auch Schwaben schreien – und wenn, dann richtig. Tiefenentspannt ging es dann gemeinsam zum Hartz-IV-Antrag stellen in ein Irrenhaus namens Arbeitsamt. "Es ist ein böser Song nach einer wahren Begebenheit", erklärte die Künstlerin noch kurz, bevor sie ihr Publikum mit zum tagelangen Warten in die Gänge des Amtes mitnahm. "Wenn Sie keine Kunden-Nummer haben, dann kann ich nichts für sie tun, und wenn Sie es einrichten können, kommen Sie nie wieder hierher", so der einzige verwertbare Tipp innerhalb der zweiwöchigen Odyssee durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die letztendlich viel mehr als Zeitverschwendung war.

Wer kein Harz IV bekommt, geht a rbeiten. Wer Arbeit will, macht am besten ein Praktikum. Unbezahlt bei unmotivierten, unfreundlichen Menschen. Und wenn man Glück hat, wird man recht bald rausgeschmissen und bekommt noch die Idee für ein Lied mit auf den Weg. Liese-Lotte macht ihr Praktikum in einer Werbeagentur, die einem ehemaligen Rockstar, der mit einer Ex-Türsteherin verheiratet ist, gehörte, und dessen Metamorphose vom Rebellen zum Spießer sie in ihrem Song beschrieb. "Spießer, was du da machst, ist doch kein Leben – alles was dir etwas wert war, hast du durch Macht und Geld ersetzt", so eine Textzeile die von einem Mann erzählt, der einen Job macht, den er nicht will, und der mit Leuten zusammenarbeiten muss, die er nicht leiden kann. "Zieh den Stock mal aus dem Arsch – du wirst es dir doch sonst nie vergeben", war ihr Rat an den "Spießer". "Nix war’s mit Harz IV, keine Praktikum – also wurde ich Hundefriseuse", erklärt sie, als sei dies das Normalste auf der Welt.

Den Job macht sie noch heute und sammelt, wie ein richtiger Friseur, die Geschichten, die das Leben schreibt. Ihr "Traummann" macht ihr dagegen manchmal sogar selber Angst. Der Typ ist ein Kumpel vom Gevatter Tod, kommt nachts heimlich in ihr Leben, klaut ihr ihre Träume und steckt sie in ein purpurrotes Beutelchen.

Als sie diesen Song, den sie immer bei völliger Dunkelheit vorträgt, das erste Mal ihrer Mutter – ihrem Testpublikum – vorspielte, war diese sehr lange sehr still und fragte irgendwann sichtlich berührt: "Und das willst du deinem Publikum zumuten?"

Sie wollte, ach was, sie musste, denn selten hat man so eindrückliche Zeilen und Verse gehört wie von Liese-Lotte Lübke. Aber nicht nur der Knochen-Karle, der sie des Nächtens besucht, sammelt Träume ein. Nein, auch sie selbst ist eine Wunsch(Traum)-Sammlerin. "Ich habe hier ein rosa Kästchen. In dem sind Zettel und Stifte. Schreibt hier auf, was passieren würde: Wenn ich könnte, wie ich wollte."

Eine nette Idee, und so mancher dieser Träume schaffte es sogar ins Programm, und wenn sie dann am Ende auch noch in Erfüllung gehen, dann wird sich so manch einer wundern.