Bald immaterielles Kulturerbe Deutschlands? Die Horber Nachtwächter wollen damit "kein Schaulaufen" machen. Foto: Hopp

"Gildenmeister" vom Niederrhein stellt Antrag bei Deutscher Unesco-Kommission. Joachim Lipp zeigt sich überrascht.

Dem Erhalt des immateriellen Kulturerbes widmet sich die Unesco seit 2013, und 170 Staaten sind der Konvention beigetreten. Bald könnte auch Horb an der Ehre teilhaben. Denn aus Nordrhein-Westfalen kommt ein Antrag, die Tätigkeit von Nachtwächtern als schützenswertes Kulturgut einzustufen.

Horb. Ende vergangenen Jahres haben die Deutsche Unesco-Kommission, die Kultusministerkonferenz und Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien, 34 neue Kulturformen ins deutsche Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen, darunter die ostfriesische Teekultur, das Skatspielen oder der Poetryslam im deutschsprachigen Raum.

Von dem Nachtwächter-Darsteller Heinz Wellmann aus der Stadt Rees in Nordrhein-Westfalen, "Gildemeister aller Nachtwächter, Türmer und Figuren", kam die Anmeldung für ihn und seine Kollegen seiner Gilde.

Im bundesweiten Verzeichnis befinden sich laut Angabe der Deutschen Unesco-Kommission (DUK) derzeit 68 Kulturformen und vier Erhaltungsprogramme (Gute Praxis-Beispiele). Neuzugänge seien willkommen, denn das Verzeichnis "soll von Jahr zu Jahr wachsen und langfristig die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in und aus Deutschland sichtbar machen". Sinn ist es, kulturelle Traditionen Deutschlands zu erfassen.

Der Nachtwächter-Vorschlag kommt aus Rees, der ältesten Stadt am unteren Niederrhein, wo der Geschichtsfan Heinz Wellmann seit Jahren historische Nachtwächter-Touren anbietet. Laut eigenen Angaben ist er seit 2008 in dieser Funktion tätig – also noch nicht einmal so lange wie die Horber Nachtwächter des Kultur und Museums, die im vergangenen Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feierten.

Laut einem Bericht der Rheinischen Post sind bislang 128 Anträge eingereicht worden, und die Nachtwächterei gehöre zu den rund 65, über die abschließend entschieden werde. Mit dabei sind Traditionen wie der rheinische Karneval, die Oberammergauer Passionsspiele oder das Schützenwesen.

Wellmann sagte in der Rheinischen Post: "Dieses Brauchtum ist auf jeden Fall schützenswert, und es besteht die Gefahr, dass es verloren gehen könnte. Viele meiner Kollegen sind bereits älter."

Die Chance für die Nachtwächter, aufgenommen zu werden, gilt als gut. Denn auch das Land Niedersachsen hat sich dem Nachtwächter-Antrag angeschlossen – neben seinen zwei weiteren länderübergreifenden Anträgen "Shanty" und "Protestantischer Choral".

Mit Baden-Württemberg und insbesondere Horb würde das Argument für die Nachtwächter noch deutlich mehr Gewicht bekommen. Denn das Horber Trio des Kultur- und Museumsvereins beschränkt sich nicht auf das Darstellen von Nachtwächtern, die als Stadtführer Geschichten erzählen. Joachim Lipp, Vorsitzender des Kultur- und Museumsvereins, Heinrich Raible und Bruno Springmann haben auch die Geschichte der historischen Nachtwächter in Horb recherchiert und können die Tradition somit doppelt mit Leben erfüllen.

Trotzdem wussten die Horber Nachtwächter bis gestern noch nichts von dem Vorstoß Richtung Unesco. Joachim Lipp sagte auf Anfrage des Schwarzwälder Boten: "Ich bin sehr verwundert. Als wir vor zehn Jahren damit angefangen haben, waren wir noch Exoten."

Nicht im Entferntesten habe man in Horb daran gedacht, eine Kulturerbe-Tradition zu beleben. Man habe sich auch keiner Nachtwächter-Vereinigung angeschlossen. "Wir machen das halt, weil es uns Spaß macht", so Lipp. Dabei ist das Nachtwächter-Trio des Kultur- und Museumsvereins gar nicht mal das älteste im Ländle. Im Jahr 2013 waren die Horber auf Jubiläumsbesuch in Weil der Stadt, wo Manfred Nittel und Gerd Diebold bereits ihr zehnjähriges Jubiläum als Nachtwächter feierten. Sie gelten gewissermaßen als die geistigen Väter der Horber Nachtwächter.

Mit einem Listenplatz der Nachtwächter bei der Deutschen Unesco-Kommission werde sich der Horber Verein nicht schmücken. "Da machen wir kein Schaulaufen und werden die Nase künftig auch nicht höher tragen", sagt Lipp.

Vielleicht ändert er seine Meinung, wenn die Kulturerbe-Detektive erst einmal die anderen Horber Sehenswürdigkeiten orten. Zum Beispiel die größte Kontrolluhren-Sammlung Baden-Württembergs, ebenfalls im Besitz des Kultur- und Museumsvereins und eng verbunden mit der Nachtwächter-Tradition.

Eine weitere in Horb gepflegte Tradition ist das "Neujahransingen" der Horber Nachtwächter. Es zählt laut Joachim Lipp zu den längst vergessenen Bräuchen am Jahreswechsel. "Nach einer Notiz im Horber Stadtarchiv haben die Nachtwächter von Horb in der Neujahrsnacht ihre äußerst geringe Besoldung dadurch aufgebessert, dass sie den Stadträten und sonstigen Honoratioren das Neujahr ansangen, wofür sie dann von den Betreffenden ein Geschenk bekamen", erzählt Lipp im Intenet unter www.joachim-lipp.de – wo man noch viele weitere Informationen über die Nachtwächter findet, sogar den Originaltext des Neujahrsliedes aus dem 19. Jahrhundert.

Übrigens: Horb hat ohnehin Anteil am immateriellen Kulturerbe der Unesco. Denn die evangelischen Posaunenchöre und das Hebammenwesen sind bereits gelistet. Und beides gibt es auch in Horb.

Info: Die Deutsche Unesco-Kommission

Die Unesco ist die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Die Deutsche Unesco-Kommission ist die Schnittstelle zwischen Staat, Wissenschaft und Zivilgesellschaft für das Unesco-Kulturprogramm in Deutschland. Sie berät die Bundesregierung und die übrigen zuständigen Stellen in Unesco-Fragen, wirkt an der Umsetzung des Unesco-Kulturprogramms in Deutschland mit, informiert die Öffentlichkeit über die Arbeit der Unesco im Kulturbereich und bezieht die kulturelle Fachgemeinschaft in die Arbeit der Unesco ein.

Die politische Zuständigkeit liegt bei den jeweiligen Bundes- und Länderministerien, meist beim Auswärtigen Amt, beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie bei der Kultusministerkonferenz der Länder.

Die Deutsche Unesco-Kommission wurde im Sommer 2007 von der Bundesregierung als Nationale Kontaktstalle für das Unesco-Übereinkommen zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2005) benannt. 2004 initiierte sie die Bundesweite Koalition Kulturelle Vielfalt, die sie seitdem koordiniert.

Kommentar: Prädikat

Von Christof Schülke

Hoppla: Nachtwächter als immaterielles Kulturerbe, gelistet von der Deutschen Unesco-Kommission? Rein materiell bringt das vielleicht zunächst mal nichts, aber der ideelle Wert ist groß. Der Horber Kultur- und Museumsverein könnte sich mit gutem Gewissen dem Vorstoß der Kollegen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen anschließen und damit auch Baden-Württembergs anderen Nachtwächtern einen Dienst erweisen. Oft braucht es einfach eine unabhängige überörtliche Institution, die den Wert einer Tradition klarstellt. Das ist quasi ein Gütesiegel. Solch ein Prädikat stärkt das Selbstbewusstsein der Engagierten – und trägt vielleicht dazu bei, dass die Tradition weiterlebt. Noch gibt es die nächste Generation der Horber Nachtwächter nicht. Aber die Aussicht, ein gelistetes immaterielles Kulturerbe zu pflegen, könnte das Kultur-Hobby attraktiver machen.