Ein Justizbeamter zeigt dem falschen Notarzt Sascha S. seinen Platz auf der Anklagebank. Foto: all4foto.de/Sascha Baumann

Kripo ließ "Dr. Schenk" wieder gehen. Sascha S. gibt sich in Verhandlung fachmännisch.

Horb/Stuttgart - Wie baute sich der falsche Notarzt "Dr. Sascha Schenk" seine neue Identität auf? Hatte er beim Notfall-Einsatz in Starzach wirklich alles im Griff? Und warum ließ die Freudenstädter Kriminalpolizei ihn nach dem ersten Verhör wieder laufen? Am dritten Prozesstag am Stuttgarter Landgericht tauchten gestern neue Details und Fragen auf.

Entlarvt und doch zunächst ein freier Mann

Als der falsche Notarzt "Dr. Sascha Schenk" im Januar 2010 aufflog, war von der Freudenstädter Kriminalpolizei nur wenig zu erfahren. Hatte das vielleicht einen guten Grund? Der ermittelnde Kriminalpolizist aus Backnang berichtete gestern vor Gericht von der schwierigen Suche nach "Dr. Sascha Schenk", nachdem bekannt wurde, dass es sich um einen Hochstapler handeln soll. Am 20. Januar 2010 informierte das Deutsche Rote Kreuz im Rems-Murr-Kreis laut der Aussage des Kriminalbeamten die Polizei. Gleichzeitig habe das DRK auch die Krankenhäuser Landkreis Freudenstadt gGmbH informiert. Diese meldete der Freudenstädter Polizei den Verdacht. Am 21. Januar sei "Dr. Schenk" von den Freudenstädter Polizisten verhört worden.

Doch dann geschah das Erstaunliche: Sascha S. durfte das Polizeigebäude wieder als freier Mann verlassen, obwohl er nichts zu seinen Personalien vorlegen konnte. "Er hat angegeben, dass er seinen Personalausweis vergessen hat", berichtete der Backnanger Polizist gestern dem Richter. Daraufhin habe man ihm in Freudenstadt erst einmal geglaubt, dass er "Sascha Schenk" heiße. In Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Rottweil habe man Sascha S. dann wieder gehen lassen. Das nutzte der Angeklagte aus und tauchte unter. Es folgte eine tagelange, mühsame Suche der Backnanger Kriminalpolizei, da gleich mehrere Wohnanschriften gefunden wurden. Doch nirgendwo war Sascha S. zu finden. Am 25. Januar meldete sich bei der Polizei ein Rechtsanwalt, der von Sascha S. beauftragt worden sei, aber keine Angaben machen wollte. Dann meldete sich "Dr. Schenk" selbst per E-Mail und erklärte, dass er erfahren habe, dass er gesucht werde, sich aber derzeit "zum Snowboarden im Münchner Umland befinde".

Ein weiterer Ansatz für die Polizei, der schließlich zum Erfolg führte, war seine damalige Freundin. Die kam zunächst zweimal nicht zur Zeugenaussage. Beim dritten Termin am 1. Februar erschien sie mit ihrem Vater, der dann der Lügengeschichte seiner Tochter nicht folgen wollte und zugab, dass Sascha S. bei ihnen zu Hause sei. "Dr. Schenk" wurde festgenommen, als er mit seiner "Schwiegermutter in spe" vom Einkauf zurückkam (Es bestanden wohl Heiratsabsichten mit der Tochter, wie gestern vor Gericht zu erfahren war).

 Die Legende des "Dr. Schenk"

Wie akribisch sich Sascha S. auf sein neues Leben als "Dr. Schenk" vorbereitete, wurde gestern deutlich. So startete er nicht sofort ins "Berufsleben", sondern baute sich erst einmal seine neue Identität im Privatleben auf. "Ich musste mir erst einmal eine Legende zurechtlegen." Auch seinen Lebenslauf für seine Bewerbungen gestaltete er genau. So wurden beide Eltern zu Anästhesisten am Katahrinenhospital Stuttgart. Ob diese detaillierte Auskunft nicht sehr gefährlich gewesen sei, weil man dies hätte leicht nachprüfen können, fragte der psychiatrische Gutachter Peter Winckler den Angeklagten. "Ich sah es genau andersherum. Ich wollte eine Geschichte haben, die schlüssig ist. Und wenn dort gestanden hätte, dass mein Vater Dachdecker und meine Mutter Friseurin ist, hätte man vielleicht eher nachgefragt."

Der 27-Jährige besorgte sich übrigens auch eine umfangreicher medizinischer Ausstattung: vom Stethoskop mit der Gravur "Dr. S. Schenk" bis hin zum Visite-Kittel. In seinen privaten Sachen entdeckte die Polizei Bilder, auf denen Sascha S. zum Beispiel im OP-Saal zu sehen ist oder wie er seiner Freundin eine Infusion legt. In seinen E-Mails fand man sogar einen "Weihnachtsgruß von Dr. Schenk", den er an alle Bekannten seiner neuen Identität schickte. "Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter uns", berichtete er unter anderem. Im Weihnachtsgruß zeigte "Dr. Schenk" auch seine poetische Ader, indem er ein Gedicht der Mail hinzufügte.

 Die Frage des Verantwortungsbewusstseins

Staatsanwalt Hans-Otto Rieleder versuchte gestern hartnäckig, die Frage des Verantwortungsbewusstseins zu klären. Und Sascha S. schlüpfte fast schon wieder in die Rolle des Arztes. "In der Medizin gibt es sicherlich immer Bedenken. Ich habe aber vor und während der Einsätze die Sicherheit gehabt." Im Nachhinein habe er sich dann immer viele Gedanken gemacht. "Wenn ich mit einer Situation nicht fertig geworden wäre, dann hätte ich Hilfe geholt. Aber das war nie nötig." Eine "Exit-Strategie" habe es für ihn nicht gegeben. "Es gab für mich kein Ende." Es sei für ihn nicht klar gewesen, wie lange er in Horb tätig gewesen wäre. "Ich weiß auch nicht, ob ich mich wieder woanders beworben hätte, wenn irgendwann einmal die Horber nicht mehr mit mir zufrieden gewesen wären." In München hatte er 2009 übrigens zuvor den festen Vertrag bereits unterschrieben. Doch dann habe er sich gefragt: "Wie komme ich aus der Nummer wieder heraus?". Bekannt wurde gestern auch, dass er sich bereits beim Krankenhaus in Backnang beworben hatte. Eine Stelle in der Frankenwaldklinik in Kronach trat er nicht an.

 Der Fall in Starzach

Gestern kam explizit der "Starzacher Fall" zur Sprache. Bei einem Einsatz von "Dr. Schenk" im Ortsteil Felldorf starb ein Mann. Zwar könne man keinen kausalen Zusammenhang nachweisen, so Staatsanwalt Rieleder, aber es habe Fälle wie diesen gegeben, bei denen es "Spitz auf Knopf" gegangen sei. Die Intubation (Luftröhrenschnitt) habe im Starzacher Fall nicht geklappt, so Rieleder. Sascha S. bestätigte Schwierigkeiten. Aber auch die Rettungsassistenten hätten diese Probleme später gehabt, erklärte er. "Außerdem war der Patient stets mit Sauerstoff versorgt. Es bestand immer eine Sauerstoffsättigung von mindestens 90 Prozent", gab sich der Angeklagte fachmännisch.

 Psychiatrische Einblicke

Hat Sascha S. selbst irgendwann geglaubt, er sei Arzt? Gutachter Winckler verneint dies im Gespräch mit unserer Zeitung. "Ihm war immer bewusst, dass er eine falsche Identität vorgibt." Sascha S. sei aber davon überzeugt gewesen und heute immer noch überzeugt, dass nötige Fachwissen zu besitzen und auf Augenhöhe mit echten Anästhesisten zu sein. Dies erklärte Sascha S. auch vor Gericht. "Ich habe sicherlich etwas vorgegeben, aber ich hatte auch das Fachwissen."