Lesung: Undine Zimmer erzählt von ihrem Aufwachsen in einer Hartz-IV-Familie
Horb. Aufgewachsen in Berlin mit einer Familie, die von Hartz-IV lebte, hat die Journalistin Undine Zimmer das Buch "Nicht von schlechten Eltern – Meine Hartz-IV-Familie" geschrieben. Zu einer Lesung und einem Gespräch kommt Undine Zimmer am heutigen Dienstag, 17. Oktober, ab 19.30 Uhr in das Kulturzentrum Kloster. Jenseits aller Klischees gibt sie einen Einblick in eine Welt, von der kaum jemand wirklich etwas weiß. Vorab haben wir mit Undine Zimmer über das Thema gesprochen.
Frau Zimmer, Sie sind in einer Hartz-IV-Familie in Berlin aufgewachsen. Wo sehen Sie die größten Unterschiede zum ländlichen Raum?
Ein ganz großer Unterschied ist die Infrastruktur. In Berlin kann ich mich mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln viel flexibler und billiger bewegen. Ich benötige kein Auto. Im Ländlichen bin ich da sehr eingeschränkt. Auch ist es in der Stadt anonymer. Das hat Vor- und Nachteile. Aber wenn ich nicht will, dass mein Nachbar weiß, dass ich zur Tafel gehe oder ein bestimmtes Angebot nutze, dann kann ich in einer Stadt natürlich auch mal in den nächsten Bezirk fahren und unerkannt bleiben, wenn ich das will. Andererseits kommt mit der Anonymität auch der Faktor Einsamkeit noch stärker zu Gewicht, wenn ich keinen Bekanntenkreis habe. Die Nähe zur Natur auf dem Land konkurriert mit den vielfältigen und interkulturellen Angeboten einer Großstadt.
Was kann Ihrer Meinung nach gegen die soziale Ächtung von Hartz-IV-Empfängern getan werden?
Ein wichtiger Faktor für Menschen, die Hartz-IV bekommen, ist die Scham und das Gefühl, sich immer rechtfertigen zu müssen, dass sie in dieser Situation sind. Für Viele ist das sehr schlimm. Es liegt oft unterschwellig die Annahme in der Luft, dass Hartz-IV Empfänger selbst Schuld sind an ihrer Abhängigkeit vom Staat. Dies ist aber nicht so einfach. Viele sehen keine Möglichkeit ihre Situation zu verändern aus vielen Gründen, zu denen auch der Arbeitsmarkt und andere Faktoren ihrem Teil beitragen. Ganz wichtig finde ich, dass Kinder aus Familien in schwierigen Situationen nicht benachteiligt oder übersehen werden. Sie brauchen besonders viel Ermutigung und Förderung und manchmal Geduld. Das fängt ja schon im Kindergarten und der Grundschule an.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Chancengleichheit und Klassenlosigkeit in Deutschland noch unerreichte Ziele sind. Wann wurde Ihnen das am meisten bewusst?
Beim Schreiben meines Buches, als ich Vieles noch mal reflektiert und mit anderen Menschen über Themen gesprochen habe, die ich vorher nie mit anderen diskutiert habe, inklusive meinen Eltern.
Was war Ausschlag für Sie, sich aus der Situation herauszukämpfen?
Ich habe immer Ziele gehabt und diese verfolgt so gut ich konnte. Außerdem war ich neugierig und habe hohe Ansprüche an mich selbst und andere. Irgendwann merkt man dann, dass man sich ständig wieder mit bestimmten Konflikten auseinandersetzen muss, und sich "in einem Kampf" befindet, wenn man dieses Wort benutzen möchten. Ich hatte einen großen Vorteil: Mein Elternhaus hat Bildungsbestrebungen immer unterstützt.
Die Fragen stellte Lena Straub.
Die Lesung von Undine Zimmer zu ihrem Buch "Nicht von schlechten Eltern – Meine Hartz-IV-Familie" findet am Dienstag, 17. Oktober, ab 19.30 Uhr im Kulturzentrum Kloster statt. Veranstalter sind das katholische Dekanat Freudenstadt in Kooperation mit Caritas Schwarzwald-Gäu, der katholischen Erwachsenenbildung und das Projekt Zukunft. Der Eintritt kostet 8 Euro (ermäßigt 6 Euro).