Nach dem Urteil am Landgericht Rottweil bleibt der Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus. Foto: Paul Hill / Fotolia.com

Aus strafrechtlicher Sicht keine Schuldfähigkeit. Religiöser Wahn und Schlafmangel begünstigen grausige Tat.

Horb - Er habe nach altgermanischem Recht auf Anweisung Gottes gehandelt: So habe laut Vorsitzendem Richter Karlheinz Münzer der Beschuldigte seine Bluttat vom 1. März am Horber Bahnhof und im Kaufland begründet.

Er ordnete in der Verhandlung vor dem Landgericht Rottweil eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Immer wieder hatte der Beschuldigte im Laufe der Verhandlung die Zeugen gefragt, ob er ein schlechter Mensch sei, so Münzer in seiner Urteilsbegründung. "Sie sind kein schlechter Mensch, sondern ein kranker Mensch", urteilte er. Daher könne aus strafrechtlicher Sicht auch keine Schuldfähigkeit attestiert werden. Vielmehr müsse nun eine Besserung durch eine Behandlung erfolgen.

Sachverständige hatten dem Beschuldigten im Laufe des Prozesses eine chronifizierte paranoide, halluzinogene Schizophrenie bescheinigt. Im psychotischen Zustand versetzte der 37-Jährige einem Bekannten vier Messerstiche, die um Haaresbreite tödlich gewesen wären. Das gleichaltrige Opfer hatte Schäden an Leber, Darm und Milz, die ihm gar entfernt werden musste. Der Mann verlor zwei bis drei Liter Blut und leidet bis heute unter den psychischen Folgen der Tat.

"Der Beschuldigte hat dessen Tod billigend in Kauf genommen", urteilte Münzer. Es seien vom Beschuldigten Sätze gefallen wie "Hoffentlich krepiert der", "Ich stech dich ab" oder "Einer musste das tun". Trotzdem sei die Tat nicht als versuchter Mord, sondern versuchter Totschlag sowie gefährliche Körperverletzung zu werten.

Kernfrage des gesamten Prozesses, so Münzer, sei die Frage der Schuldfähigkeit gewesen. Aufgrund der schweren psychischen Erkrankung sei die Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen. Die Krankheit habe alle Lebensbereiche bestimmt und die seelische Störung dauere an. Daher seien "weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten". Da auch die medizinische Prognose sehr ungünstig sei, bleibe nur ein stationärer Aufenthalt übrig. "Es gibt kein milderes Mittel", sagte der Richter. Der Beschuldigte selbst hatte auf eine Strafe zur Bewährung gehofft.

Stationäre Unterbringung für mindestens drei Jahre

Eine vollständige Heilung sei nicht zu erwarten, der Beschuldigte müsse nun lernen, mit der Krankheit zu leben und umzugehen. Nach einer laut Sachverständigem mindestens drei bis vier Jahre dauernden stationären Unterbringung könnte eine ambulante Wohnform folgen.

Doch warum wurde ausgerechnet der Freund aus Kindheits- und Jugendtagen zum Opfer? Der Beschuldigte habe vermutet, so der Richter, dass das Opfer Rädelsführer eines Komplottes gegen ihn sei. Zudem habe er "in seinem Kopf herum gespukt". Er habe ihn mehrfach aufgefordert, damit aufzuhören. Als diese Versuche nicht fruchteten, griff der Beschuldigte zur Selbstjustiz mit dem am selben Morgen gekauften Küchenmesser mit einer 12,5 Zentimeter langen Klinge – und das blutige Verhängnis nahm seinen Lauf.

Auch zuvor war der Beschuldigte mehrfach unangenehm aufgefallen. So habe er auf das Fahrzeug der Nachbarn eingetreten und habe nächtliche Schreianfälle gehabt. Zu Behandlungen sei er nicht regelmäßig gekommen und auch seine Medikamente habe er nicht zuverlässig genommen. Hingegen habe er sich für einen Schamanen mit besonderen Fähigkeiten gehalten, sagte Münzer.

Die psychischen Probleme seien im Alter von 20 Jahren erstmals aufgetreten. Hinzu kam in jungen Jahren exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum. Ob dies Psychosen ausgelöst habe, lasse sich laut Sachverständigen nicht zweifelsfrei feststellen.

Der Staatsanwalt hatte zuvor erklärt, dass der Beschuldigte den Tod des Opfers mit wuchtigen Stichen in dessen Körper billigend in Kauf genommen habe. Der Beschuldigte habe an Blutrache geglaubt. Er wertete die Tat als versuchten Totschlag und plädierte darauf, die Unterbringung nicht zur Bewährung auszusetzen. Die Schuldunfähigkeit bezweifelte aber auch er nicht.

Der Verteidiger hatte betont, der Beschuldigte habe seinem Opfer lediglich einen Denkzettel verpassen, ihn jedoch nicht töten wollen. Daher plädierte er auf eine Bewertung als schwere Körperverletzung. Zudem führte er die Angst des Beschuldigten vor Vergiftungen und dessen religiösen Wahn an.

Der Beschuldigte selbst sah sich als friedliebenden Menschen, der früher in Vereinen aktiv gewesen sei und eine hohe soziale Intelligenz besitze. Er sei Pazifist, glaube aber an Magier und Schamanen. Zur Tat meinte er: "Es tut mir leid." Ein Mix aus Schlafmangel und fehlenden Medikamenten habe zum temporären Wahn geführt. Er wolle in Zukunft ein Buch über seine Erlebnisse und den Umgang mit der Krankheit schreiben und sich sozial engagieren.