Justizminister Rainer Stickelberger stellte sich den Fragen der Kommunalpolitiker. Foto: Geideck Foto: Schwarzwälder-Bote

Flüchtlingsdebatte: Justizminister Rainer Stickelberger diskutiert über die Situation von Asylsuchenden

Von Tim Geideck

Im Horber Kloster hatten Kommunalpolitiker aus dem Kreis Freudenstadt die Möglichkeit, mit dem baden-württembergischen Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) über über die Flüchtlingunterbringung zu diskutierten.

Horb. Vor allem eines wurde dem Lörracher mit auf den Weg gegeben: Das Tempo muss erhöht werden. Dass die Flüchtlingsdebatte nichts an Brisanz einbüßen wird, verdeutlichte Stickelberger gleich zu Beginn der Diskussion. Mehr als 100 000 Flüchtlinge sind 2015 nach Baden-Württemberg gekommen. "Auch wenn der Strom momentan nachgelassen hat, werden wir in diesem Jahr sicherlich auf eine ähnliche Zahl kommen", merkte der 64-Jährige an.

Das Land sei gut aufgestellt, es würden viele Plätze für die Erstaufnahme zur Verfügung stehen und auch die vielen ehrenamtlichen Helfer, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, machen aus Sicht des Politikers einen guten Job. Mit großem Entsetzen beobachte er hingegen die "Hetze und ausländerfeindlichen Parolen". Stickelberger: "Ich hätte nicht gedacht, was für Widerwärtigkeiten in diesem Land in kürzester Zeit aufbrechen können."

Auch ein anderes Problem ist dem Lörracher bekannt, das konkret die kommunale Ebene betrifft: Zu lange sei der Aufenthaltsstatus eines Flüchtlings ungeklärt. "Das ist für die Integration ganz schlecht", betonte Stickelberger. Interesse der Politik müsse es daher sein, die Verfahren zu beschleunigen – weshalb Baden-Württemberg 26 zusätzliche Verwaltungsrichter-Stellen geschaffen habe. Denn der Justizminister vermutet: "Da wird noch eine ganze Welle von Verfahren auf uns zukommen." Knackpunkt ist: Die Klärung des Aufenthaltsstatus ist Bundessache, mit eventuellen Klagen muss sich jedoch die Justiz der Länder befassen.

Ein bürokratischer Akt, der nur zu gut veranschaulicht, vor welchen Hürden erst recht die Kommunen stehen. Zwar räumte Stickelberger ein: "Die Kommunen werden die Hauptlast der Integration tragen müssen. Da stehen gewaltige Aufgaben an." Nur: Die werden oft einfach nur mit Tatsachen konfrontiert – und das meist zu spät.

So mahnte der Horber Bürgermeister Jan Zeitler an: "Verfahrensdauern, die über zwölf Monate hinausgehen, sind Betroffenen und Helfern nur schwer zu vermitteln." Und der stellvertretende Landrat Reinhard Geiser betonte: "Da sehe ich ein ganz großes Problem: die Motivation der ehrenamtlichen Helfer. Die werden langsam ungeduldig. Durch die Länge der Verfahren verlieren wir diese Ehrenamtlichen." Mehr noch: Wer über Monate hinweg über eine Gruppe Flüchtlinge betreue, baue persönliche Verbindungen auf. Die Helfer lernen ihre Gruppe als motiviert kennen. Wird sie trotzdem abgeschoben, verstehen die Helfer oft die Welt nicht mehr – "und engagieren sich dann nicht mehr", so Geiser.

Genauso sieht es auch die Waldachtaler Bürgermeisterin Annick Grassi: "Die Ehrenamtlichen brauchen wir, die leisten sehr gute Arbeit. Aber sie werden zunehmend frustiert durch die langen Verfahrensdauern. Dadurch werden viele verprellt."

In der Luft hängen die Kommunen derzeit auch bei der Anschlussunterbringung. "Wir wissen nicht, wie wir da verlässlich planen können und das finanzieren sollen", kritisierte Zeitler. Abhängig davon, wie viele Flüchtlinge zu neuen Einwohnern werden, müssten Schulen erweitert, Wohnraum geschaffen oder auch das Personal in den Rathäusern aufgestockt werden.

Stickelberger machte deutlich, dass man um die Erschließung neuer Flächen nicht umhin komme – und zwar auch beim Geschosswohnungsbau. Ob das jedoch auch den Kreis Freudenstadt betreffen wird, ist noch nicht klar, denn Vize-Landrat Geiser warf ein: "Unsere Erfahrung zeigt, dass 60 bis 70 Prozent weiter in Richtung Großstadt ziehen."

Den passenden Schlusssatz der Diskussion fand Uta Schumacher. Die Landtagskandidatin der SPD, die Gastgeber des Nachmittags war, appellierte: "Wir müssen davon wegkommen, nur über die Flüchtlinge zu schimpfen."