30 Zuschauer waren gekommen, um die siebenminütige Performance von Elisabeth Kaiser zu sehen. Sie leckte die Kaktee ab, zupfte an den Pflanzen, pustete, zischte und pfiff. Sie verwandelte ihren Schmerz in Musik. Fotos: Hopp Foto: Schwarzwälder-Bote

Von Vergnügungen der Hochzeitsnacht ist nichts zu spüren

Von Jürgen Lück

Horb. Die Performance von Elisabeth Kaiser am vergangenen Sonntag ging über die Schmerzgrenze. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Künstlerhausbewohnerin Elisabeth Kaiser schreitet ganz in schwarz die Marktsteige herunter. In den Händen hält sie einen riesigen Kaktus quer. Dann schreitet sie in den Kakteengarten. Gut 30 Zuschauer blicken gespannt auf sie.

Die ausgebildete Opernsängerin setzt das Kaktusstück ab. Zupft an den Pflanzen, sie pustet, lächelt, zischt mit zitternden Händen. Macht ein lautes "sss", pfeift und pustet. Kein Wunder, drückt sie doch das aus, was sie spürt, während die Stacheln in ihre Finger eindringen. Dann steht sie auf, singt etwas verzerrt – es klingt nach "Ich liebe Dich". 

Dann zieht sie Stacheln raus, rauft sich die Haare und fängt an, ein Stück einer Kaktee rauszureißen. Sie schreit vor Schmerzen, bekommt eine Art Weinkrampf im Sitzen. Das trockene Stück der Stachelpflanze – raus und rauf auf das nächste stachelige Ding.

Es ist Hochzeitstag – so der Name der Performance – doch von den Vergnügungen der Hochzeitsnacht ist nichts zu spüren.

Im Gegenteil. Elisabeth Kaiser singt monoton. Heiser, die Haare wirbeln. Und leckt die Finger mit den Stacheln drin ab. Dann geht sie wieder zurück zu dem phallusartigen Kaktus. Streicht mit den Händen voll über die Piekser. presst ein kurzes Opern-Riff heraus.

"Wie viele Stacheln haben Sie abgekriegt?"

Nach gut sieben Minuten ist die Performance vorbei. Die Zuschauer sind sprachlos. Die Künstlerin steht zitternd da, Holger Dopp reicht ihr die Wasserflasche. Man sieht Blut an ihren Händen, Stacheln in den Fingern und in der schwarzen Hose. Die Performance-Künstlerin ist noch sichtlich mitgenommen. Sie sagt: "Die Stacheln kommen von dem großen Kaktus. Ich habe auf ihm Musik gemacht. Das war der mit dem Meskalin." Ein Zuschauer fragt mitleidig: "Wie viele Stacheln haben Sie abgekriegt?" Kaiser lächelt nur. 

Und die Zuschauer sind sichtlich ergriffen von der Performance. SPD-Gemeinderats-Fraktionschef Thomas Mattes sagt sichtlich berührt: "So etwas habe ich noch nie gesehen." Holger Dopp: "Mein Vater war Künstler. Leider habe ich nichts davon geerbt. Als Picasso angefangen hat, hat es niemandem gefallen."

Michael Zerhusen, Vorstand des Fördervereins für das Künstlerhaus: "Elisabeth Kaisers Performance ist eine Berührung mit dem Leben. Einem anderen Leben."

Doch warum fügt sich Elisabeth solche Schmerzen zu? Warum überschreitet sie die Schmerzgrenze? Zerhusen: "Kaiser ist Synästhetikerin, das heißt: Sie nimmt physisch getrennte Bereiche in Verknüpfungen wahr, die anderen Menschen fremd sind. Ihre Überzeugung, dass die Kakteen bewusstseinsfähige Wesen und gleichberechtigte Akteure sind, wandelt sie in ihren Performances in einen unmittelbaren künstlerischen Ausdruck um."

Oder, wie die Künstlerin es einmal erklärt hat: "Ich bringe mit meiner Stimme das zum Ausdruck, was ich an Schwingungen und Energien von den Pflanzen wahrnehme."

Eine Performance, die über die Schmerzgrenze geht. Und alle beeindruckt hat, die sie gesehen haben.