Mit Reformationsbier und Reformationswein bedankte sich der evangelische Stadtpfarrer Michael Keller bei den Nachtwächtern Bruno Springmann, Joachim Lipp und Heinrich Raible (von links) für ihren eindrucksvollen Nachtwächterumgang, der an sieben Schauplätzen der Horber Reformationsgeschichte an Sebastian Lotzer von Horb erinnerte. Foto: Kultur- und Museumsverein Foto: Schwarzwälder-Bote

Rundgang: Nachtwächter beeindruckten nicht nur Pfarrer Keller mit ihrem Umgang der besonderen Art

Mehr als 100 Personen hatten sich am Freitagabend auf dem Horber Marktplatz vor dem Rat- und Wachthaus eingefunden, um den Horber Nachtwächtern durch die Altstadt auf den Spuren des Sebastian Lotzer zu folgen.

Horb. Am Ende war nicht nur der evangelische Stadtpfarrer Michael Keller, der diesen Umgang der besonderen Art zum Luther-Jahr 2017 initiiert hatte, von dieser Nachtwächterführung stark beeindruckt.

Unter der stattlichen Schar, die vor dem Rat- und Wachthaus auf die drei Herren vom Kultur- und Museumsverein wartete, befand sich zum ersten Mal Bürgermeister Ralph Zimmermann mit Gattin.

Der Horber Gemeinderat war zumindest mit Silke Wüstholz von der FD/FW-Fraktion und Ilse Breitmaier von der OGL vertreten. Offenbar tun sich die Horber mit ihrem verlorenen großen Sohn immer noch schwer, denn sie waren unter den Umgangsteilnehmern eindeutig in der Minderheit.

Nachtwächter korrigieren die Allgemeine Deutsche Biographie

Auf dem Marktplatz, der zu Zeiten der Reformation Schauplatz einer sogenannten Buchhinrichtung war, bei der die erste Flugschrift des Sebastian Lotzer durch den Henker öffentlich verbrannt wurde, korrigierten die drei Herren zunächst die Allgemeine Deutsche Biographie und belegten die Horber Herkunft der Familie Lotzer. Sie zählt nämlich mit zu den ältesten und vermögenden Familien der Neckarstadt. Unter hohenbergischer Herrschaft wurde 1345 erstmals ein Berthold Lotzer erwähnt.

Dass Horb die Geburtsstadt eines Mannes ist, der mehr als ein Vierteljahrtausend vor der Französischen Revolution Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit forderte, hat sich bislang immer noch nicht in der Landeshauptstadt Stuttgart oder in der Universitätsstadt Tübingen herumgesprochen. Auch in Sachen Reformationsgeschichte konnten die Nachtwächter deutlich machen, dass die Horber schon evangelisch waren, als es die Freudenstädter noch gar nicht gegeben hat.

Ausgerechnet der obere Neckarraum, den die altgläubige Hegemonialmacht Österreich nach der Vertreibung des württembergischen Herzogs Ulrich bis 1534 fast vollständig kontrollierte, wurde mit frühreformatorischen Flugschriften fast überrollt.

Dabei erscheint die vorderösterreichische Grafschaft Hohenberg mit den Städten Rottenburg und Horb als Gravitationszentrum der literarischen Reformation in Schwaben.

Dazu haben unter anderem die fünf frühreformatorischen Handwerkerflugschriften des Sebastian Lotzer von Horb beigetragen,über deren Inhalt die Nachtwächter vor dem Sebastian-Lotzer-Denkmal, vor dem Franziskanerinnen- und dem Dominikanerinnenkloster sowie vor der Stiftskirche berichteten. Die Flugschriften belegen, dass Lotzer ein glühender Anhänger des Reformtors Martin Luther war und maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die freie Reichsstadt Memmingen im Januar 1525 das erste evangelische Gemeinwesen im süddeutschen Raum bildete.

Einfluss der Reformation auf Horb

Unter dem mächtigen Turm der Liebfrauenkapelle verwies Obernachtwächter Joachim Lipp darauf, dass die katholische Geistlichkeit hier von einer Glocke zur Heiligen Messe gerufen wird, deren Inschrift den nur kurzzeitig spürbaren Einfluss der Reformation auf die Horber Bürgerschaft widerspiegelt. Lenhart Seidler hat die 260 Kilogramm schwere Bronzeglocke 1530 in seiner Esslinger Werkstatt gegossen, die mit ihrer lateinische Inschrift "verbum – domini – manet – in eternum" augenfällig auf reformatorisches Gedankengut verweist.

Die letzte Station bildete die Johanneskirche, deren Pforte Pfarrer Michael Keller eigens für die Nachtwächter öffnete. Joachim Lipp, Heinrich Raible und Bruno Springmann staunten nicht schlecht, als sich die Kirchenbänke mehr und mehr füllten. Vor dem Altar der Johanneskirche erinnerten die Nachtwächter an den Feldschreiber des Baltringer Haufens, der mit den Zwölf Artikeln ein Monument in der deutschen Freiheitsgeschichte geschaffen hat. Auch Luthers unrühmliche Rolle im Bauernkrieg kam dabei zur Sprache.

Sebastian Lotzers Fügung war es, während eines entscheidenden Wimpernschlags der deutschen Geschichte auf der Seite der Verlierer gestanden zu haben. Den heutigen Bürgern seiner Heimatstadt würde es nach Auffassung der Nachtwächter aber gut zu Gesicht stehen, wenn das Gedenken an diesen immer noch verlorenen großen Sohn eine neue Qualität bekommen würde.

Obernachtwächter Lipp beendete den Umgang mit dem Hinweis, dass Sebastian Lotzer am Ende seines für kurze Zeit so bewegten Lebens wohl einen Spruch aus dem Buche Hiob gewählt hätte, mit dem auch Fürstabt Martin Gerbert seine Verbundenheit zur Vaterstadt zum Ausdruck gebracht hat: "Miseremini mei, saltem vos amici mei." – "Erbarmt euch meiner, wenigstens Ihr, meine Freunde."

Mit einem überwältigenden Applaus bedankten sich die Umgangsteilnehmer für die eindrucksvolle Nachtwächterführung, und Pfarrer Keller, der angesichts einer fast vollen Kirche über den Erfolg dieser Jubiläumsveranstaltung höchst erfreut war, überreichte den Horber Nachtwächtern mit Reformationsbier und Reformationswein ein kleines Dankeschön, das bei den drei Herren sehr gut ankam. Vereinskassierer Stefan Reichel hingegen freute sich über zwei gut gefüllte Spendensäckchen.