Daheim geboren, zur Welt gebracht von einer Hebamme. Bei Aktionen der Hebammen in Dießen (heute findet wieder eine statt) kommen immer wieder auch Mütter mit ihrem Nachwuchs, um ihre Loyalität und Wertschätzung für die Arbeit der Hebammen zum Ausdruck zu bringen. Foto: Hopp Foto: Schwarzwälder-Bote

Dorothea Fritz erklärt, warum die wichtigste Arbeit der Menschheitsgeschichte in Deutschland gleichsam in den Billiglohnsektor abdriftet

Horb-Dießen. Dorothea Fritz ist Hebamme. Sie betreibt das Geburtshaus in Dießen. Am internationalen Hebammentag am heutigen 5. Mai demonstriert sie mit Kolleginnen und Eltern für höhere Bezahlung und den Erhalt des Hebammenberufs. Im Interview erklärt sie, womit ihr Berufsstand zu kämpfen hat, und warum die Probleme der Hebammen nur die Spitze des Eisbergs eines großen Versicherungs-Dilemmas im Gesundheitssektor sein könnten.

Frau Fritz, warum ist der Hebammenberuf in Gefahr? Man hört, die rapide steigenden Versicherungskosten sind Schuld.

Nein, das wird oft so dargestellt. Aber das Hauptproblem ist die schlechte Bezahlung. Würden wir mehr Geld verdienen, könnten wir auch die Versicherung bezahlen. 2001 hat die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) eine Studie beauftragt, die gezeigt hat, dass freiberufliche Hebammen 18,9 Prozent weniger verdienen als andere soziale Berufsgruppen wie Krankenschwestern oder Erzieherinnen. Uns wurde damals von Frau Schmidt versprochen, dass unsere Vergütung in mehreren Runden aufgestockt wird. Die erste Runde mit fünf Prozent Plus wurde eingehalten, dann war wieder Schluss.

Wie viel bleibt bei einer Hebamme denn am Ende des Monats hängen?

Es gibt Berechnungen des Verbands, der auf 7,50 Euro netto pro Stunde kommt. Ich habe mal gelesen, dass in der Weimarer Republik eine Hebamme so viel verdient hat wie eine Putzfrau. Da sind wir jetzt wieder angekommen.

Sie sind selbstständige Hebamme, können Sie nicht entscheiden, wie viel Sie für Ihre Geburtshilfe verlangen?

Nein, wir Hebammen sind an eine Gebührenordnung gebunden. Die Gebühren dürfen nur um so viel steigen wie die Grundlohnsumme in Deutschland steigt. Vor zwei Jahren gab es mal acht Cent mehr für einen Hausbesuch. Da lachen ja die Hühner.

Wer kann die Gebührenordnung anheben?

Wir Hebammen müssen selbst verhandeln. Wir fordern, dass der Sockelbetrag mal aufgestockt wird. Ich hätte gerne so viel wie ein Handwerker. Das hieße: 50 Prozent Erhöhung. Aber ich wäre auch schon mit 30 Prozent sehr zufrieden. Die Krankenkassen wollen natürlich möglichst geringe Kosten. Erst vergangene Woche hat sich eine Krankenkasse darüber mokiert, dass ich für meine Rufbereitschaft 10 Euro pro Tag abrechne. Aber man muss mal sehen: Ich bin in dieser Zeit bereit, jeden Moment alles fallen und liegen zu lassen und einem Kind und seiner Mutter zu Hilfe zu kommen. Das ist ein starker Einschnitt in mein Privatleben. Da sind 10 Euro am Tag nicht zu viel verlangt. Ganz im Gegenteil.

Ab 2016 werde es keine freiberuflichen Hebammen mehr geben, heißt es im Aufruf zur Demonstration am Hebammentag in Horb. Ist das nicht eine Übertreibung?

Es besteht die Gefahr, dass bald kein Versicherer mehr Hebammen versichern möchte. Und wenn es keine Versicherer mehr gibt, muss ich aufhören. Wir Hebammen haften 30 Jahre lang für Geburtsschäden. Die Haftungssumme liegt bei 10 Millionen Euro. Pro Jahr gibt es 1,2 sogenannte Großschadensfälle. In einem Extremfall waren zum Beispiel Mutter und Kind wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt Pflegefälle. Der Versicherer muss für die Pflege, den Verdienstausfall und noch viel mehr aufkommen. Wenn nur noch ein paar Hansele einzahlen, lohnt sich das für keinen Versicherer mehr.

Wie soll das Versicherungsdilemma gelöst werden?

Wir pochen auf einen staatlichen Fonds, ähnlich wie bei der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Delikate für die Politik: Wir sind die ersten, die die Versicherungsproblematik getroffen hat. Auch Krankenhäuser drückt der Schuh. Was inzwischen bei Schadensfällen an Geld gefordert wird, hat amerikanische Verhältnisse erreicht. Kommt ein Kind wegen eines Fehlers bei der Geburt, behindert zur Welt, muss die Versicherung für den Verdienstausfall dieses Kindes aufkommen. Auch Krankenhäuser werden auf lange Sicht ein Problem damit haben, unter diesen Voraussetzungen einen Versicherer zu finden. Deshalb schauen jetzt alle genau darauf: Was macht die Politik mit den Hebammen? Es haben sich schon die Architekten zu Wort gemeldet: Wenn die Hebammen einen staatlichen Fonds bekommen, der bei extremen Versicherungsfällen einspringt, wollen wir auch einen! Deshalb tut sich die Politik schwer, was Richtungsweisendes zu entscheiden.

Die Fragen stellte Lena Müssigmann

Weitere Informationen: Der Verein Mittelpunkt e.V. engagierter Eltern und Unterstützer des Hebammenberufs veranstaltet heute, 5. Mai, um 10 Uhr eine Luftballonaktion am Geburtshaus auf der Burg in Dießen.

u Zahl der Hebammen

In Deutschland gibt es nach Angaben des Deutschen Hebammenverbandes 21 000 Hebammen, 18 900 sind Mitglied in dem Verband. Bei 99,2 Prozent der Geburten 2013 war eine Hebamme dabei.

u Selbstständigkeit

Eine Studie des Bundesgesundheitsamtes hat 2010 ergeben, dass zwischen 12 000 und 15 000 der Hebammen freiberuflich arbeiten. Das entspricht einem Anteil von bis zu 71 Prozent. Nicht alle Hebammen arbeiteten freiwillig selbstständig, sagt der Pressereferent des Verbandes, Robert Malu. "Manche Krankenhäuser entlassen Hebammen oder ersetzen Hebammen, die in den Ruhestand gehen, nicht." Stattdessen kämen Beleghebammen zum Einsatz, die für das Krankenhaus günstiger sind, weil die Versicherung von der Hebamme selbst gezahlt werden muss.

u Versicherungskosten

Der Versicherungsmakler Securon bietet mit mehreren Versicherungsgesellschaften eine Hebammenversicherung an. Der Beitrag lag nach Angaben des Deutschen Hebammenverbandes im Jahr 1981 bei rund 31 Euro, 2002 bei 453 Euro, 2003 bei 1353 Euro. Seit 2009 (2370 Euro) hatte die Versicherung jedes Jahr eine neue Tausenderziffer vorne und lag 2014 bei 5091 Euro. Zum Juli 2016 wird ein Anstieg auf 6274 Euro erwartet.

u Warum steigt die Versicherung?

Wenn ein Kind zum Beispiel wegen Komplikationen bei der Geburt eine Behinderung hat, kann es damit wegen des medizinischen Fortschritts trotzdem ein langes Leben führen. Es braucht ein Leben lang Unterstützung, die von der Versicherung mitbezahlt werden muss.

u Forderung Hebammenverband

Der Hebammenverband hat die Idee, dass ein Haftpflichtfonds eingerichtet wird, der aber einer gewissen Obergrenze einspringt und Kosten des betreffenden Falls übernimmt. Damit wären die Versicherungen entlastet und damit auch die Hebammen. Wer in den Fonds einzahlen soll, sei noch unklar, heißt es.