Horber Revierleiter geht in Ruhestand / Für Bekämpfung des Drogenhandels in der Stadt fehlt offenbar Personal

Horb. Alfred Schäfer (60), erster Polizeihauptkommissar und Revierleiter in Horb, wird heute in den Ruhestand verabschiedet. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen aus gut 40 Jahren Polizeiarbeit. Das Motto "Freund und Helfer" hält er für unpassend.

Herr Schäfer, Ihr Beruf ist gefährlich. Waren Sie mal in Lebensgefahr?

Nicht bewusst. Während meiner Zeit im Streifendienst 1975 bis 1994 gab es potenziell gefährliche Situationen. Wenn ich irgendwo hingerufen werde, kenn’ ich die Antreffsituation nicht. Mein Gegenüber kann zum Beispiel ein Straftäter sein, der zur Festnahme ausgeschrieben ist. Aus einer Ruhestörung oder einer Verkehrskontrolle kann sich so eine höchstgefährliche Situation entwickeln.

Was hat Ihnen in solchen Situationen Sicherheit gegeben?

Meine Eigensicherung. Aber man ist nie hundertprozentig geschützt.

Wie sind Sie als Polizist mit dieser Angst umgegangen?

Ich habe eine große Vorsicht entwickelt. Für mich war es der Horror, wenn jemand bei einer Verkehrskontrolle gleich ins Handschuhfach reingefasst und rumgewühlt hat. Ich wusste nie, was da rauskommt, und musste damit rechnen, dass es eine Waffe sein könnte. Es wäre besser, die Leute würden anhalten und erst mal nichts machen, wenn sie nicht dazu aufgefordert werden.

Mussten Sie mal Gebrauch von Ihre Waffe machen?

Zum Drohen ja, oder um sie aus Gründen der Eigensicherung in der Hand zu halten. Wirklich benutzt habe ich sie nur zum Erschießen verletzter Tiere. Gott sei Dank! Wenn ich auf einen Menschen schieße, kann ich das nicht rückgängig machen, und manche Situationen stellten sich nachher anders dar, als sie schienen.

Wie hat sich die Kriminalität im Laufe Ihres Berufslebens verändert?

Wenn man die Zeitung liest, hat man das Gefühl, von Unsicherheit und Verbrechertum umgeben zu sein. Aber Gewaltdelikte sind in unserer Region hier die Ausnahme. Wir haben Brennpunkte, an denen es oft um Ruhestörung geht: in kleinen Gemeinden ist es der Latschariplatz, in Horb die Neckarstraße, wo nachts aus jeder Ecke ein Betrunkener rauskrakeelt. Körperverletzungen sind manchmal die Folgeerscheinung. Aber Betrunkene, die sich verprügeln und sich am nächsten Tag wieder in den Arm nehmen, hat es vor 30 Jahren schon gegeben. Was rasant angestiegen ist, ist Betrügerei im Internet.

Wie ist es mit Drogenkriminalität?

Wir haben in Horb keine offene Szene, wo Leute angesprochen werden, ob sie was kaufen wollen. Aber wir haben viele Kleindealer und Konsumenten. Die kennen sich, die Übergabe von Ware oder Geld ist weder für die Bürger noch für uns erkennbar. Wir vermuten, dass sich einiges im Bahnhofsbereich abspielt. Um auf Verdacht Leute in diesem Bereich zu beobachten, haben wir aber zu wenig Personal. Früher hat uns die Bereitschaftspolizei bei Bedarf oft verstärkt. Seit dem Baubeginn von Stuttgart 21 werden die Kräfte dort gebraucht, ich habe nur noch Absagen auf meine Anfragen bekommen. Beim Minirockfestival war zum ersten Mal seit Jahren wieder Bereitschaftspolizei in Horb. Man kann dann einfach stärker auftreten.

Die Polizei steht derzeit nicht im besten Licht da: Im Netz gibt es Filme von Polizisten, die auf festgehaltene Menschen losgehen. Wie erklären Sie sich solche Aggressionen?

Die größte Mehrheit der Kollegen verhält sich korrekt. Es sind sehr wenige schwarze Schafe, die das Bild der Polizei beschädigen. Auch das ist kein Phänomen der vergangenen Jahre. Schon in meiner Stuttgarter Zeit gab es dahingehend gravierende Vorkommnisse.

Wo kommt diese Wut her?

Im Polizeialltag staut sich viel an. Die meisten Kollegen können mental gut damit umgehen. Bei etwa 20 000 Polizisten im Land aber eben nicht alle.

Grün-Rot will, dass Polizisten bei Großeinsätzen gekennzeichnet sind, damit sie bei Fehlverhalten identifiziert werden können. Was halten Sie davon?

Ich halte das nicht für erforderlich. In Jahrzehnten ist mir kein Fall bekannt geworden, in dem einem solchen Sachverhalt kein Kollege zugeordnet werden konnte.

Im Gegenzug wird die Bodycam getestet, mit der Polizisten Situationen filmen, ist das notwendig?

In kritischen oder aggressiven Situationen könnte das helfen, zu dokumentieren, was das Gegenüber gemacht hat.

Das Verhältnis von Bürgern zur Polizei scheint von Misstrauen geprägt zu sein, keine Spur mehr von "Freund und Helfer".

In Horb ist das Verhältnis in aller Regel unproblematisch – anders als in der Großstadt. Viele Bürger kennen die Kollegen. Das Motto vom Freund und Helfer wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von einem preußischen Innenminister eingeführt. Ich kann nicht viel damit anfangen. Auf viele Situationen passt es nicht. Wer zum Beispiel angezeigt wird, wird uns nicht als als Freund sehen.

Zuletzt hat die Polizeireform für Trubel gesorgt, das Polizeipräsidium sitzt jetzt in Tuttlingen. Wie hat das Ihre Arbeit verändert?

Weniger als der Bürger denkt, unsere Revierstruktur ist gleich geblieben. Es sind immer noch dieselben Leute an denselben Telefonen. Ziel war die Verschlankung von übergeordneten Stäben und die Stärkung der Reviere. In Horb ist das – Klammer auf – noch – Klammer zu – nicht angekommen, wir haben keine Personalverstärkung erfahren. Ein abschließendes Urteil kann man aber erst in zehn Jahren fällen.

Wenn Sie ab morgen im Ruhestand sind, was werden Sie vermissen?

Die Regelmäßigkeit, jeden Tag pünktlich am Schreibtisch zu sitzen. Ich werde mich privat neu organisieren müssen. Aber langweilig wird mir nicht werden, ich habe ein Haus mit Grundstück, da gibt es viel zu tun. Im Vereinsleben werde ich mich mehr einbringen, ich bin – lachen Sie jetzt nicht – Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins geworden.

Was wird an Ihnen trotzdem Polizist bleiben?

Meine Ordnungsliebe. Ob die aus dem Dienst kommt oder schon immer vorhanden war, kann ich nicht sagen.

u Die Fragen stellte Lena Müssigmann.