Martin Weber vom SWR 4 Landesstudio Tübingen interessierte sich für das zehnjährige Wirken der Horber Nachtwächter Bruno Springmann, Joachim Lipp und Heinrich Raible. Foto: Nachtwächter Foto: Schwarzwälder-Bote

Trotz schlechten Wetters kommen Gäste aus der Region zur ersten Nachtwächterführung des Jahres

Horb. Bei ihrer ersten Führung in diesem Jahr hatten die Nachtwächter Joachim Lipp, Heinrich Raible und Bruno Springmann gleich mit mehreren Unbilden zu kämpfen. Zum einen war es das wenig einladende nasskalte Wetter, zum anderen trugen die Baustellen auf dem Horber Marktplatz nicht gerade zur momentan viel diskutierten Schönheit Horbs bei. Trotzdem ließen sich die drei Herren vom Kultur- und Museumsverein nicht unterkriegen und zogen mit einer kleinen Schar Unentwegter durch die Gassen der Horber Oberstadt.

Eigentlich wollten die Horber Nachtwächter ihre Ankündigung, dass die Führung bei Regen ausfällt, wahr machen. Aber weil sich etwas mehr als ein Dutzend Leute, die zum Teil aus Böblingen oder Rottweil angereist waren, auf dem Horber Marktplatz eingefunden hatten, zogen die Nachtwächter ihre Führung wie gewohnt durch. Außerdem hatte sich der kleinen Teilnehmerschar noch der Reporter Martin Weber vom SWR 4-Landesstudio Tübingen angeschlossen, um am Montag im Radio über das zehnjährige Wirken der Horber Nachtwächter zu berichten.

Vor dem Dienstantritt der Nachtwächter regnete es noch heftig und bei der Begegnung mit dem Horber Stadtpfarrer Elmar Maria Morein konnte dieser den Nachtwächtern keine Wetterbesserung versprechen. Doch der Niederschlag ließ schlagartig nach, als die drei Herren unter dem Durchgang zur Marktsteige erstmals in ihre Rufhörner bliesen. Der Zugang zum Wachthaus war den Horber Nachtwächtern nämlich wegen den Grabarbeiten vor dem Horber Rathaus verwehrt geblieben, und den gewaltigen Baukran an der Stiftskirche umgingen sie mit einem Umweg vorbei am Sebastian-Lotzer-Denkmal, sodass die Gäste wenigstens eine kleine Portion Horber Schönheit genießen konnten.

Unter dem Motto "Die Nacht goss grausige Dunkelheit herab" machten die Horber Nachtwächter die Kulturgeschichte der Nacht für ihre Gäste erlebbar. Der Argwohn und die Unsicherheit, die mit der Dunkelheit aufkommen, waren in früheren Zeiten viel größer. Laut der volkstümlichen Kosmologie senkte sich die Nacht zusammen mit ungesunden Dämpfen vom Himmel herab. Fieber und grippale Infekte zählten zu den Leiden, die man den schlechten Dünsten der Nacht zuschrieb. Man glaubte, dass die feuchte Abendluft in die Poren eindringe und gesunde innere Organe schädigen würde. In der volkstümlichen Vorstellung brach die Nacht nicht nur herein, sondern wie eine Krankheit aus. Die Nacht mit ihrer übel riechenden Luft und ihrer unheimlichen Dunkelheit barg darüber hinaus zahllose Gefahren.

Ebenso tauchen bei Nacht bizarre Anblicke und fremdartige Geräusche auf und verschwinden wieder. In ihrem Gefolge breiten sich Ängste aus. Die Nacht raubt jedem das Augenlicht, den kostbarsten aller menschlichen Sinne. Die ungemütlichen Gefilde der Dunkelheit lockten Scharen von Dämonen und Geistern an. Die Wundergläubigkeit im Zeitalter der Gegenreformation ließ in der Neuzeit sogar weitere Spukgestalten zu einem realen Faktor werden. Und tatsächlich erschien Vereinskassierer Stefan Reichel in Gestalt der Weißen Frau, Horbs einzigem Gespenst, in einem Fenster des Geßlerschen Amtshauses. Ebenso leerte Reichel als verschlafener Horber Bürger seinen Bottschamber über der Marktsteige mit einem lauten "Oooobacht!" so aus, dass sich die Teilnehmer noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.

Die Gäste und der Radioreporter von SWR 4 waren von dieser erlebten Kulturgeschichte der Nacht so begeistert, dass das Spendenaufkommen trotz kleiner Teilnehmerzahl dafür reicht, für das Berthold-Auerbach-Museum im Nordstetter Schloss einen auf Hebräisch geschriebenen Brief zu erwerben, der einst an Auerbachs Mutter adressiert worden ist. Dieser Brief soll zusammen mit weiteren musealen Neuerwerbungen demnächst an Kustodin Agnes Maier übergeben werden.