Saskia Esken (rechts) und Viviana Weschenmoser (Vordergrund, Zweite von links) hören sich den flammenden Appell von Mieterin Sieglinde Krohn (links) aufmerksam an. Die Haugenstein-Bewohner kamen zahlreich zum Besuch der SPD-Delegation. Foto: Hopp

Besuch von SPD-Politikerin Saskia Esken-Besuch lässt Menschen hoffen. Mieterbund will helfen. Mit Kommentar

Horb-Bildechingen - Endlich hörte jemand zu: Haugenstein-Bewohner standen mit gemalten Plakaten bereit, als SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken in der Horber Wohnsiedlung vorgefahren kam. Mit bebender Stimme berichteten viele Haugensteiner über ihre aktuelle Situation.

"Es braucht in diesen Fällen oft die Zeitung, um auf solche Schicksale aufmerksam zu machen", begründete Esken, warum sie am späten Mittwochnachmittag vorbeischaute. Im Schwarzwälder Boten hatte sie die umfangreiche Berichterstattung verfolgt und kurzerhand ihre Sommertour erweitert, um sich die Sorgen der Menschen in dieser Wohnsiedlung anzuhören. Es wurde ein langer Termin.

Viele Einzelschicksale, aber ein gemeinsamer Nenner

Über 90 Minuten stand Esken zusammen mit der Horber SPD-Chefin Viviana Weschenmoser (die an diesem Tag Geburtstag hatte) und SPD-Kollege Leif Brackelmann in der Nähe des Heizkraftwerks, umringt von den Menschen, deren Not deutlich zu spüren war. Rund 50 Haugensteiner – mit ähnlichen Problemen, aber jeder auch mit einer eigenen Geschichte.

Wie Sieglinde Krohn. Eine wortgewaltige Frau, deren Wut klar in der Stimme zu erkennen war. Zwei-Personen-Haushalt, nebenan eine siebenköpfige Familie. "Es kann doch nicht sein, dass wir genauso viel an Verbrauch haben sollen wie unsere Nachbarn. Bewohner, die früher bei den Nebenkosten Geld zurückbekommen haben, müssen nun mehrere Tausend Euro nachzahlen", klagte sie an.

37 Jahre im Haugenstein – "Das gab es noch nie"

Oder Ingelore Effler: Seit 37 Jahren wohnt sie im Haugenstein. "So etwas habe ich in all den Jahren nicht erlebt." Auch sie hat plötzliche eine vierstellige Nachzahlung zu leisten. "Wir leben sehr sparsam", sagt sie, "früher gab es immer etwas zurück." Neben ihr steht eine ganz junge Haugensteinerin: "Meine Großeltern leben auch in der Siedlung. Sie sind so sparsam, sparen auch beim Duschen. Doch sie haben eine höhere Abrechnung als wir in einer fünfköpfigen Familie."

Die Aktenordner füllen sich immer mehr

Dimitrij Iosofidi holt seine dick gefüllten Aktenordner aus dem Auto. Er hatte den ehemaligen Kindergarten gekauft. Seit zwei Jahren geht nichts, steckt er im Genehmigungswirrwarr fest. "Das Abwassersystem ist total veraltet und läuft kreuz und quer über privates Gelände. Das ist eigentlich gar nicht so erlaubt. Die Bundeswehr hat das damals so gebaut, ohne dass es jemals geplant, den Haugenstein zu einem Wohngebiet umzuwandeln." Iosofidi will sein erworbenes Gebäude auch zu einem Wohnhaus umbauen. Der Wasserdruck auf der Leitung sei für mehrere Parteien viel zu gering, doch mit Andreas Osbelt, dem Eigentümer des Heizkraftwerks, liege er im Clinch wegen des Umbaus: "Ich habe mir jetzt extra ein Stück Wald Richtung Rauschbart gekauft, damit ich notfalls Leitungen verlegen lassen kann, falls etwas passiert."

Seit mehreren Monaten ohne Strom in der Küche

Guido Caruso ist erst seit Anfang dieses Jahres zur Miete im Haugenstein eingezogen. "Schon bei der Übergabe wurde der Zählerstand nicht korrekt an die EnBW gemeldet. Dort wurde mir gesagt, dass der Stand zehn Jahre alt sei", berichtet er. Seit mehreren Monaten hat er keinen Strom in der Küche. "Ich habe bei der Hausverwaltung schon so oft angerufen, die Miete gemindert. Jedes Mal habe ich jemand anderes am Apparat. Strom habe ich in der Küche immer noch nicht, ich koche derzeit auf zwei Herdplatten im Wohnzimmer."

Das Mysterium Wärmeliefervertrag

Diese und viele andere Schicksale hörte sich Saskia Esken geduldig an. Und immer wieder hörte sie ähnliche Versionen von den Eigentümern einzelner Wohnungen, die ebenfalls zahlreich vertreten waren. Als sie beim Notar in Stuttgart den Kaufvertrag unterschrieben hätten, sei zwar die verpflichtende Nutzung des Heizkraftwerks beinhaltet gewesen, aber über die Konditionen sei nichts gesagt worden. "Wir waren gutgläubig. Heute würde man sagen: schön doof. Wir haben gedacht: Fernwärme – das ist doch eine gute Sache. Da kann ja eigentlich nichts schief gehen", erzählt Claudia Endres, die zusammen mit ihrem Mann eine Wohnung kaufte und in den Haugenstein zog.

Große Wut über den hohen Grundpreis

Auch ihre Nachbarin sagt: "Verwandte von mir haben früher im Haugenstein gewohnt. Da war alles in Ordnung. Deswegen bin ich davon ausgegangen, dass man das ohne Bedenken unterschreiben kann." Eigentümerin Endres erzählt, dass sie erst durch Zufall vor zwei, drei Monaten den Wärmeliefervertrag zu Gesicht bekommen habe. "Da habe ich erst einmal gesehen, dass der Grundpreis pro Quadratmeter 18 Euro beträgt." Der hohe Grundpreis ist bei Eskens Besuch immer wieder Thema. "Völlig überteuert, das ist doch Wucher", lassen die Mieter und Eigentümer ihrer Wut Luft. Für eine 100-Quadratmeter-Wohnung würden alleine im Jahr 1800 Euro fällig – und dann komme erst die verbrauchte Wärme dazu.

Mieterbund will Menschen zusammenbringen

Rechtsanwältin Rosetta Venturino-Weschenmoser, die für den Mieterbund Rechtsberatungen macht, ist zwar gerade in Urlaub, aber ihre Tochter übernahm stellvertretend ihren Part. Sie appellierte an die Mieter, aber auch an die Eigentümer: "Arbeiten Sie zusammen, lassen sie sich nicht auseinanderbringen. Kommen Sie zu uns und gehen Sie gemeinsam vor." Auch Heiderose Schaufler vom Mieterbund Kreis Freudenstadt machte den Menschen Mut: "Ich habe schon 2011 in einem Brief geschrieben, dass sich mit dem Haugenstein irgendwann auch die Politik beschäftigen wird."

Esken will den BImA-Verkauf durchleuchten

Saskia Esken, die zugab, dass das nicht ihr Spezialgebiet ist, war am Ende sichtlich beeindruckt und wohl auch geschockt über die Grundstimmung im Haugenstein. "Ich werde jetzt überprüfen lassen, wie der Verkauf der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) damals gelaufen ist und ob beide Seiten Verpflichtungen hatten, die nicht eingehalten wurden." Sie hoffe auch, dass sich die Menschen vor Ort zusammentun. "Und dann muss man prüfen, ob das nicht auch eine Sache für die Staatsanwaltschaft wird."

Kommentar: In der Pflicht

Von Florian Ganswind

Eine Bundestagsabgeordnete, die sich um die Anliegen der Haugenstein-Bewohner kümmert? Geht das nicht auf die falsche Ebene? Nein, der Besuch von SPD-Frau Saskia Esken war genau richtig. Denn der Bund trägt eine große Mitschuld, dass die Situation für die Menschen in der Horber Wohnsiedlung so problematisch ist.

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz BImA, vermarktete damals den bundeseigenen Haugenstein. Vater Staat wollte so viel Geld wie möglich herausholen. Ein Angebot der Baugesellschaft vor Ort wurde ausgeschlagen, weil die Stadt zu Recht das marode Leitungssystem herausrechnete. Die Gier nach dem maximalen Gewinn war größer als die Sorge um die Menschen, die vor Ort leben. So ging der Haugen-stein an einen privaten Investor, der die Gewinnmaximierung im Blick hatte. Und der Bund? Der war fein raus.