Die Hauptstraße in Nordstetten nach der Neujahrsnacht: Hier kam es zur Säge-Attacke. Foto: Redaktion

Verdächtiger von Nordstetten soll Scheibe eingeschlagen haben. Nachbarin Vergewaltigung angedroht?

Horb-Nordstetten - Die Polizei vermutet schon länger, dass er der "Autokratzer von Nordstetten" ist. Nun soll dieser Mann in der Neujahrsnacht wieder einmal "ausgetickt" sein – mit einer Säge bewaffnet. Die Polizei nahm ihn trotzdem nicht fest. Und die Anwohner fragen sich: "Wie viel soll noch passieren?"

Die Hauptstraße in Nordstetten ist an Silvester ein Zentrum der frohen Feierlaune. Hier fliegen wohl im Ort die meisten Raketen in die Luft, was man auch noch am Morgen danach sehen kann. Doch es gibt auch andere Spuren dieser Nacht. An der Pizzaria Prima Fila Da Lucio dichtet ein Brett eine Stelle in der Tür ab, wo sonst eine Scheibe ist.

"Wir müssen ihn auf frischer Tat ertappen"

Zerschlagen hat sie wohl ein Mann, der der Polizei bestens bekannt ist. Und der seinen Nachbarn in den letzten Wochen und Monaten Angst und Schrecken bereitet hat. Monatelang wurden in Nordstetten Autos zerkratzt, viele tausend Euro Schaden sind entstanden. In Verdacht steht ein Mann, der in der Hauptstraße wohnt. "Wir gehen eigentlich davon aus, dass er es ist", sagt ein Polizist im Gespräch mit unserer Zeitung. "Aber wir müssten ihn auf frischer Tat ertappen." Das ist aber bisher nicht der Fall gewesen – trotz zahlreicher Kontrollen in der Nacht.

Nachdem die Polizei ihn mit aufs Polizeirevier nahm, kam der Tatverdächtige wieder auf freien Fuß. Polizeisprecher Michael Aschenbrenner sagte schon vor einigen Wochen zu unserer Zeitung: "Wir wissen, dass das kein Zustand ist, aber wenn wir einem Bürger seine Freizügigkeit wegnehmen wollen, brauchen wir dafür eine Rechtsgrundlage." Das heißt: Vandalismus ist – auch in diesem Ausmaß – zunächst einmal kein Grund für Gefängnis. Und außerdem handle es sich lediglich um einen Tatverdächtigen. Dabei ist er auch in der Vergangenheit durch Gewalttätigkeiten aufgefallen und sogar verurteilt worden.

Mit Säge auf Nachbarn eingeschlagen

Und nun der Vorfall in der Silvesternacht. Viele Beobachter sind schockiert. Als die Silvester-Party auf der Straße gegen 1.30 Uhr immer noch läuft, die Raketen zahlreich in die Luft knallen, rastet der junge, muskelbepackte Mann – bei Facebook präsentiert er sich als Kickboxer – aus. "Wir haben schon gehört, wie er in seiner Wohnung rumschreit", schildert eine Nachbarin. Was dann Augenzeugen berichten, und so auch grob von der Polizei bestätigt wird, lässt einem den Atem stocken. Plötzlich reißt der Mann die Tür auf, in der Hand hat er eine Bügelsäge. Er beschimpft eine Nachbarin und droht ihr, wie sie einen Tag später erzählt, dass er sie vergewaltigen werde. Er geht durch die Menge und schlägt das Fenster in der Tür der Pizzeria ein.

Dann schlägt er mit der Säge auf einen Nachbarn ein, den er früher schon geschlagen hat und deshalb verurteilt wurde. "Das Opfer konnte sich gerade noch so umdrehen, sodass der Schlag auf den Rücken ging", berichtet eine Augenzeugin. Die Polizei bestätigt, dass der Mann leicht verletzt wurde, drückt es aber in ihrer Polizeimeldung salopper aus – und das, obwohl sie nun wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt: "Zeugen gingen ihm (dem mutmaßlichen Täter, Anm.d.Red.) hinterher, was ein 26-Jähriger mit leichten Verletzungen bezahlte: der Randalierer schlug ihn nämlich mit einer Bügelsäge." Der Angegriffene setzte sich mit Pfefferspray zur Wehr. Vielleicht sein Glück, dass nichts Schlimmeres passierte?

"Es hätte viel mehr passieren können", sagt eine Beobachterin, die einigen Mädchen, die Zeugen des Geschehens sind, schnell rät, lieber nach Hause zu gehen. Als die Polizei eintrifft, ist der junge Mann wieder in der Nähe des Hauses, in dem er wohnt. Mehrere Augenzeugen bestätigen den Polizisten, was passiert ist.

Doch dann geschieht das, was bei vielen Anwohnern Unverständnis hervorruft: Trotz dieser Attacke wird der Mann nicht mitgenommen. Die Polizei erklärt das gestern auf Anfrage so: "Die Eltern des Mannes haben den Polizisten vor Ort glaubhaft versichert, dass sie dafür sorgen werden, dass ihr Sohn das Haus nicht verlässt." In der Polizeimeldung heißt es: "Die Polizei traf den Randalierer vor seinem Haus, wo er von den Eltern in Obhut genommen wurde." Doch können das die Eltern überhaupt gewährleisten?

Die Nachbarn sind fassungslos. "Was muss denn bitte noch passieren? Muss erst jemand schwerst verletzt werden oder sogar sterben?", fragt eine Anwohnerin verängstigt. Bilder des Mannes auf Facebook machen die Runde. Unter anderem präsentiert er sich dort mit einem Gewehr.

Auch Pizzeria-Wirt Lucio Beltrame kann nur mit dem Kopf schütteln und kritisiert die Polizei: "Ich kann das nicht verstehen, warum sie ihn nicht mitgenommen haben. Ich bin in großer Sorge um meine Kinder. Und es schadet auch meinem Betrieb. Viele Jahrzehnte war alles ruhig und nun das. Einige meiner Gäste sind verängstigt." Und ein andere Augenzeuge fühlt sich an den Vorfall an Silvester 2015 im unterfränkischen Dorf Unterschleichach erinnert, als ein Nachbar plötzlich schoss und ein Mädchen tödlich getroffen wurde. "Es muss jetzt endlich gehandelt werden. Ich möchte nicht, dass irgendwann Nordstetten in dieser schrecklichen Art und Weise in die Schlagzeilen gerät. Wenn ein Mann mit der Säge rumrennt, dann ist das keine Kleinigkeit. Da reicht kein Platzverweis oder eine Verwarnung. Nächstes Mal ist es vielleicht eine Axt oder etwas anderes."

Für die Nordstetter muss die Gesamtbilanz des Polizeipräsidiums Tuttlingen für die Neujahrsnacht wie Hohn klingen. "In den fünf Landkreisen des Polizeipräsidiums Tuttlingen kam es zu keinen spektakulären Ereignissen. Darüber sind alle Beteiligten sehr froh. Der Einstieg ins neue Jahr kann deshalb aus polizeilicher Sicht als ›gelungen‹ bezeichnet werden", heißt es dort.