Sebastian Lotzers Zwölf Artikel sind ein frühes Dokument der Demokratie- und Menschenrechtsbewegung

Horb. Die freien Autoren Georg Seeßlen und Markus Metz haben eine Hommage auf Sebastian Lotzer von Horb verfasst, die im Juni von dem Radiosender Bayern 2 in der Reihe Land und Leute ausgestrahlt wurde.

Beide Autoren betrachten die Zwölf Artikel als frühes Dokument der Demokratie- und Menschenrechtsbewegung und verlegen die Geburtsstunde der Menschenrechte in das Jahr 1525.

Sebastian Lotzers Schicksal war es, während eines entscheidenden Wimpernschlages der deutschen Geschichte auf der falschen Seite gestanden zu haben; nämlich auf der Seite der Verlierer, denen in der Geschichte selten Gerechtigkeit widerfährt, denn diese wird in der Regel nur von den Siegern geschrieben. Außerdem traute man es einem, der das ehrbare Kürschnerhandwerk erlernt hatte, einfach nicht zu, dass aus seiner Feder eine Flugschrift stammte, in der sich am Beginn der Neuzeit ein klarer politischer Wille, eine überlegte soziale Programmatik, ein klares Verständnis von freien Menschenrechten sowie eine biblische Perspektive von sozialer Gerechtigkeit die Bahn brachen. Die Rede ist von einem Horber, der lange vor der Französischen Revolution die Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erhob und mit den Zwölf Artikeln und der Bundesordnung zwei Verfassungsdokumente in der Geschichte der Demokratie- und Menschenrechtsbewegung schuf.

Obwohl die die Flugschrift "Die grundtlichen und rechten haupt artickel aller baurschafft und hyndersessen der gaistlichen und weltlichen oberkayten von woelchen sy sich beschwert vermainen" im März 1525 anonym verfasst worden ist, stammen die sogenannten Zwölf Artikel auch für Seeßlen und Metz unzweifelhaft aus der Feder des Sebastian Lotzer von Horb, den Huldrich Schmid von Sulmingen, der Hauptmann des Baltringer Haufens, im Vorfeld des Großen Bauernkrieges für das Amt des Feldschreibers gewinnen konnte. In den Augen der beiden Autoren gilt Lotzer für dieses Amt als besonders geeignet, denn "er ist theologisch gebildet und kann daher die materiellen Forderungen der Bauern mit der religiösen Befreiung der Reformation verbinden. Er spricht die Sprache des gemeinen Mannes und kennt dessen Lage. Und er hat offensichtlich zugleich revolutionäres Feuer und pragmatisches Augenmaß."

Das Grundanliegen der Bauernerhebung formulierte Sebastian Lotzer im Stile eines Paulusbriefs in der Vorrede zu den Zwölf Artikeln: Das Begehren der vereinigten Bauernhaufen ist, das Evangelium zu hören und dem gemäß zu leben, dem gemäß auch das gesellschaftliche Leben auszurichten. Grund und Grenze aller Forderungen der Bauern ist das Wort Gottes, wie es in der Bibel bezeugt wird. In drängenden Fragesätzen appelliert Lotzer an den lebendigen Gott selber, an seine Verheißung, den Armen zu Hilfe zu kommen. Das Wort des lebendigen Gottes, wie es in der Bibel bezeugt ist, ist Leitbegriff. Die Brisanz der Zwölf Artikel rührt in den Augen der Autoren Seeßlen und Metz daher, "dass sie durch und durch vernünftig, gewaltfrei und praktikabel erscheinen".

Wo viel Licht ist, ist bekannter Maßen auch immer Schatten

Und noch einmal bekräftigen die beiden Autoren: "Das Manifest der Bauernrevolution entspringt dem gemeinsamen Willen der Aufständischen und ihrer Anführer. Für die Historiker tragen die Artikel gleichwohl deutlich die Handschrift eines einzelnen Mannes: die von Sebastian Lotzer." Der Radiobeitrag stellt fest: "In der Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte finden die zwölf Memminger Artikel zunehmend den Platz, der ihnen gebührt."

Wo viel Licht ist, ist bekannter Maßen auch immer Schatten. Dabei erweisen sich sowohl Sebastian Lotzer als auch sein Gegenspieler Martin Luther als Kinder ihrer Zeit, in die "ein unangenehmer anti-jüdischer Eifer" passt, der den Memminger Laientheologen und den Wittenberger Reformator auf die Bekehrung der Juden hoffen ließ.

Das Fazit des Radiobeitrags lautet: "An eine Freiheit des Individuums jenseits des christlichen Bekehrungseifers ist 1525 noch nicht zu denken. Aber ein Anfang ist gemacht, ein Fixpunkt für Revolutionen, Reformen, Veränderungen. Einige der Forderungen der zwölf Memminger Artikel sind uns selbstverständliche politische Wirklichkeit geworden. Um einige muss immer noch gerungen werden im alltäglichen Kampf zwischen den Mächtigen und den Beherrschten, auch wenn beide Seiten sehr viele andere Möglichkeiten und Medien verwenden als im Jahr 1525. Und einige klingen heute fast utopischer als vor 500 Jahren."

Noch ist Sebastian Lotzer kein Held der deutschen Geschichte geworden. Die viereinhalbjährige Kugelfuhr um die Aufstellung des Sebastian-Lotzer-Denkmals belegt, dass Lotzer selbst in seiner Heimatstadt nicht die Anerkennung gefunden hat, die ihm eigentlich gebührt. Er ist zumindest bis zum Jahr 2006 Horbs verlorener Sohn geblieben. So fand sein Portrait nicht einmal Platz auf der Horber Rathausfassade, wo es sogar ein Glockengießer aus dem Reibegässle zu Ruhm und Ehre gebracht hat. Bis auf den heutigen Tag besitzt Sebastian Lotzer in der so gewichtigen Horber Politszene immer noch keine richtige Lobby.

Aus bürgerlich-konservativer Sicht gilt er aufgrund der klassenkämpferischen Geschichtsklitterung vergangener DDR-Zeiten als eine Art Komsomolze oder Revoluzzer und damit als leibhaftiger Gottseibeiuns.

Bei den Horber Sozialdemokraten und Grünen, die den Feldschreiber des Baltringer Haufens zumindest einmal aus der Versenkung auf ihr Parteischild gehoben haben, löst seine souveräne biblisch-evangelische Gotteserkenntnis Stirnrunzeln aus. Genauso tun sich zwischen Graben- und Aischbach die den Prinzipien der Marktwirtschaft verpflichteten Liberalen mit seinen Flugschriften schwer, die schon zu Beginn der Neuzeit die Profitgier mit als Wurzel allen Übels verdammten. Für Rechtsradikale war die vor rund 500 Jahren erfolgte gemeinschaftliche Erhebung der kleinen Leute zum aufrechten Gang als freie Menschen noch nie ein Thema, zumal nationale Erhebungen für sie offensichtlich nur dann einen Stellenwert besitzen, wenn eine Machtergreifung zur unheilvollen Herrschaft von Arbeitsscheuen über Arbeitslose führt.

Auch die beiden großen Kirchen tun sich in Horb mit Sebastian Lotzer schwer. Der gute Katholik am Fuße des Schüttebergs beäugt ihn argwöhnisch, da er als glühender Anhänger der Reformation nicht auf Seiten der heiligen römischen Kirche gestanden hat. Für den strenggläubigen lutherischen Protestanten zu Füßen des Kreuzkapellenbergs gilt Lotzer indessen als Gotteslästerer, der sich im Kampf für die Sache der Rechtlosen sündhaft mit dem Evangelium bemäntelt hat. Horb wäre nicht Horb gewesen, wenn sich nicht der ehrbare Gemeinderat im ansonsten völlig verschlafenen Jubiläumsjahr 1990, in dem Lotzers 500. Geburtstag hätte gefeiert werden können, hinsichtlich der Namensgebung des Sebastian-Lotzer-Platzes wieder einmal heillos zerstritten hätte. Um ein Haar wäre die Affäre um das kleine Plätzchen mit der 2008 erstellten Bauernkriegsstele von Lutz Ackermann im wohl weisen Rat der Stadt Horb zur selben Lachnummer wie bei der Namensgebung des Martin-Gerbert-Gymnasiums verkommen.

Weitere Informationen: Der Hör-Beitrag der Autoren ist im Internet unter der URL http://www.br-online.de/podcast/mp3-download/bayern2/mp3-download-podcast-land-und-leute.shtml# als Podcast verfügbar.