Abdulaziz Awadh Alotaibi (von links), sein Betreuer Tomislav Rubic im Ingenieurbüro und Geschäftsführer Joachim Gass beugen sich über die Pläne. Sie verständigen sich auf Englisch. Im täglichen Umgang haben sie kulturell viel voneinander gelernt.        Foto: Müssigmann Foto: Schwarzwälder-Bote

Eigens gegründetes Unternehmer-Konsortium "bw-engineers" erwartet Umsatz von 3 bis 4 Millionen Euro / Joachim Gass im Vorstand

Horb-Bildechingen (lm). Die Bildechinger Ingenieursgesellschaft Reck+Gass wächst und streckt die Fühler nach Saudi-Arabien aus.

Mit 23 anderen Architektur- und Ingenieur-Büros hat sich Reck+Gass zu einem Konsortium zusammengeschlossen, den bw-engineers. Ziel ist es, den saudi-arabischen Markt zu beackern.

Geschäftsführer Joachim Gass, Diplom-Ingenieur, versucht mit diesem Schritt, neue Stabilität in sein Unternehmen zu bringen. "Wenn man mehrere Standbeine hat, ist man weniger anfällig."

Der boomende Golfstaat ist ein hochrentabler Markt

Außerdem ist der boomende Golfstaat ein hochrentabler Markt für alle Firmen, die ihr Geld mit der Planung oder Umsetzung von Bauvorhaben verdienen. Die Bevölkerung wächst rasant, jährlich um rund zwei Prozent. Neue Straßen, Brücken, Schulen und Krankenhäuser schießen aus dem Boden.

Die Bauherren in Saudi-Arabien hätten aber Vorbehalte, ihre Aufträge an deutsche Planungsbüros zu vergeben, die keine Niederlassung im Land haben, erzählt Gass. "Haben Sie Ihr eigenes Büro hier?", werde man als Unternehmer gefragt, wenn man sich um Aufträge bemühe. "Nein? Dann melden Sie sich doch wieder, wenn sie hier eine Tochtergesellschaft gegründet haben."

Doch den damit verbundenen finanziellen Aufwand scheuten viele kleine Unternehmen. "So einen Markt wie Saudi-Arabien kann man erst ab einer gewissen Firmengröße betreten", sagt Gass. Viele Büros seien dafür zu klein und seien deshalb bislang nur als Subunternehmer saudischer Büros aufgetreten. Nun aber wurde aus vielen kleinen Fischen im Schwarm ein großer Fisch: Zusammengeschlossen im Firmenkonsortium können die Mittelständler jetzt am Boom im Nahen Osten mitverdienen – unter eigenem Namen und mit der wichtigen Niederlassung vor Ort.

Sechs Ingenieure aus den beteiligten Unternehmen arbeiten in Riad. Außerdem gibt es einen örtlichen Repräsentanten, der eingestellt wurde, um mit den saudi-arabischen Kunden zu kommunizieren und neue Aufträge für die Baden-Württemberger zu akquirieren.

Gass hat im Konsortium eine – im wahrsten Sinne des Wortes – tragende Rolle inne: Er ist Vorsitzender im Bereich der Tragwerksplanung. Eigene Mitarbeiter hat Reck+Gass bisher nicht ins Konsortium entsandt. "Vielmehr werden wir je nach Projekterfordernis mal jemanden schicken."

Das Konsortium hofft, im Geschäftsjahr 2015 mit ihren Ingenieursleistungen einen Umsatz von 3 bis 4 Millionen Euro in Saudi-Arabien zu machen.

Von Lena Müssigmann

Horb-Bildechingen. In Saudi-Arabien haben elf junge Männer vor zwei Monaten ihre Winterkleider eingepackt, um den Sommer in Deutschland zu verbringen. Sie, allesamt junge Bauingenieure und Architekten, haben Praktika in deutschen Planungsbüros gemacht. Einer von ihnen in Horb bei Reck+Gass.

Abdulaziz Awadh Alotaibi. Bei Reck+Gass geht den Kollegen dieser Name leicht von den Lippen. Es ist der Name des 23-jährigen Studenten aus Riad in Saudi-Arabien, der diesen Sommer im Bildechinger Ingenieurbüro mitgearbeitet hat.

Er studiert Bauingenieurwesen an der King-Saud-University in Riad. Er bewundert seine Professoren, von denen viele in Deutschland studiert hätten. Deshalb hat er sich um den Praktikumsplatz bemüht. Außerdem hat er Tag für Tag einen eindrücklichen Beweis deutscher Ingenieurskunst vor Augen: "Unsere Ingenieurs-Fakultät wurde von einer deutschen Firma gebaut, und zwar schon vor 30 Jahren. Bis heute hat das Gebäude keine Risse in den Wänden. Das ist echt gut!", sagt Alotaibi.

Das Verständnis von Arbeit in Deutschland gefällt ihm. "Arbeit ist Arbeit, da ist man hier streng. Man kann schon mal miteinander lachen und Späße machen. Freizeit spielt sich aber am Wochenende ab." Das sei in seiner Heimat nicht unbedingt so, sagt er und lacht.

"Ich bin leicht in Kontakt mit Deutschen gekommen"

Zuhause verwende man im Bauwesen vor allem Beton. Dass hier viel mit Holz gebaut wird, gefällt ihm. Über diesen Baustoff habe er viel neues gelernt.

Das Praktikumsprogramm wird von der Ingenieurkammer Baden-Württemberg und der dem Berufsverband "Saudi Council of Engineers" (Saudischer Ingenieursrat, SCE) getragen, die wiederum den Kontakt zur King-Saud-University hergestellt hat.

Alotaibis Studienvertiefung – Tragwerksplanung – passt zum Geschäft von Reck+Gass. Joachim Gass hofft, dass durch das Praktikum eine langfristige Beziehung zu Abdulaziz Awadh Alotaibi ihren Anfang genommen hat. "Ich bin auf der Suche nach künftigen Partnern", sagt Gass. Alotaibi will sich nach seinem Studium selbstständig machen.

Während des Praktikums in Bildechingen lagen fast 6000 Kilometer zwischen ihm und seiner Familie. In den ersten Tagen und Wochen hatte er Heimweh. "Bei mir zu Hause in Riad sind Familie und Verwandte immer um mich. Hier habe ich mich einsam gefühlt." Nach zwei Wochen in Horb zog er nach Stuttgart. Die meisten Praktikanten, die mit ihm gekommen waren, arbeiteten bei Firmen im Großraum Stuttgart mit. "Wir haben viel Zeit zusammen verbracht." Er habe auch viele Deutsche kennengelernt. "Ich bin leicht in Kontakt mit Deutschen gekommen. Es spielte für sie keine Rolle, wer man ist oder wo man herkommt."

In anderen europäischen Staaten sei er vor Straßenräubern gewarnt worden: "Passen Sie auf Ihre Tasche auf!" In Deutschland habe er sich sehr sicher gefühlt.

Kritisch sieht er das deutsche Steuersystem – insbesondere in Bezug auf Benzin. "Da ist die Steuer viel zu hoch", sagt Alotaibi. In seiner Heimat koste der Sprit 10 Cent pro Liter und damit weniger als Wasser. Saudi-Arabien ist der größte Erdölproduzent der Welt.

Die öffentlichen Verkehrsmittel seien hier so gut verknüpft wie er es sonst nirgendwo erlebt habe, auch nicht in den USA oder Kanada. Da lachen die deutschen Kollegen, die das Lamento über die Verspätungen der Deutschen Bahn kennen.

Alotaibi ist täglich von Stuttgart nach Horb gefahren. Die Bahnkarte hat Reck+Gass ebenso bezahlt wie die Wohnung. Außerdem hat er monatlich 400 Euro verdient.

Nun sind die lehrreichen Semesterferien vorbei und er nimmt sein Studium in Riad wieder auf. Wenn er in einem Jahr seinen Bachelor hat, will er weiterstudieren, den Master machen. Am liebsten in Deutschland, sagt er, in Stuttgart oder Karlsruhe. Die Beziehung zu Baden-Württemberg ist bereits geknüpft.

u Reck+Gass in Deutschland

Reck+Gass, Standort Deutschland, hat 40 Mitarbeiter. Der Umsatz liegt bei 3,5 Millionen Euro jährlich.

u Reck+Gass in Saudi-Arabien

Die Firma ist neuerdings an einem Konsortium aus 24 baden-württembergischen Betrieben beteiligt (Anteil: 1/24, entspricht 10 000 Euro). Unter dem Namen "bw-engineers" ist das Konsortiums seit 2014 ins Firmenregister eingetragen und voll geschäftsfähig. Die Gesellschaftsform ist ein professional partnership mit einem saudischen Partner, dem dortigen Politiker und Unternehmer Mohammed Guwaihes. Eine erste Erkundungsreise schwäbischer Bauingenieure und Architekten hatte es bereits 2008 gegeben, seitdem ist der Plan gereift.

u Reck+Gass in Brasilien

Die Schwesterfirma Mader, Reck+Gass arbeitet am Standort Sao Paulo, Brasilien, mit fünf Mitarbeitern.