Die Straßen Europas lehrten ihn auf seiner Walz Gelassenheit: Kevin Glaser Foto: Morlok Foto: Schwarzwälder-Bote

Wandergeselle Kevin Glaser kehrt nach mehr als drei Jahren von der Walz zurück

Von Peter Morlok

Horb-Betra. Seit Samstagabend ist er von der traditionsreichen Walz der Handwerksgesellen zurück. Drei Jahre, drei Monate und 15 Tage war Kevin Glaser als Wandergeselle unterwegs, um bei fremden Meistern seine Handwerkskunst zu verbessern.

Kevin Glaser ist Zimmermann und einer der Wenigen, die heute noch die Strapazen der Walz auf sich nehmen, um neue Länder, neue Menschen und deren Kulturen kennenzulernen und für sich das mitzunehmen, was man nirgends kaufen kann: Erfahrung. Erfahrung im Leben, Erfahrung im Beruf. Um ganz in der Tradition von Adolf Kolping, Tillmann Riemenschneider oder Albrecht Dürer zu leben. Berühmte Namen, die in ihrer Zeit ebenfalls die drei Jahre und den einen Tag der Tippelei auf sich nahmen, um sich in ihrem jeweiligen Beruf weiterzubringen.

Für den jungen Zimmermannslehrling Kevin war eigentlich schon recht schnell klar, dass er auch auf die Walz geht. "Im Betrieb von meinem Lehrmeister Hermann Wetzel habe ich immer mal wieder Kollegen, die auf der Walz waren, kennengelernt und für mich stand schnell fest, dass das mein Ding ist. Reisen, Beruf, Tradition, Freiheit – die ideale Kombination."

Man wandert immer in den "Ausgehklamotten"

Am 13. Mai 2012 war es dann soweit. Zusammen mit Johannes Link, dem einzigen reisenden Gesellen der zu seinem Abschiedsfest kam, ging er los. Mit den vorgegebenen fünf Euro in der Tasche, dem "Charlottenburger", also dem Tuch, das eine Elle misst, und in dem der Geselle Wechselwäsche für eine Woche, zwei bis drei frische Hemden, die Arbeitskluft – man wandert immer in den "Ausgehklamotten" – einen Schlafsack und das wichtigste Werkzeug mit sich führt, und auf den Stenz, den Wanderstab gestützt, verließ er seinen Heimatort Betra, dem er sich für die Zeit seiner Wanderschaft nicht weniger als 50 Kilometer nähern durfte. "50 Kilometer ist eine Strecke, die man in der Regel nicht an einem Tag zurücklegen kann", so die Begründung für diese Distanz, die auch der Bannkreis genannt wird.

Der erste Weg der beiden führte nach Freiburg. Dort übernachteten sie in der Herberge der Vereinigung, dem Schacht der rechtschaffenen fremden Zimmer- und Schieferdeckergesellen, die für ihre Mitglieder in fast jeder großen Stadt eine Unterkunft parat halten. Und an diesem 13. Mai begann auch eine Reise voller Entbehrungen, Hunger und oft kargem Lohn. "Ich habe in Bamberg bei 15 Grad Kälte im Freien geschlafen, bin oft morgens völlig durchnässt vom Regen in einer zugigen Scheune oder einem Feld aufgewacht", schildert der Heimkehrer die weniger romantische Seite seiner Wanderjahre und erinnert sich sogar an einen Meister, der ihm und seinem Kollegen bis heute den Lohn für einen Monat Arbeit schuldig blieb.

Aber das war die eine Seite der Medaille. Die andere Seite war glänzend und schön. Viele freundliche Menschen, die dem wandernden Gesellen Arbeit, Brot und Obdach gaben, neue Länder, neue Erfahrungen. Er war in der Schweiz, in Österreich, Dänemark und Norwegen. In Norwegen hat er zusammen mit drei anderen Gesellen für zwei Monate bei einem deutschen Schreiner gearbeitet. Auf der letzten Etappe seiner Reise hat er in der Nähe von Lübeck einen Kollegen heimgebracht und bis März dieses Jahres in der Gegend dort gearbeitet.

Die Bestätigung, dass er mit dem Entschluss auf die Walz zu gehen absolut richtig lag, bekam er schon relativ früh. Als er in einem Kolping-Heim übernachtete, traf er dort eine Seniorenrunde an. "Ein 94-jähriger Zimmermann kam mit Tränen der Freude in den Augen auf mich zu und war ganz gerührt, dass es noch Leute gibt, die die alte Handwerkstradition der Walz aufrechterhalten."

Es ist ein interessantes Leben auf der Straße. Viele Riten und Gebräuche gilt es zu lernen und zu beachten. So nennen sich die Gesellen selbst Fremde. "Wir sind überall fremd – wir sind überall aber nirgends zu Hause." Ihre Bräuche, ihre Sprache, ihre Zunftrituale werden von Mund zu Mund weitergegeben und ihre Gesellenabende unterteilen sich immer in zwei Teile. In einen öffentlichen Teil und einen Nichtöffentlichen. Wie im Gemeinderat.

"Das größte Geheimnis ist die Geheimniskrämerei"

Kevin Glaser sieht diese Art der Traditionspflege gelassen. "Das größte Geheimnis ist die Geheimniskrämerei", glaubt er. "Und bei uns geht es nicht anders zu wie in einer studentischen Burschenschaft." Eine dieser Besonderheiten ist, dass die Gesellen keinen Oberlippenbart tragen dürfen. "Ein solcher Bart ist beim Stiefel-Trinken unhygienisch", erklärt Kevin.

Auch der Ohrring, mit dem man in früherer Zeit den Sargmacher bezahlte, falls auf der Wanderschaft etwas passierte, ist heute eher von symbolischer Gestalt. Wenn man ihn jedoch herausgerissen bekommt, weil man sich unehrenhaft verhalten hat, dann ist man ein "Schlitzohr" und jeder Meister sieht, dass hier ein unehrenhafter Geselle an seiner Tür klopft.

Der Ohrring von Kevin Glaser ist noch da und er selbst sitzt inzwischen recht relaxt am Tisch im Elternhaus. Mutter Adrienne ist froh, den Buben wieder im Haus zu haben, denn der Abschied fiel ihr damals sehr schwer, wie sie zugab. Für den jungen Gesellen beginnt nun wieder der Alltag. Arbeit suchen, Zukunftsplanung mit Freundin Lisa und die Frage Meisterschule Ja oder Nein.

Für den Heimkehrer, der seinen Beruf Hobby nennt und der in den drei Jahren, drei Monaten und 15 Tagen auf unzähligen Kilometern Fußmarsch sechs Paar derbe Schuhe durchgelaufen hat und zwei komplette Garnituren Kluft verbrauchte, dürfte diese Frage jedoch nicht schwer zu beantworten sein. Kevin Glaser wird auch diesen Weg mit der Gelassenheit eines Mannes gehen, die er auf den Straßen Europas einsammelte.