Stottern ist ein Leiden, das sich mit geduldigem Training spürbar mildern lässt / Horber Sprachtherapeut berichtet von seinen Erfahrungen

Von Alexandra Feinler

Horb. "Immer mit der Ruhe, lass dir Zeit", sagt der Busfahrer zu dem 16-jährigen Jonas, der beim Ordern der Fahrkarte wieder einmal ins Stottern gerät. Seine Schulkameraden kichern, einer äfft ihn nach. Jonas schämt sich und möchte am liebsten im Boden versinken. Wenn dann noch jemand sagt, er soll sich Zeit lassen, packt ihn die Wut.

Rund 800 000 Menschen in Deutschland und damit ein Prozent der Bevölkerung stottern. Eine große Anzahl, auf die Betroffene am heutigen Welttag des Stotterns aufmerksam machen wollen. Ein Patentrezept, das bei diesem Sprachproblem helfen soll, gibt es nicht. Stottern ist je nach Alter, Situation und Person individuell unterschiedlich. Fünfmal mehr Männer als Frauen leiden laut der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe unter der Unterbrechung des Redeflusses. Hilfe zum Umgang mit Stotternden gibt es zahlreiche.

Ein Grundrezept gibt es nicht dagegen

"Man muss zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheiden", erklärt Markus Leupolz, Logopäde aus Horb, das komplexe Thema. "Bei manchen Kindern im Alter von drei bis vier Jahren kann ein entwicklungsbedingtes Stottern auftreten. Sie wiederholen komplette Wörter beim Erzählen, da sie ihre Gedanken noch nicht in ihre sprechmotorische Geschwindigkeit übertragen können. Diese Symptomatik verliert sich, bis sie zirka viereinhalb Jahre alt sind." Bei Erwachsenen bleibt das Langziehen und Wiederholen von Lauten, Silben sowie Wörtern meistens ein Leben lang. Es kann durch Sprechtechniken verringert werden, sodass es für Mitmenschen nahe zu nicht mehr erkennbar ist. Einen langen Weg geht der Betroffene bis dahin. Ein Grundrezept gibt es nicht, der erfahrene Sprachtherapeut kann jedoch einige Tipps geben.

Bevor Eltern etwas unternehmen, sollten sie zuerst einmal ihr Kind beobachten. Fachliche Beratung über das Telefon kann einige Missverständnisse beseitigen. Wenn sich das Stottern weiterhin ausprägt, sollte ein Logopäde zu Rate gezogen werden. Wichtig ist, dass der Stotternde freiwillig eine Sprachtherapie beginnt. Das gilt sowohl bei den kleinen Betroffenen, als auch bei Erwachsenen.

Neben der Therapie gibt der Logopäde Tipps für den Umgang mit Stotternden. "Am Wichtigsten ist es, dem Gesprächspartner zuzuhören. Man sollte ihm nicht das Wort aus dem Mund nehmen oder ihn mit Sätzen wie "ganz ruhig" und "immer langsam" beschwichtigen wollen. Es kann eher dazu führen, dass dieses Verhalten den Stotternden verstimmt. Leupolz rät: "Lieber Blickkontakt halten und den Menschen so behandeln, wie man mit nicht Stotternden umgeht." Für Kinder gelten ein paar Extratipps. Da sich Stottern bei ihnen vor allem nach der Tagesform verändert, sollten die Eltern auch darauf eingehen. Durch besondere Aktivitäten kann ein Kind unbekümmert sein, und das wirkt sich auch auf den Sprachfluss aus. An Tagen, an denen es flüssig spricht, sollten deshalb lustvolle Spiele, bei denen Sprechen eine Rolle spielt, angeboten werden.

Hat das Kind einen Tag, an dem die Stottersymptomatik stark auftritt, dürfen auch einmal ruhigere Aktivitäten ohne großes Sprechen angeboten werden. Ein Tagebuch über das Stottern soll den Eltern die Veränderungen ihres Kindes zeigen. "Das Thema Stottern darf nicht tabuisiert werden. Wenn ein Kind diese Symptome erkennt und dagegen ankämpft, sollten Eltern das wahrnehmen und mit ihm darüber sprechen", so Leupolz.

Diese Grundtipps ersetzen jedoch keine Therapie. Nur in dieser kann der Logopäde auf das individuelle Problem eingehen: "Eine Stottersymptomatik kann auch psychische und soziale Begleiterscheinungen aufweisen. In solchen Fällen sind begleitende psychotherapeutische Maßnahmen nicht unüblich. In der Therapie liegt der Schwerpunkt der Behandlung nicht nur auf der Sprechtechnik, sondern auch auf der Körperwahrnehmung, Atmung und vieles mehr. In der Stottertherapie soll den Patienten mehr Sicherheit im Umgang mit dem eigenen Stottern vermittelt werden."