Ein Umgangsteilnehmer bekam bei der Führung am Freitagabend die Weiße Frau vor sein Objektiv, als sie im Geßlerschen Amtshaus ihren Bottschamber aus dem Fenster mit der schönen Aussicht leerte. Nach Aussage der Nachtwächter kann die Gemahlin des Obervogts Johann Josef Geßler "als anmaßende Beißzang’ und Ragall" seit ihrem Tod keine Ruhe finden. Foto: Kultur- und Museumsverein Foto: Schwarzwälder-Bote

Trotz drohendem Hagelsturm zogen die Nachtwächter durch die Ober- und Unterstadt

Horb. Die Wetter-App auf Stefan Reichels Smartphone verhieß am Freitagabend nichts Gutes und warnte für den Horber Raum vor einem erneuten Hagelsturm, weshalb der Vereinskassierer des Kultur- und Museumsvereins sein Heiligsblechle eigens noch in der unteren Etage des Parkhauses an der Wintergasse abstellte.

Die drei Horber Nachtwächter machten sich aber trotzdem auf den Weg zum Rat- und Wachthaus, wo sie allen Wetterprognosen zum Trotz von rund sechzig Personen erwartet wurden.

Bottschamber aus dem Fenster geleert

Heinrich Raible, Bruno Springmann und Joachim Lipp begeisterten ihre Gästeschar mit ihren Erzählungen und Sprüchen von Beginn an so, dass alle Umgangsteilnehmer bei der Stange blieben, obwohl sich während des Umgangs am Himmel mehr und mehr pechschwarze Gewitterwolken aufbauten. Im Burggarten kam sogar Sturmwind auf, und vom Albtrauf her sorgten gewaltige Blitze für zusätzliche Beleuchtung. Diese Wetterkapriolen ließen die Nachtwächterführung sogar zu einem ganz besonderen Spektakel werden, weshalb die Nachtwächter unbeirrt zu den übrigen Stationen weiterzogen, wo sie jedes Mal mit Szenenapplaus bedacht wurden. Ihr Gottvertrauen sollte ihnen Recht geben, denn bis auf ein paar wenige Regentropfen blieben die Nachtwächter und ihre Gäste von den Unbilden des Wetters gänzlich verschont.

Unter den Umgangsteilnehmern, die sich gleichfalls nicht beirren ließen, befand sich Stadträtin Silke Wüstholz, die sich mittlerweile zu einem richtigen Nachtwächter-Fan entwickelt hat und schon einen Großteil der neun verschiedenen Horber Nachtwächterführungen besuchte. Als die drei mit Rufhorn, Laterne und Hellebarde ausstaffierten Herren vor dem Wachthaus auf das von Wilhelm Klink in den Jahren 1925/27 geschaffene sogenannte Horber Bilderbuch zu sprechen kamen, zeigte sich nicht nur die Stadträtin über den jetzigen Zustand der Rathausfassade besorgt. Horbs Schmuckstück befindet sich leider wieder einmal in einem mehr als desolaten Zustand und vielleicht können sich weitere Horber Stadträte bei der nächsten Nachtwächterführung ein Bild von der restaurierungsbedürftigen Fassadenmalerei machen, damit der weiteren, immer schneller voranschreitenden Verwitterung der Lüftlmalerei Einhalt geboten wird, denn ein Horb ohne Bilderbuch ist wie ein Schweizer Wurstsalat ohne Käse.

Während des Umgangs besorgte Stadtrat Joachim Milles um 22 Uhr das althergebrachte Läuten der Lumpenglocke. Da die Horber Waschweiber sämtlich verhindert waren, verdiente sich auf dem Marktplatz neben den Nachtwächtern nur noch Vereinskassierer Stefan Reichel einen besonderen Szenenapplaus. Er geisterte wieder einmal als Weiße Frau durch Horbs einziges Spukhaus und leerte im Geßlerschen Amtshaus einen Bottschamber aus dem Fenster mit der schönen Aussicht. Mit diesem spektakulären Auftritt erinnert Reichel an die Gemahlin des ehemaligen österreichischen Obervogts Johann Josef Geßler von Braunegg.

Maria Elisabetha war die Tochter des Rottenburger Hofschreibers Christian Haslach und die Schwester des Horber Stiftspropstes Peter Paul Haslach. Dieses einflussreiche Horber Dreigestirn hatte sich wegen seiner obrigkeitlichen Vetterleswirtschaft sowohl mit der Bürgerschaft als auch dem Horber Magistrat angelegt. Obwohl sich der Obervogt nach der großen Feuersbrunst des Jahres 1725 um den Wiederaufbau der Stadt verdient gemacht hatte, wurde das gegenüberliegende Haus auf Betreiben der Maria Elisabetha nicht wieder errichtet, da sie sich den Ausblick von ihrer Wohnstube ins Neckartal nicht verbauen lassen wollte. Seither besitzt die südliche Häuserfront am Markt wegen dieser "impertinenten Spinatwachtel" eine Zahnlücke. Ein Teilnehmer fragte daraufhin die Nachtwächter, warum Oberbürgermeister Peter Rosenberger ob seiner ausgesprochenen Planungs- und bislang unerfüllten Bauwut diese Lücke noch nicht geschlossen hat.