Das Schüttetörle ist am Samstagabend eine von acht Stationen beim Umgang der Nachtwächter durch die Horber Oberstadt. Die Nachtwächterführung beginnt um 20 Uhr vor dem Rat- und Wachthaus. Foto: Kultur- und Museumsverein Foto: Schwarzwälder-Bote

Heimatgeschichte: Nachtwächter eröffnen ihren Führungsreigen mit einem Gang durch die Horber Oberstadt

Die nachtwächterlose Zeit endet in Horb am Samstag, 22. April, wenn die Horber Nachtwächter um 20 Uhr auf dem Marktplatz vor dem Rat- und Wachthaus unter dem Motto "Die Nacht goss grausige Dunkelheit herab" zu einem Umgang durch die Oberstadt laden.

Horb. Wer sich schon einmal einem nächtlichen Umgang der Horber Nachtwächter vom Kultur- und Museumsverein angeschlossen hat, der kann in den engen Gassen der Neckarstadt vielleicht noch erahnen, in welche Dunkelheit die Welt früher gehüllt war, wenn sich Mond und Sterne am Himmel einmal nicht zeigten. In der heutigen Non-Stop-Zivilisation hat das Kunstlicht diese Dunkelheit längst verdrängt, und erleuchtete Fenster, Straßenlaternen oder Autoscheinwerfer sorgen des Nachts immer für eine gewisse Resthelligkeit, die sogar ganze Sternbilder aus dem Blickfeld verschwinden lässt und durch ein leeres Firmament ersetzt. Die elektrische Beleuchtung hat in heutiger Zeit vielfach die uralte Angst vor der Dunkelheit durch die Angst vor der Schlaflosigkeit ersetzt.

Die Nacht raubt jedem das Augenlicht, den kostbarsten aller menschlichen Sinne

"Die Nacht", so warnte eine Redensart, "gehört den Geistern." Bei Nacht tauchen bizarre Anblicke und fremdartige Geräusche auf und verschwinden wieder, und in ihrem Gefolge breiten sich Ängste aus. Die Nacht raubt jedem das Augenlicht, den kostbarsten aller menschlichen Sinne. Die ungemütlichen Gefilde der Dunkelheit lockten Scharen von Dämonen und Geistern an. Nach einem anderen Sprichwort lieben gute Menschen den Tag, schlechte die Nacht. Weder die bösen Geister noch unvermeidliche Missgeschicke in der Dunkelheit lösten derartig notorische Ängste aus wie die menschliche Bosheit. Genährt von chronischer Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung stellte das Verbrechen ein besorgniserregendes Problem dar. Diebstahlsdelikte geschahen am häufigsten vom Spätherbst bis zum Frühlingsbeginn, wenn die Not am größten und die Nächte am längsten waren.

Noch mehr gefürchtet als Verbrechen und Gewaltausbrüche waren Brände. Zum einen brauchte man nachts mehr Licht und Wärme, zum anderen konnte man das Feuer in der Dunkelheit besonders schlecht eindämmen. Gefahr ging aus von Kaminfeuern, verrußten Schornsteinen, Kerzen, Öllampen und anderen künstlichen Lichtquellen. Das Feuer konnte sich schnell von einem guten Diener in einen schlechten Herrn verwandeln. Mehr als 200 Gebäude fielen beim großen Horber Stadtbrand des Jahres 1725 in Schutt und Asche, und fast die Hälfte der Horber Einwohnerschaft war über Nacht obdachlos geworden.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Nachtwächter und nicht die Prostituierte den ältesten Beruf der Menschheit, denn er entstand, sobald die Menschen zum ersten Mal die Dunkelheit fürchteten. Die erste Erwähnung der Horber Nachtwache findet sich in einem Privileg aus dem Jahr 1282, in dem Pfalzgraf Otto von Tübingen das hiesige Dominikanerinnenkloster unter anderem von der "vigilia" (lateinisch Nachtwache) befreite. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war die beschwerliche Nachtwache bereits auf besoldete Wächter übertragen, die vom Schultheißen ernannt wurden, und das Horber Stadtrecht verpflichtete alle Bürger mit Ausnahme der Mitglieder des Stadtgerichts deshalb zur Zahlung eines Wachtgelds.

Zur Mitte des 16. Jahrhunderts zählte die Nachtwache schließlich zu den 25 besoldeten Diensten der Stadt, deren Amtsträger immer nach Weihnachten auf dem Horber Rathaus beim Jahrgericht gewählt wurden. Die Nachtwächter waren in allen Nächten des Jahres unterwegs, bliesen das Signalhorn und kündeten zu jeder vollen Stunde die Uhrzeit an.

Bei der Nachtwächterführung am Samstagabend wird um eine Spende gebeten. Bei Regen fällt der Umgang aus.