Volkmar Rieber steht an einer besonderen Horber Wiese, auf der selten gewordene Wiesenblumen gedeihen. Fotos: Hopp Foto: Schwarzwälder-Bote

Natur: Das Wiesen-Wunder zeigt, was woanders kaputt gegangen ist / Derzeit viele Blüten zu sehen

Was für ein Wiesen-Wunder! Ein Meer von lila, gelben und weißen Blüten. Das ist der neue Schatz des Nabu Horb.

Horb. Ein Wanderer kommt vorbei. Er sagt: "So viele Karthäuser-Nelken sieht man selten!" Volkmar Rieber, "Vater" des Kugler Hang, lächelt: "Das ist nicht der einzige Grund, warum wir so stolz sind, jetzt dieses Stück Land zu besitzen. Es ist die wertvollste Wiese, die wir haben und nun weiter pflegen wollen!"

Seit gut fünf Wochen besitzt der Nabu dieses für den Artenschutz so absolut wertvolle Stück Natur. Die Wunder-Wiese – sie liegt am Rand des Hohenbergs, irgendwo zwischen dem Rande der Hohenberg-Besiedlung, dem Auchterthof Beuter und der Käppeleshof-Kreisel. Wer den Wanderweg des Schwarzwald-Vereins vom hintersten Hohenberg hinunter zum hinteren Ringmauerturm nimmt, wird an ihr vorbeigehen.

Auf den Wiesen nebenan: Etwas Kornartiges mit Löwenzahn drin, rechts davor eine Wiese mit viel Brennnesseln. Doch kaum folgt man dem Schild: "Fußweg zur Innenstadt“, tut sich links das Blütenwunder auf.

Eine Wiese. Übersäht von Blüten. Gelb, weiß, lila, pink. Wenn man sich bückt und die Pflanzen genau anschaut, sieht man: Das Blütenmeer aus Pink und Lila zeigt jede Menge verschiedener Blütenformen. Dabei kann sie beispielsweise mit Bergwiesen wie an der Kampenwand oder im Zugspitzmassiv leicht mithalten. Artenvielfalt konkret, mal buschig, mal glockig, mal blättrig.

Für Rieber und alle, die genau hingucken, ist diese Wiese ein absoluter Glücksfall. Er sagt: "Fritz Bäuerle, der noch einen Traktor mit Mähwerk besitzt, hat diese Wiese so geschätzt, dass er sie bis ins hohe Alter von über 80 gepflegt hat. Das Besondere an der Wiese ist einmal der Untergrund mit Muschelkalk und die ideale Ausrichtung, so dass die Pflanzen vor allem die späte Sonne bekommen."

Zweite große Seltenheit: Bäuerle hat die Wiese nur einmal im Jahr gemäht – und zwar spät. Rieber zeigt auf eine lila blühende Blume: "Das ist die scabiosenblättrige Flockenblume und daneben die später blühende Wiesenflockenblume. Diese ist schwer bedrängt, weil sie erst spät aussamt. Sie kann sich natürlich nur dort ausbreiten, wo die Mahd erst spät ist."

Auch die Zypressenwolfsmilch, die hier gerade in Gelb ihre Blütenpracht entfaltet, gibt es nur noch selten, so Rieber. Dann zeigt er auf eine schmalblättrige Pflanze mit geschlossenen Blüten: "Sehen Sie die Spitzen? Das ist der Wiesenbocksbart, der blüht nur morgens."

Und die Farbenpracht in Lila und Pink? Rieber hat drei Blumen in der Hand. Die Witwenblume oder Knautie und die zum Verwechseln ähnliche Scabiose. Er schiebt deren Blüten etwas zur Seite: "Sehen Sie, hier sieht man schwarze Nädelchen. Deshalb heißt die Scabiose im Volksmund auch Nadelkissen." Die dritte im Bunde, die ein bisschen wie ein wilder Büschel in Lila aussieht, ist die skabiosenblättrige Flockenblume, die früher aussamt.

Auch in Lila auf der Wiese: Der Wiesensalbei und der zierliche Thymian und eingestreut das weiße Wiesenlabkraut. Dazwischen in Gelb beispielsweise die Zypressenwolfsmilch, die auch sehr selten geworden ist. Weiter unten in Gelb: Der Wiesenhahnenfuß. Rieber: "Das zeigt klar an, dass der Boden dort unten nicht so mager, sondern schon fetter ist."

Warum wächst das alles hier auf diesem neuen "Wiesen-Wunder"? Rieber reißt da eine gelbe Blume aus der Erde. Zeigt auf die Wurzelstummeln: "Sehen Sie, da ist nichts. Die ist nämlich eine stinkfaule Pflanze. Dieser Klappertopf bohrt seine Saug-Wurzeln in besonders wüchsige Pflanzen hinein und zapft ihnen Wasser und Mineralien ab – nur ein Halbschmarotzer, da er mit eigenem Blattgrün Zucker und dann alles Übrige selbst herstellt. Durch den Wasser-und Mineraldiebstahl schwächt der Klappertopf besonders stark wüchsige Pflanzen und schafft damit Platz für viele bescheidenere, doch sehr schöne Blumen." So trägt er auf dieser Wiese mit dazu bei, dass sich diese Artenvielfalt entwickelt hat. Rieber: "Das ist ein Prozess, der über Jahre geht. Immer wieder gelangen weitere Samen auf die Fläche. Da die Wiese nicht gedüngt wurde, konnte dann diese Blütenpracht nach und nach gedeihen. Der zottige Klappertopf hat so in der Phase der Sukzession, bei der so lange immer neue Pflanzen dazu kommen, bis sich ein Gesamt-Gleichgewicht – der sogenannte Klimax-Zustand – gebildet hat, kräftig mitgewirkt. Und weil Fritz Bäuerle die Wiese nur einmal jährlich spät im Jahr gemäht hat, hatten hier gerade spätsamende Pflanzen wie die schwer bedrängte Wiesenflockenblume überhaupt eine Chance."

Und dies ist auch gut für die Tierwelt. Rieber: "Die Artenvielfalt der Insekten ist ganz eng verknüpft mit der Artenvielfalt der Pflanzen. Weil zum Beispiel die Larven der Schmetterlinge, die Raupen jeweils ganz bestimmte Futterpflanzen brauchen. Kostbarkeiten wie dem Wolfsmilchschwärmer müssen wir Nahrung bieten – und ich hoffe, die Schmetterlinge finden sie hier!"

Das Wiesen-Wunder des Nabu. Ein selten gewordener Schatz. Rieber: "In meiner Kindheit gab es noch Wiesenhonig. Weil aber Wiesen wie diese durch die moderne Landwirtschaft fast vollständig verschwunden sind, finden die Honigbienen natürlich nicht mehr die richtigen Blüten. Deshalb gibt es diese Honigsorte kaum noch!"

Und wie kam der Nabu an die neue Wiese? Rieber: "Fritz Bäuerle wollte seine Wiese verkaufen. Peter Heffner vom Landschaftserhaltungsverband sprach damals den Nabu-Vorsitzenden und mich an. Da waren wir im Nabu natürlich sofort Feuer und Flamme!"

Gut auch: Fritz Bäuerle, der Vater dieser "Wunder-Wiese", kann von seiner Wohnung aus fast auf die Wiese schauen. Allerdings verhindern Bäume den Blick auf die Blütenpracht. Noch besser: Auch Bäcker Saur ist mit eingesprungen, um den Kauf des neuen Nabu-Schatzes zu unterstützen. Der Verkaufspreis der ersten Charge seiner, seit kurzem eingeführten Papiertüten, ging als Spende direkt zum Nabu für die neue Wiese und reichte sogar noch für eine kräftige Stihl-Motor-Heckenschere.