Patrick Friedrichson arbeitet mit chirurgischen Instrumenten, wenn er seiner Arbeit als Thanatopraktiker nachgeht. Foto: Friedrichson Foto: Schwarzwälder-Bote

Thanatopraxie: Patrick Friedrichson rekonstruiert Verstorbene nach Unfällen oder schwerer Krankheit

Er ist Horbs Einbalsamierer – Patrick Friedrichson vom Bestattungsunternehmen Friedrichson ist Thanatopraktiker. Ein Beruf, der vielen Menschen nichts sagt, aber für Angehörige von Verstorbenen oft die Welt bedeutet.

Horb. "Das muss jetzt sein", hatte sich Patrick Friedrichson vor etwa vier Jahren gesagt, als er sich dazu entschloss, die Zusatzausbildung für Bestattungsfachkräfte zum Thanatopraktiker zu machen. Unter Thanatopraxie versteht man die Konservierung und Rekonstruktion von Verstorbenen. Beispielsweise nach einem Unfall, Suizid oder einer schweren Krankheit. Patrick Friedrichson sei mit seinem Beruf als Bestatter zuvor immer wieder an Grenzen gestoßen, bei denen der 30-Jährige gemerkt habe, dass er nicht weiter komme. "Für mich hat kein Weg an der Ausbildung vorbeigeführt", sagt Frierichson heute. Denn für die Angehörigen will er das Maximale erreichen.

Komplette Rekonstruktionen würden dabei eher zur Seltenheit gehören. "Allerdings brauche ich mein Erlerntes immer wieder, um Verstorbene auch nur in einzelnen Körperpartien wieder herzustellen." Das sei dann der Fall, wenn sich beispielsweise Gliedmaßen blau verfärbt haben, die Angehörigen aber am offenen Sarg Abschied nehmen wollen. "In den USA oder Großbritannien wird fast jeder Verstorbene einbalsamiert." Dort ist die Aufbahrung eine viel häufigere Form des Abschieds.

Unter der Einbalsamierung sei aber keine dauerhafte Konservierung zu verstehen. Im Schnitt seien es zwei Wochen. Notwendig ist diese Zeit hauptsächlich für die Überführung ins Ausland, wenn der Verstorbene für die Reise bis zur Beerdigung "haltbar" gemacht werden muss. In Deutschland ist dies sogar vorgeschrieben.

Da die Thanatopraxie in Deutschland nicht so häufig ist – lediglich 14 Thanatopraktiker gibt es in Baden-Württemberg, deutschlandweit sind es 77 – war Friedrichson für ein Auslandspraktikum in England. "Dort wurden in zwei Wochen rund 40 Einbalsamierungen gemacht. So viel gibt es bei mir im ganzen Jahr nicht", erzählt der 30-Jährige. Bei einer Einbalsamierung könne man an eine Dialyse denken. Denn das Blut wird durch die Arterien abgelassen. Ersetzt wird es durch konservierende Mittel. Diese töten die körpereigenen Bakterien ab und geben der Haut ihre Farbe sowie Feuchtigkeit zurück. Benutzt werden dabei zudem chirurgische Instrumente, verschiedene Sorten Wachs sowie Make-Up. Für eine Einbalsamierung würden 7 bis 25 Stunden anfallen. "Wenn ich einen Kopf rekonstruiere, kann das allein schon 12 Stunden dauern."

Da die Rekonstruktionen nicht so häufig vorkommen, ist Friedrichson immer im Kontakt mit anderen Thanatopraktikern in Deutschland. Wenn man selber nicht mehr weiter weiß, dann gibt es immer jemanden, der einen ähnlichen Fall schon mal hatte, sagt der 30-Jährige. Besonders eng arbeite er mit einem Kollegen aus Leipzig zusammen. Da komme es vor, dass er auch dort vorbeischaue, wenn es in Leipzig viel zu tun gebe.

Nicht wenige Menschen würden vom Gedanken einer Abschiednahme am offenen Sarg Abstand nehmen, wenn sie gehört haben, dass ein Angehöriger durch einen Unfall gestorben sei. "Da herrscht dann oft Unsicherheit, wenn ich ihnen anbiete, den Verstorbenen noch einmal zu sehen. Dann brauche ich einfach das Vertrauen der Angehörigen."

Patrick Friedrichson habe jedoch schon erlebt, dass die Polizei nach einem schlimmen Unfall den Hinterbliebenen von einer Abschiednahme abgeraten habe. Das ärgere ihn. Denn es sei vieles noch möglich. Lediglich wenn die Haut stark zerstört sei, gäbe es nicht mehr viel zu machen. Der 30-Jährige gibt aber zu, dass er oft sogar selber noch überrascht wäre, wie sehr er den Toten verändern kann. Im Trauerprozess gehöre es dazu, den Angehörigen noch mal zu sehen. "Wenn beispielsweise ein Liebster das Haus verlässt, einen Unfall hat und stirbt, die Angehörigen plötzlich vor der Urne stehen, dann fehlt ein essenzieller Zwischenschritt in der Trauerbewältigung." Das weiß Friedrichson nicht nur durch seine jahrelange Arbeit im Bestattungswesen, sondern auch durch seine Weiterbildung zum Notfallseelsorger, die er in diesem Jahr abgeschlossen hat.

Wenn er nach seinem Beruf gefragt wird, dann sei die erste Reaktion oft "oh Gott", doch schnell würden die Leute neugierig werden und auch genau nachfragen. "Wenn ich von meiner Arbeit erzähle, verstehen die meisten, warum ich es gerne mache."

Bei aller Routine müsse man zu jeder Zeit Verständnis für die Gefühle der Angehörigen des Verstorbenen haben. "Sie geben schließlich ihren Ehemann, Vater oder anderen geliebten Menschen in unsere Hände, das muss einem bewusst sein. Wenn die Angehörigen ihren Verstorbenen gesehen haben, ist der Dank teilweise riesig, da spürt man förmlich, wie eine Last von ihnen abfällt."

Bei all den traurigen Momenten falle es dann nicht immer leicht, die Professionalität zu wahren. "Doch das ist wichtig. Empathie ist in diesem Beruf unverzichtbar, Mitfühlen ja, doch Mitleiden wäre kontraproduktiv. Was würden denn die Angehörigen denken, wenn ich plötzlich in Tränen ausbreche", sagt der 30-Jährige Familienvater. Das Tragen der Arbeitskleidung sei dabei so eine Art Schutzmantel, wenn er sie ablegt, dann lässt er auch den Tod hinter sich. "Nachts kann ich trotzdem gut schlafen."