Hochsensible Mitarbeiter können problematisch, aber auch eine Bereicherung für Teams sein.

Stuttgart - „Hochsensibilität bezeichnet eine außerordentliche Empfindlichkeit des Nervensystems auf äußere Einflüsse”, berichtet Coach Dr. Sylvia Löhken, die sich in ihrem Buch „Leise Menschen - starke Wirkung” mit Introvertiertheit, aber auch Hochsensibilität beschäftigt. „Deshalb leiden hochsensible Personen schnell an Reizüberflutung. Sie reagieren auf Reize wie Stress, Wärme oder Lautstärke viel intensiver als andere.” 70 Prozent von diesen Hochsensiblen sind übrigens auch introvertiert. „Hochsensible sind oft schreckhaft. Sie besitzen aber auch ein reiches, vielschichtiges Innenleben und eine feine Wahrnehmung für Unterschwelliges in ihrer Umgebung”, erklärt Löhken. Und gerade das ist eben nicht nur ein Problem, sondern auch eine wichtige Kompetenz: „Solche Mitarbeiter haben ein besonderes Einfühlungsvermögen. Sie erkennen zum Beispiel frühzeitig, dass ein Kunde unzufrieden ist, noch bevor dieser das ausspricht.” Damit aber das berufliche Umfeld von der Sensibilität profitieren kann, brauchen diese Mitarbeiter spezielle Rahmenbedingungen.

Hochsensibilität ist keine Störung

„Hochsensible Menschen benötigen sozusagen eine ,artgerechte Haltung'”, erklärt Löhken. „Denn so können sie ihre Stärke ausspielen und ihre vermeintlichen Schwächen kompensieren.” Nach Angaben der US-Amerikanerin Elaine N. Aron, die das Thema „Hochsensible Personen” wissenschaftlich aufgearbeitet hat, tragen etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung diesen Charakterzug. „Das sind zu viele, um Hochsensibilität für eine Störung zu halten, aber nicht genug, um von der Umgebung gut verstanden zu werden”, so Aron, die mehrere Bücher zum Thema verfasst hat. Die Stuttgarter Managementtrainerin und Wirtschaftsmediatorin Monika Heilmann empfiehlt hochsensiblen Mitarbeitern, sich bewusstzumachen, dass sie auf äußere Einflüsse sensibler reagieren als ihre Umgebung. „Wichtig ist, dass sie sich selbst kennenlernen und wissen, wann ihre Grenzen überschritten werden. Nur so können sie rechtzeitig gegensteuern und ihre Bedürfnisse verbalisieren.” Als Mediatorin weiß Heilmann aber auch, dass es für viele gar nicht so leicht ist, ihre berechtigten Anliegen angemessen zu kommunizieren.

„Damit das Arbeitsumfeld Hochsensible auch versteht, braucht es eine gute Kommunikationskultur.” Sie empfiehlt deshalb eine deutliche Sprache, die aber nicht verletzend oder herablassend wirken darf. „Wer nur leise und undeutlich seine Wünsche formuliert, muss damit rechnen, dass weder Chefs noch Kollegen diese registrieren. Worte wie ,vielleicht' oder ,man' sollten sie deshalb vermeiden.” Auch Löhken rät zu einer intelligenten Kommunikation: „Sensible Mitarbeiter sollten ihre Kollegen nicht im gouvernantenhaften Ton zurechtweisen und sie etwa gereizt auffordern, leiser zu sprechen.” Besser sei es, sich andere Lösungswege zu überlegen. So könnte eine geräuschempfindliche Kollegin ihren Vorgesetzten fragen, ob sie für den Projektabschluss im Konferenzraum statt im Großraumbüro arbeiten darf. Besonders sensiblen Arbeitnehmern empfiehlt Walter Schienle, Geschäftsführer von CCC Creative Communication Consult, ein Stoppschild zu setzen: „Berufstätige sollten Signale geben, wenn sie sich verletzt oder angegriffen fühlen, ohne aber selbst aggressiv zu werden. Wie wäre es zum Beispiel mit der Bemerkung: ,Das habe ich jetzt mal überhört'?” Doch Hochsensible sollten auch selbstkritisch sein: „Wer zartbesaitet ist, bezieht häufig alles auf sich, zum Beispiel die schlechte Laune anderer. Viele von ihnen hören immer heraus, dass ihre Vorgesetzten und Kollegen ihnen ans Leder wollen”, berichtet Schienle.

Eine Anerkennung muss ernst gemeint sein

„Häufig ist das aber gar nicht der Fall.” Umso wichtiger ist es, dass sie sich dieser Tatsache bewusstwerden. Deshalb rät er Betroffenen, nicht sofort zu reagieren und zurückzuschlagen. „Besser ist es, Abstand zu gewinnen und zum Beispiel den Raum zu verlassen.” Auch das Arbeitsumfeld zartbesaiteter Berufstätiger kann etwas tun, damit sich diese akzeptiert fühlen und ihre Stärken ins Team einbringen können. Ein wichtiges Mittel dazu ist hier ebenfalls eine angemessene Kommunikation: „Wer erkannt hat, dass ein Mitarbeiter zartbesaitet ist, sollte sich auf ihn einstellen, seine Eigenheiten berücksichtigen und vorsichtig formulieren. Vorgesetzte sollten den Betreffenden zum Beispiel erst loben, bevor sie ihn kritisieren”, betont Schienle. Denn hat ein Sensibler das Gefühl, dass er und seine Arbeit grundsätzlich geschätzt werden, ist er auch eher bereit, Kritik anzunehmen, ohne verletzt zu sein. Wichtig bei dieser Kommunikation ist Authentizität:

„Natürlich muss das Lob stimmig und aufrichtig sein. Denn gerade sensible Mitarbeiter erkennen, ob eine Anerkennung ernst gemeint ist oder nicht”, betont Heilmann. „Ich empfehle, eine Win-win-Situation zu schaffen. Natürlich steht es jedem frei, auf die Eigenheiten der Sensiblen keine Rücksicht zu nehmen. Doch damit schadet er sich langfristig selbst und zahlt einen hohen Preis”, so Schienle. Denn auch robustere Naturen können auf die Kooperation ihrer sensiblen Kollegen und Mitarbeiter angewiesen sein, die sich ihrerseits mit destruktivem Verhalten revanchieren könnten. Kommunikationsexperte Schienle sagt: „Am besten ist es, wenn sich Vorgesetzte für das Gespräch mit zartbesaiteten Mitarbeitern Zeit nehmen und Möglichkeiten zum regelmäßigen Austausch schaffen.”