In der Schlichtung um das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 stand Heiner Geißler in den Jahren 2010 und 2011 im Fokus der Öffentlichkeit. Auch sonst hält der CDU-Politiker nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg. Am 3. März wird Geißler 85 Jahre alt. Foto: dpa

Als Schlichter im Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist er in den Jahren 2010 und 2011 noch einmal im Fokus der Öffentlichkeit gestanden. Der begeisterte Bergsteiger und Skifahrer geht seinen Hobbys noch rege nach. Am 3. März wird der CDU-Querdenker 85 und zieht es vor, nicht daheim zu feiern.

Gleisweiler - Heiner Geißler, der prominenteste Querdenker der CDU, wird 85. Im Interview plädiert er für die Aufnahme von Sinti- und Roma-Flüchtlingen und für die Ausweisung von Islamisten. Bedauert er etwas? „Ich hätte manchmal noch mehr Krach schlagen müssen“, meint er.

Heiner Geißler gilt als der prominenteste Querdenker der CDU. Der Jurist, unter Parteichef Kohl einst scharfzüngiger CDU-Generalsekretär, ist heute Mitglied der globalisierungskritischen Organisation Attac. Seinen Hobbys Bergsteigen und Skifahren geht der verheiratete Vater dreier Söhne nach eigenen Angaben auch im Alter nach. Am 3. März - seinem 85. Geburtstag - ist er verreist.

Herr Geißler, wie schaut Ihr Terminplan aus zurzeit?

Heiner Geißler: Der Terminplan ist im Moment etwas weniger dicht, weil ich mit einem Buch in den letzten Zügen liege, das in den nächsten Tagen fertig werden muss. Ich schreibe über Luther. „Was müsste Luther heute sagen?“, lautet der Titel. Mich hat der Mann interessiert, von dem diese große geistig-religiöse Revolution ausgegangen ist. Ich habe mich gefragt, ob er die Reformation heute noch einmal machen oder sie bleibenlassen würde. Und was müsste er aus seiner Sicht zum heutigen Geschehen in Deutschland und der Welt sagen?

Wie bewerten Sie die aktuelle politische Lage in Deutschland? Was müsste passieren?

Die Wirtschaftspolitik müsste grundlegend reformiert werden, aber das können die Deutschen allein nicht bewältigen. Die jetzige Wirtschaftsordnung ist grundsätzlich falsch und inhuman. Da hat der Papst recht. Diese Wirtschaft tötet. Der Mensch wird reduziert auf einen Kostenfaktor, und das gesellschaftliche Leben wird ökonomisiert - in der Bildung, vor allem aber auch in der Gesundheitspolitik. Es stehen nicht mehr die Interessen der Menschen im Vordergrund, sondern fast nur die Interessen der Finanzmärkte. Nötig wäre eine internationale Finanztransaktionssteuer, damit auch Devisenhändler und Spekulanten zur Finanzierung der großen Menschheitsaufgaben beitragen. Die werden bislang nicht herangezogen, während jede alleinerziehende Mutter Umsatzsteuer zahlen muss, wenn sie Windeln für ihr Kind kauft.

Gibt es darüber hinaus noch Ideen für Änderungen?

Auf einem anderen Gebiet könnten die Deutschen natürlich viel machen. Anstatt Sinti und Roma vom Balkan, die bei uns Zuflucht suchen, in ihr Elend zurückzuschicken, sollte man vielleicht lieber Dschihadisten, Islamisten, Anhänger des Islamischen Staates, Salafisten und Hassprediger ausweisen. Die halten ja vom Grundgesetz gar nichts und wollen es durch die Scharia ersetzen. Und dann muss endlich - in Deutschland selbst - für die Erkenntnis gekämpft werden, dass wir die Probleme nur lösen können, wenn Europa tatsächlich eine politische Union wird - mit eigenen Gesetzen. Wir brauchen nicht weniger Europa, wir brauchen mehr Europa. Das zeigt das Beispiel Griechenland.

Sie werden jetzt 85. Haben Sie sich einmal gefragt, was das Wichtigste war, das Sie im Leben gemacht oder entschieden haben?

Je länger man lebt, desto mehr Zeit hat man, über den Sinn des Lebens nachzudenken. Meiner Ansicht nach muss man sich darauf konzentrieren, dass man nicht nur für sich, sondern auch für die Anderen da ist, das heißt: dass man sich dafür einsetzt, die Lebensbedingungen Anderer ständig zu verbessern. Das ist der Sinn, den jeder Mensch seinem Leben geben kann, das ist auch der Sinn, den die Menschheit sich geben kann. Das betrifft alles, was dazu dient, anderen Menschen und der Natur zu helfen, von der Forschung - etwa nach besseren Medikamenten gegen Schmerzen - bis zu Aktionen der Nächstenliebe, etwa der Nachbarschaftshilfe. Das ist etwas, das jeder Mensch tun kann.

Gibt es etwas, das Sie im Rückblick bedauern?

Ich hätte manchmal noch mehr Krach schlagen müssen. Mehr Widerstand leisten müssen, zum Beispiel beim Übergang zur Deutschen Einheit, bei dem sich die Liberalen mit ihren Vorstellungen von der Privatisierung durchgesetzt haben. Vor allem die Privatisierungen im öffentlichen Sektor hätten verhindert werden müssen, das ist eine der Hauptursachen der Probleme, besonders im Gesundheitswesen. Alles, was „public service“ ist - also Kranken- und Altenpflege, Krankenhäuser, Energie- und Wasserversorgung -, kann man nicht privatisieren, denn das sind Einrichtungen, die allen Menschen zugutekommen müssen, die kann man nicht wie gewinnorientierte Unternehmen führen.

Gibt es noch etwas zu Ihrer Beziehung zu Helmut Kohl zu sagen?

Nein, dazu gibt es nichts zu sagen.